Urteil nicht rechtskräftig
Jihadisten-Prozess: Höchststrafe für vier Angeklagte
02.06.2017
Der Erstangeklagte wurde vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.
Im Grazer Straflandesgericht sind am Freitagabend drei von vier Angeklagten zur Höchststrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Alle vier Beschuldigten wurden wegen Teilnahme an einer terroristischen Organisation und kriminelle Vereinigung verurteilt, außerdem wegen Quälens und Vernachlässigens Unmündiger, weil sie ihren Kindern grausame Propaganda-Videos gezeigt haben sollen.
Fünf Tage mussten sich die vier Personen unter strenger Bewachung vor Gericht verantworten. Enes S. (38) und seine Partnerin Michaela S. (39) und das Ehepaar Katka (43) und Hasan (49) O. gingen im Dezember 2016 mit den insgesamt acht Kindern nach Syrien. "Ich liebe alles, was mit dem Islam zu tun hat. Ich habe ihn durch meinen Mann nur von der schönsten Seite kennengelernt", erklärte Michaela S., die als einzige in Österreich geboren und erst später zum Islam übergetreten ist. Die anderen drei stammen aus Bosnien, haben aber schon lange die österreichische Staatsbürgerschaft. Enes S., ein begeisterter Jäger, schloss sich ebenso wie Hasan O. dem IS an, wobei beide leugneten, jemals gekämpft zu haben. O. will nur als Masseur verwundete Kämpfer betreut haben, und S. erklärte, er habe nie auf jemanden geschossen.
Die Familien bekamen vom IS Wohnungen zur Verfügung gestellt. Gelebt haben sie nach eigenen Angaben von jenem Geld, das sie aus Österreich mitgebracht hatten. Womit sie selbst nicht gerechnet hatte war, dass die Kinder - das kleinste war erst zwei Jahre - auf Schritt und Tritt mit den Gräuelvideos des IS konfrontiert waren, die in der Stadt auch auf großen Leinwänden gezeigt wurden. "Ich habe gedacht, Syrien ist schön und Gott wird helfen, wenn man hinuntergeht", erklärte Michaela S. voller Überzeugung. Der damals er st siebenjährige Bub der Familie sah sich eine Hinrichtung aus nächster Nähe an und erzählte bei seiner Befragung, man hätte einen Mann "geschlachtet". Beide Elternpaare gaben zu, immer wieder Propaganda-Videos des IS angeschaut zu haben, und zwar auch zusammen mit den kleinen Kindern. Nach einigen Monaten stellte sich heraus, dass das Leben in Syrien doch nicht so idyllisch war. Schon die kleinen Mädchen mussten sich komplett verschleiern und Handschuhe tragen. Im April 2016 flohen die zwölf Personen in die Türkei, von wo sie nach Österreich abgeschoben wurden.
Der Staatsanwalt forderte eine "strenge, wirklich harte Bestrafung" für die vier Angeklagten. Sie hätten sich dem IS angeschlossen, einer "Bande von Mördern, Vergewaltigern, Sklavenhaltern und wirklich miesen Typen." Die Kinder wären von den Eltern "mitleidlos und teilnahmslos" in diese Ideologie eingeführt worden. Die Gefahr gehe bereits von bestimmten Glaubensvereinen in Österreich aus, die das Entstehen einer Parallelgesellschaft fördern würden. "Ich will nicht schon wieder diesen Kitsch hören, dass das nur arme Muslime sind, die man am Beten hindert", wetterte der Ankläger. "Bei den Vereinen ist immer weggeschaut worden, weil man gesagt hat, das ist halt ihre Kultur. Aber die terroristische Vereinigung beginnt hier, wo kleine Kinder so erzogen werden." Die Ideologien "werden unerträglich, wenn sie sich zur Religion machen", war der Staatsanwalt überzeugt. "So viel wie die Inquisition mit dem katholischen Glauben zu tun hat, so viel haben diese Organisationen mit dem Islam zu tun."
Der Verteidiger der vierten Angeklagten Kata O., die als Einzige in allen Punkten geständig war, rügte den Vortrag als "Lehrstunde in reinstem Populismus." Der Ankläger habe nur seine "von nur wenigen Fakten gedeckte Version" präsentiert, er habe damit "kaum einen Bezug zu unserem Verfahren herstellen könne." Seine Mandantin habe jedenfalls ihren Entschluss, mit den drei Kindern ihrem Mann nach Syrien zu folgen "zutiefst bereut."
Alle vier wurden wegen Teilnahme an einer terroristischen Organisation und krimineller Vereinigung für schuldig befunden. Enes S., Michaela S. und Hasan O. wurden jeweils zur Höchststrafe von zehn Jahren verurteilt, Katka O. zu neun Jahren. Enes S. wurde vom Vorwurf des versuchten Mordes als terroristische Straftat freigesprochen. Alle vier Beschuldigten kündigten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, der Staatsanwalt kündigte im Fall des Mord-Freispruchs Nichtigkeitsbeschwerde und bei Katka O. Berufung an. Der Richter betonte, dass die Höchststrafen verhängt wurden, um zu zeigen, "dass der Staat Österreich so etwas nicht akzeptiert." Das Urteil ist nicht rechtskräftig.