Fiktiver Ort

"Queerinthia": Große Bühne für das queere Kärnten in Klagenfurt

Regisseur Noam Brusilovsky lässt das Publikum mitklatschen und mitweinen.

Ktn. Nach der mit einem Nestroy prämierten Produktion "Nicht sehen" über die Missbrauchsopfer des Kinderarztes Franz Wurst bringt der deutsch-israelische Theatermacher Noam Brusilovsky wieder ein Tabu-Thema ins Klagenfurter Stadttheater. Die Premiere von "Queerinthia" am Donnerstag ist zur bunten Show aus fiktiver Rahmenhandlung und persönlichen Schicksalen geworden: berührend, aber kein Theaterstück.

Sie kommen der Gesellschaft in die Quere, machen nicht mit bei deren normativen Moralvorstellungen, sind "vom anderen Ufer" und wollen einfach nur sie selbst sein können: queere Menschen, das meint Homosexuelle, Nicht-Binäre, Transgeschlechtliche und Ähnliches mehr, die auch unter dem Begriff LGBT zusammengefasst werden. Das muss vielleicht da und dort erklärt werden. Die Verfemung und das Unsichtbar-Machen dieser gar nicht so wenigen "Außenseiter" hingegen kaum. Denn in Literatur, Film und Medien ist das Thema allgegenwärtig.

Lehrreich, aber nicht pädagogisch

Wie Noam Brusilovsky dem im Stadttheater eine große Bühne bereitet hat, ist lehrreich, ohne pädagogisch sein zu wollen, humorvoll ohne derbe Kalauer und sinnlich, ohne voyeuristisch zu sein. Mit Brigitte Soucek und Kristof Gellen geben zwei Profi-Schauspieler teils moderierend, teils mit ihren persönlichen Geschichten den rund zweieinhalb Stunden Halt. Die Singer-Songwriterin Fabienne Velina sorgt mit ruhigen Balladen an der Gitarre für Nachdenklichkeit, die grandiose Kärntner Dragqueen Klara Mydia für schrille Unterhaltung. Köstlich und bezeichnend, wie sie als Playback-Sängerin mit einem Zeltfest-Hit über "Bergbauernbuam" das Theaterpublikum zum Mitklatschen brachte!

Mit Enis Husic, Matthias Winkler und Mika Janez Palmisano kehren drei weitere queere Amateurdarstellerinnen ihr Innerstes nach außen. Sie treten mit sehr persönlichen (Flucht-)Geschichten für eine offene Gesellschaft ein und scheuen sich auch nicht, mit Kurzvideos (Max Hilsamer) Einblick in ihre Leben zu gewähren. Es sind oft Leben voll Angst und Scham, aber auch voll Liebe und Lebensfreude. Das vermittelt dieses dokumentarische Theater kurzweilig und detailreich - von den bunten Kreationen des Schuhdesigners und Darstellers Matthias Winkler bis zu den oft witzigen Textanmerkungen (mitgestaltet von Lotta Beckers), die von Kasnudeln bis Eishockey, Windrädern bis Trachtenmode zahlreiche Kärnten-Klischees auf die Schaufel nehmen.

Hassparolen und Drohungen

Was im ersten Teil wie ein Kindertheaterstück beginnt und dann Showcharakter annimmt, wird nach der Pause zur Geschichtsstunde und Gedenkveranstaltung für die Opfer schwulenfeindlicher Politik und Gesellschaft. Die es auch in der Kärntner Gegenwart gibt: Auf die Ankündigung des Theaterprojektes im Internet folgten Hassparolen und Drohungen in den sogenannten sozialen Medien, wie Dragqueen Klara, Tränen der Empörung nahe, erzählt: "Leute, was geht ab da draußen?!" Und Kristof ergänzt: "Nachts, wenn alle b'soffen sind, versteck' ich meine Perlenkette."

Dass die fünf Amateurdarsteller jeweils Eigenwerbung (für Aids-Hilfe, einen Veranstaltungsraum etc.) betreiben und gelegentlich auf die Texthilfe der Souffleuse (die sei hier einmal erwähnt: Selina Zimek) angewiesen sind, stört nicht. Dass die Rahmenhandlung von dem queeren Dorf in den Karawanken, das die sich abgrenzenden Talbewohner zu einem gemeinsamen Fest einladen will, nur ein schwaches Gerüst ist, machen die redundanten Proklamationen allerdings noch nicht zu einem abendfüllenden Theatererlebnis. Als Diskussionsgrundlage für Schulveranstaltungen empfiehlt sich "Queerinthia" aber auf jeden Fall.

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