Prozess in Wien

Justiz irrte: "Ungefährlicher" drohte mit Bomben

28.09.2016

Der Richter sah keinen Grund für die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt.

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© TZOe Lisi Niesner
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 Eine krasse Fehleinschätzung ist im heurigen Frühjahr einem Richter des Wiener Straflandesgerichts unterlaufen. Er sah keinen Grund, einen 27-jährigen Mann, der telefonisch die Sprengung des Bahnhofs Meidling angekündigt hatte, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen. Der Richter hielt den Mann für nicht gefährlich.

Mehrere Bombendrohungen

Nur wenige Minuten nach der Verhandlung lief der 27-Jährige seiner Sozialarbeiterin davon, eilte in eine Telefonzelle und drohte neuerlich mit einem Bombenanschlag. In weiterer Folge griff der seit Kindesbeinen psychisch auffällige Mann, der im Alter von neun Jahren erstmals behandelt wurde, immer öfter zum Hörer. Zwischen 22. April und 14. Mai drohte er fünf Mal mit der Sprengung der Telekom-Zentrale, drei Mal ging ein ähnlicher Anruf bei der Telefonseelsorge der Erzdiözese Wien ein. Einen dieser Anrufe tätigte er in einer Telefonzelle im Otto-Wagner-Spital (OSW), wohin er zur fachärztlichen Begutachtung bzw. Behandlung gebracht worden war, nachdem der offensichtlich Verwirrte vom der Polizei aufgegriffen worden war.

Auch der ÖAMTC wurde in Furcht und Unruhe versetzt. Weil er nicht weiterverbunden wurde, teilte der 27-Jährige einem Mitarbeiter in der Telefonzentrale mit, er habe einen Rucksack mit Dynamit hinterlegt.

Psychische Erkrankung?

Wegen all dieser neuerlichen Bombendrohungen stand heute, Mittwoch, die nächste Verhandlung im Grauen Haus auf dem Programm. Derselbe Gutachter, der den 27-Jährigen im April noch als psychisch krank, aber zurechnungsfähig eingestuft hatte - den damaligen Richter hatte diese Einschätzung nicht überzeugt, er war daher in seiner Entscheidung von der Expertise des Sachverständigen abgerückt -, bescheinigte diesem ein halbes Jahr später Zurechnungsunfähigkeit und eine damit einhergehende mangelnde Schuldfähigkeit. Auf Basis dessen beantragte die Staatsanwaltschaft nun die Unterbringung des Mannes in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, während sie im April noch seine Bestrafung verlangt hatte.

Der 27-Jährige hinterließ vor dem Schöffensenat den Eindruck eines psychisch kranken Mannes. Immer wieder kicherte er vor sich hin, hielt sich die Hände in Kleinmädchen-Manier vor bzw. steckte diese in den Mund. Oft wachelte er sekundenlang mit abgespreizten Fingern mit der rechten Hand durch die Luft. "Sind Sie die Richterin? Sind sie nett?", wollte er eingangs von der Vorsitzenden Sonja Höpler-Salat wissen. "Ich bin eine nette Richterin. Wenn Sie nett sind, bin ich es auch", erwiderte diese.

Auf die Frage, warum er mit Bomben und Anschlägen gedroht hätte, meinte der 27-Jährige: "Weil mich die Leute immer beschimpfen. Arschloch sagen sie zu mir und Blödmann." Da mache er dann "solche Sachen", "aber nicht um die Polizei zu ärgern". Vielmehr sei es seine Absicht, "dass die Polizei kommt und mir in der Sache hilft. Aber die Polizei sagt immer nur, sie sind nicht zuständig bei solchen Beschimpfungen.

27-Jähriger "nicht behandelbar"

Als "Grenzfall in allen Bereichen" bezeichnete Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer den 27-Jährigen, der zuvor in seiner Einvernahme erklärt hatte, er sei paranoid-schizophren. Dantendorfer korrigierte das. Der Mann leide an einer "irreversiblen Störung der Hirnfunktion". Diese ist laut Gutachter "nicht behandelbar".

Seit seiner Inhaftierung - der 27-Jährige wurde Mitte Mai festgenommen und wird seither in der psychiatrischen Abteilung der Justizanstalt Wien-Josefstadt angehalten - "kriegt er das Beste an Medikamenten", sagte Dantendorfer. Ungeachtet dessen sei sein Zustand seit April, als er noch nicht medikamentös behandelt wurde, "sicher nicht besser" geworden: "Die Medikamente sind nicht in der Lage, sein Zustandsbild zu verbessern. Sie können allenfalls seine Energie und seinen Antrieb dämpfen." Eine "nachhaltige Stabilisierung seiner Steuerungsfunktionen" sei nicht zu erwarten, meinte Dantendorfer.

Insgesamt fünf Vorgutachter - Dantendorfer eingeschlossen - hatten den Mann für zurechnungsfähig eingestuft, der 2007 erstmals strafrechtlich auffällig wurde. Er beging kleinere Ladendiebstähle und Sachbeschädigungen, auch beim Onanieren in der Öffentlichkeit wurde er erwischt. In Haft landete er nie. Erst als der Mann telefonisch ankündigte, den Meidlinger Bahnhof in die Luft zu jagen, stand erstmals seine zwangsweise Anhaltung im Raum. Der Richter, der im vergangenen April die Verhandlung nach den ersten Bombendrohungen leitete, hielt das aber für nicht erforderlich, weil er den Mann als harmlos einschätzte.

Verhandlung vertagt

Die Zentrale der Telekom, bei der nach diesem Prozess fünf Bombendrohungen des 27-Jährigen eingingen, wurde übrigens kein einziges Mal evakuiert. "Polizeijuristen und der Verfassungsschutz haben uns geraten, nicht zu räumen", erläuterte ein Telekom-Vertreter dazu dem Schöffensenat. Die Experten hätten befunden, dass im Fall des Falles mit einem größeren Schaden zu rechnen sei, wenn sich die zahlreichen Mitarbeiter vor dem statt im Gebäude befänden.

Die Verhandlung wurde auf Anfang November vertagt. Richterin Sonja Höpler-Salat möchte in einer Sozialnetzkonferenz klären, ob eine Pflegeeinrichtung bereit ist, den Mann unter engmaschiger Kontrolle aufzunehmen, nachdem der psychiatrische Sachverständige betont hatte, dieser wäre in einer betreuten Wohngemeinschaft, "aus der er nicht weg kann", besser aufgehoben als im Maßnahmenvollzug. Eine entsprechende Überwachung ist für Dantendorfer unbedingt erforderlich. Ansonsten sei "mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass es wieder zu Straftaten mit schweren Folgen kommt".

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