Schon Stunden vorher waren alle Plätze bei ihrem Auftritt belegt.
"Ich wollte ein neues Leben beginnen" - so begründete Natascha Kampusch bei der Lesung aus ihrer Autobiografie das Niederschreiben ihrer Erlebnisse in der Gefangenschaft. "Jetzt steht es da drinnen, jetzt muss ich mich nicht mehr damit befassen." Auf 284 Seiten schildert die 22-Jährige ihr mehr als acht Jahre dauerndes Martyrium vom Tag der Entführung bis zur Flucht. Sichtlich nervös, mit teilweise zittriger Stimme las sie fünf Passagen aus "3096 Tage" in der Buchhandlung Thalia in der Landstraße vor. Die rund 800 Personen im Publikum zeigten sich beeindruckt und gerührt.
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Immer wieder schweifte Kampuschs Blick zu ihre Mutter Brigitta Sirny in der ersten Reihe. Besonders wenn es darum ging, dass sie in ihrer Gefangenschaft ihre Familie vermisste, sah sie zu Sirny. Nach dem Vorlesen einer Textstelle über den Tag der Flucht, warf sie ihr ein breites Lächeln zu. Sie sei sehr stolz auf ihre Tochter, betonte Sirny nach Lesung. Sie habe schon angefangen, "3096 Tage" auch selbst zu lesen, sei aber noch nicht fertig.
Betroffenheit
Die Zuhörer der Lesung nahmen Kampuschs Geschichte sichtlich betroffen auf. "Beeindruckend, das hätte ich mir nicht gedacht", sagte ein Geschäftsmann aus der Landstraße. Eine Beratungslehrerin aus Kampuschs ehemaliger Volksschule hofft, dass mit dem Buch die Vorurteile über das Entführungsopfer abgebaut werden. "Sie ist ein liebes Mädchen", sagte sie. "Ich finde sie großartig und sie soll so weitermachen", meinte eine junge Mutter.
Verfilmung
Kampuschs selbst denkt im Bezug auf ihre Zukunft derzeit besonders an die bevorstehende Verfilmung ihrer Geschichte: "Es ist auch interessant, diese Paranoia des Täters zu zeigen und wie ein Mensch in einem so kleinen Raum leben kann, ohne verrückt zu werden", meinte sie zu ORF-Moderator Christoph Feurstein, der durch die Lesung führte. "Es ist eigentlich ein Hollywood-Stoff, aber es wird kein Hollywood, sondern eine deutsche Produktion."
Verfilmungsangebote kurz nach ihrer Flucht im Jahr 2006 habe sie aus Angst vor kitschigen TV-Streifen abgelehnt: "Ich habe das damals pietätlos gefunden." Mit der Zeit habe sie mehr Abstand zu den Geschehnissen gewonnen und könne bei der Entstehung des Drehbuchs mitbestimmen. "Es beruhigt mich, dass ich Einfluss nehmen kann", betonte die 22-Jährige, die in einem beigen Seidenkleid und hohen Stöckelschuhen vor ihr Publikum trat.
Sichtlich aufgeregt
Angesichts der vielen Menschen zeigte sie sich sichtlich aufgeregt. "Ich bin sprachlos", meinte sie zu Beginn. "Es ist irgendwie wie im Theater. Es ist irgendwie seltsam vor so viel Publikum." Mehrmals suchte sie lächelnd Augenkontakt mit bekannten Gesichtern, ihre auf den Knien ruhende oder verschränkten Arme verrieten ihre Nervosität. Selbstsicher wirkte sie, wenn sie über ihr jetziges Leben in Freiheit sprach: "Immer mehr habe ich gemerkt, dass ich keinen Zugang zu den Menschen habe. Wie denn auch? Mir fehlen ja acht Jahre."
Insgesamt sorgte ein 31-köpfiges Security-Team des Österreichischen Wachdiensts (ÖWD) für Sicherheit bei der Lesung. Es kam zu keinen Zwischenfällen. Auch vonseiten der Polizei wurden keine Vorkommnisse berichtet. Kampusch wurde vor der Lesung nach einem Fototermin für Journalisten über einen Notausgang in das Geschäft auf der Landstraßer Hauptstraße geschleust. Thalia-Filialleiterin Michaela Bokon war mit dem Verkauf des Buches nach der Lesung zufrieden: "Es läuft sehr, sehr gut."
Das schreibt Natascha in ihrer Biografie:
Priklopils Idol war Adolf Hitler
In ihrem Buch skizziert Natascha Kidnapper Wolfgang Priklopil als extrem verklemmten Menschen – der jedoch gleichzeitig an Größenwahn litt: "Eines der Bücher, auf das der Täter besonderen Wert legte, war 'Mein Kampf' von Adolf Hitler. Er sprach oft und mit Bewunderung von Hitler und meinte: 'Der hatte recht mit der Judenvergasung.' Sein politisches Idol war Jörg Haider, der Rechtsaußen-Führer der Freiheitlichen Partei. Er fühlte sich als Herrenmensch. Ich war der Mensch zweiter Klasse."
Priklopil hatte ein perfides System, um sein Opfer ständig zu demütigen und seine Missachtung spürbar zu machen. Natascha musste sich an fixe, perverse Regeln halten: "Ich musste immer im gleichen Abstand zu ihm stehen und gehen – einen Meter, nicht mehr, nicht weniger, sonst rastete er sofort aus."
Auch durfte Natascha den Entführer nie anblicken: "Er verlangte, dass ich den Kopf immer gesenkt halte, den Blick nie hebe. Er sagte: 'Ich bin ein ägyptischer Gott, du musst mir in allem folgen. 'Ich bin dein König', sagte er, 'und du bist meine Sklavin, du gehorchst.'"
Nataschas Vorleben war für den brutalen Sonderling absolut tabu, er schwelgte in Allmachtsfantasien: "Ich durfte meine Eltern nicht mehr erwähnen und von nichts sprechen, was ich vor der Gefangenschaft erlebt hatte. Wenn ich meine Eltern erwähnte, bekam er einen Wutanfall. 'Ich habe dich gerettet', sagte er immer wieder. 'Du hast keine Familie mehr. Ich bin dein Vater, deine Mutter, deine Oma und deine Schwestern. Ich bin jetzt alles für dich. Du hast keine Vergangenheit mehr', bläute er mir ein. 'Du gehörst nur mir. Ich habe dich erschaffen.'"
Parierte Natascha nicht auf seine zahlreichen, abartigen Forderungen, wurde der Kidnapper sofort wütend: "Wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann muss ich dir das Licht abdrehen. Wenn du nicht brav bist, muss ich dich fesseln."
Fruchteten die Drohungen nicht, griff Priklopil zur Gewalt: "Als ich einmal zu langsam auf eine seiner Anweisungen reagierte, warf er ein Stanleymesser gezielt nach mir. Die scharfe Klinge bohrte sich in mein Knie."