Natascha rechnet nach abgewiesener Entschädigungszahlung ab.
Die abgewiesene Entschädigung der Republik Österreich, ein neues Ermittlungsverfahren in Innsbruck und der „Angriff“ auf ihre Eltern: Natascha Kampusch war in den letzten Wochen täglich in den Medien. Seit fast einem Jahr hat die 22-Jährige kein Interview in Österreich gegeben. Zu groß war die Angst, dass ihr wieder vorgeworfen wird, sie dränge sich in die Öffentlichkeit.
In ÖSTERREICH nimmt sie nun erstmals zu den aktuellen Fällen Stellung:
- Dass die Republik ihre Entschädigungszahlung zurückgewiesen hat, mache sie traurig: „Es ging ja nicht um den Geldbetrag, den ich ohnedies gespendet hätte, sondern es ging darum, sich zu entschuldigen.“ Nachsatz: „Und dann erfahre ich, dass Herr Mensdorff aus dem Ausland eine supertolle Entschädigung dafür bekommt, dass er einige wenige Tage im Gefängnis war.“
- Mit ihrem Vater Ludwig Koch hat Natascha zwar nach wie vor keinen Kontakt, der Angriff („Er ist unreif“) in einem Interview mit der italienischen Zeitung Corriere della Serra tut ihr aber leid: „Das war nicht als Beleidigung zu verstehen.“ Eine Aussprache mit ihm will sie dennoch nicht.
Kampusch macht Lehre zur Goldschmiedin
Derzeit ist Kampusch viel unterwegs. Sie reist ein- bis zweimal pro Monat ins Ausland, um ihr Buch 3096 Tage vorzustellen. Diesen Mittwoch bekommt sie im Wiener Rathaus den Buchlieblings-Preis überreicht.
Nebenbei macht sie eine zweijährige Goldschmiedelehre und denkt bereits an ihr nächstes Buch-Projekt: der zweite Teil ihrer Biografie seit der Befreiung im Jahr 2006.
2012 will die Constantin Film mit dem Dreh des Kampusch-Films beginnen: „Nach dem Tod von Bernd Eichinger ist aber noch nicht ganz klar, was daraus wird“, so Natascha.
Privat ist Kampusch nach wie vor Single: „Liebesbeziehungen werden überschätzt.“ Ihre einzigen Mitbewohner: drei Fische.
Das große Interview mit Natascha Kampusch
ÖSTERREICH: Frau Kampusch, Sie erhalten am Mittwoch den Buchlieblings-Preis für Ihre Biografie. Ist diese Auszeichnung für Sie eine Bestätigung?
Natascha Kampusch: Ich sehe das als eine Art Anerkennung. Ich war sehr überrascht, dass das Buch so gut angenommen wurde. Ich hätte mir mehr Kritik erwartet. Viele Leute haben zu mir gemeint: „Jetzt verstehe ich Sie endlich.“ Die Menschen wurden mir gegenüber offener.
ÖSTERREICH: Trotzdem polarisieren Sie noch immer sehr. Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, dass Sie zu sehr in die Öffentlichkeit drängen.
Kampusch: Das ist mein erstes Interview in Österreich seit fast einem Jahr. Ich glaube nicht, dass man das als Drang in die Öffentlichkeit bezeichnen kann. Aber wenn Menschen so etwas sagen, kränkt mich das schon.
ÖSTERREICH: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Kampusch: Ich möchte mich karitativ betätigen und mache eine Ausbildung zum Goldschmied, die zwei weitere Jahre dauern wird.
ÖSTERREICH: Derzeit sind Sie wegen Ihres Buches ja viel unterwegs.
Kampusch: Ich reise viel, um mein Buch vorzustellen, bin ein- bis zweimal im Monat im Ausland. Das ist sehr anstrengend, aber auch interessant. Amsterdam hat mir zum Beispiel besonders gut gefallen.
ÖSTERREICH: Könnten Sie sich vorstellen, noch ein Buch zu schreiben?
Kampusch: Ja, daran habe ich schon gedacht. Es würde um die Zeit nach der Selbstbefreiung gehen. Eine Revue dessen, was mir seitdem alles passiert ist.
ÖSTERREICH: Ein Thema war zuletzt auch Ihre Entschädigungs-Forderung an die Republik, die abgewiesen wurde. Sind Sie enttäuscht?
Kampusch: Es macht mich einfach traurig, dass nicht einmal eine Entschuldigung gekommen ist. Ein Statement, dass es den Behörden leid tut, dass sie den stichhaltigen Hinweisen auf den Entführer nicht genauer nachgegangen sind. Ich wurde nur per Brief, in nüchternem Amtsdeutsch verfasst, informiert.
ÖSTERREICH: Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass die Republik Ihnen keine Entschädigung zahlen wird?
Kampusch: Auf der einen Seite war eine gewisse Erleichterung darüber da. Durch eine Entschädigungszahlung hätte ich sicher den Ärger einiger Kritiker auf mich gezogen. Auf der anderen Seite war es ein Gefühl der Resignation. Wegen der schlampigen Ermittlungsarbeit musste ich achteinhalb Jahre in Gefangenschaft verbringen. Ich werde damit leben müssen, dass der Staat das nicht einsieht. Es ging ja nicht um den Geldbetrag, den ich ohnedies gespendet hätte, sondern es ging darum, sich zu entschuldigen. Und dann erfahre ich, dass Herr Mensdorff aus dem Ausland eine super tolle Entschädigung (430.000 Euro, Anm. d. Red.) dafür bekommt, dass er einige wenige Tage im Gefängnis war.
ÖSTERREICH: Was war Ihrer Meinung nach die größte Ermittlungspanne?
Kampusch: Als die Polizei den Täter aufsuchte, hatten die Beamten nicht einmal Suchhunde dabei. Ich meine, dass macht man ja auch, wenn man Drogen aufspüren will. Wie sollte ich da gefunden werden, wenn sie gleichzeitig das Haus nicht betreten. Dann gab es einen konkreten Hinweis auf Priklopil, noch dazu von einem Polizisten. Diesem Hinweis wurde nicht einmal nachgegangen.
ÖSTERREICH: Immer wieder tauchen Theorien auf, wonach Priklopil Mittäter hatte.
Kampusch: Ich habe immer nur einen Täter gesehen und ich kann beim besten Willen keine Auskunft über andere Dinge geben. Ich kann immer nur bei dem bleiben, was ich erlebt habe. Ich kann ja nicht sagen, was der Täter unternommen hat, während ich unten eingesperrt war. Ich denke, man sollte stattdessen lieber herausfinden, was das Motiv war.
ÖSTERREICH: In einem Interview mit einer italienischen Zeitung haben Sie gemeint, Ihre Eltern wären bei Ihrer Geburt nicht bereit gewesen, Kinder zu haben und Ihr Vater sei unreif.
Kampusch: Hier ist einiges, nicht zuletzt durch die Übersetzung, durcheinander gebracht worden. Das war nicht als Beleidigung gegenüber meinem Vater zu verstehen. Ich wollte eigentlich erklären, warum nach so einer langen Entführung nicht sofort ein normales Verhältnis mit meinen Eltern entstehen konnte. Aber ich habe mir echt Gedanken gemacht, ob das, was ich gesagt habe, wirklich so beleidigend war. Es tut mir auch jetzt im Nachhinein leid.
ÖSTERREICH: Wie ist der Kontakt zu Ihrer Mutter?
Kampusch: Wir telefonieren viel und unternehmen einiges miteinander, sofern es unsere Zeit erlaubt.
Den zweiten Teil des Interviews mit Natascha Kampusch lesen Sie morgen in ÖSTERREICH.
Interview: Niki Fellner