Welt-Sensation
"Meine Hand kann denken"
27.05.2011
Patrick (23) ist der erste
Patient, der mit einer bionischen Prothese lebt.
Schuhe binden, Auto fahren, mit der Freundin Hand in Hand gehen. Selbstverständliche Dinge, die Patrick Mayrhofer lange nicht tun konnte.
Es passierte am 9. Februar 2008, als sich das Leben des damals knapp 20-jährigen Elektrikers aus Helfenberg im Mühlviertel für immer änderte. Bei der Arbeit geriet Patrick schuldlos in den Stromkreis. „Ein Kollege hat beim falschen Kabel die Spannung eingeschaltet“, erzählt er.
An diesem Kabel arbeitete Patrick gerade. Die Folge: schwerste Verletzungen an beiden Händen und den Beinen. Notarzthubschrauber, Not-OP, wochenlang auf der Intensivstation im Wiener AKH, danach Reha.
Die Wunden an den Beinen verheilten. Die rechte Hand konnte mit allen chirurgischen Tricks gerettet werden.
Keine Hoffnung
Die linke Hand, deren kleiner Finger auch amputiert werden musste, blieb funktionsuntüchtig (er konnte nur zwei Fingerspitzen leicht bewegen). Medizinisch blieb nichts unversucht, die Hand zu retten. Top-Mediziner Oskar Aszmann transplantierte Muskeln und Sehnen aus den Beinen in die Hand. Vergeblich. „Da bin ich in ein sehr tiefes Loch gefallen“, erinnert sich Patrick heute. „Das Schwierigste war, banale Alltagstätigkeiten nicht mehr tun zu können.“
Selbsthilfe
Nur mit Unterstützung seiner Familie und von Freundin Isabella fand er einen Weg aus dem Tief. Patrick beschloss, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Im Internet fand er einen Ausweg aus seiner Behinderung: die „Bionischen Hände“ der Firma Otto Bock. Das Revolutionäre: Diese Prothesen sind allein mit Gedankenkraft zu steuern. Elektroden im Innenschaft werden direkt auf der Haut angesetzt. Wenn das Gehirn zum Beispiel den Befehl „Hand aufmachen“ gibt (also daran denkt), „übertragen“ die Muskeln einen Reiz auf die Elektroden. Diese messen den Impuls und setzen dies dann in eine Bewegung um.
Mit der Unterstützung von Aszmann testete Patrick eine Reihe von Prothesen. „Ich war sofort begeistert und wusste: Das ist genau das Richtige für mich“, sagt Patrick.
Dennoch konnte die nötige Amputation der gehandicapten Hand nicht so ohne Weiteres durchgeführt werden. „Bionische Rekonstruktion, so etwas gab es bis dahin nicht“, erklärt Aszmann. „Auch ich fragte mich: Wohin gehen wir da jetzt?“
Happy End
Eine Ethikkommission blockierte sechs Monate lang die OP. „Eine Hand zu amputieren und durch etwas Technisches zu ersetzen, das war eine dramatische Grenzverschiebung“, erklärt Aszmann die Bedenken. Nach einem eigens einberufenen Symposion gab es schließlich grünes Licht.
Und dann ging alles sehr schnell. Die Hand wurde amputiert, fünf Wochen später wurde die Prothese angepasst. „Es hat sofort super funktioniert“, strahlt Patrick. Simple Alltagstätigkeiten waren wieder möglich. Kleine Fehler passierten am Anfang, doch bis heute hat Patrick nicht einmal ein Glas fallen lassen. Sein Schicksal gibt vielen Hoffnung.
ÖSTERREICH: Was passierte an dem Tag, der Ihr Leben veränderte?
Patrick Mayrhofer: Ich hatte einen Starkstromunfall. Ich habe als Elektriker gearbeitet und bin in den Stromkreis geraten. Ein Kollege hat die Spannung am falschen Kabel eingeschaltet. Der Unfall ist ohne meine Schuld passiert.
ÖSTERREICH: Aber die Folgen waren verheerend …
Mayrhofer: Ja, am Oberschenkel war ich schwer verletzt, der Daumen der rechten Hand musste amputiert werden, die linke Hand wurde bis zum Unterarm zerstört. Ich war wochenlang im Krankenhaus und auf Reha.
ÖSTERREICH: Was geschah mit Ihrer linken Hand?
Mayrhofer: Der kleine Finger musste amputiert werden, aus dem Ringfinger formte mein Arzt, Professor Aszmann, den Daumen für die rechte Hand. Die restliche Hand blieb funktionsuntüchtig, obwohl medizinisch alles versucht wurde. Vom AKH bin ich da immer sehr gut betreut worden.
ÖSTERREICH: Was hat das bedeutet?
Mayrhofer: Ich konnte nicht mehr arbeiten. Ich war sehr hilflos, das war eine sehr schwere Zeit für mich. Nicht einmal die einfachsten Dinge im Alltag habe ich geschafft. Das war das Schwierigste. Schuhe binden, Hemd zuknöpfen, mit Messer und Gabel essen – bei allem habe ich Hilfe gebraucht.
ÖSTERREICH: Wer hat Ihnen damals geholfen?
Mayrhofer: Ich war damals wirklich in einem sehr tiefen Loch drinnen. Meine Familie und meine Freundin Isabella haben mir da aber wieder rausgeholfen.
ÖSTERREICH: Wie kamen Sie dann zu Ihrer neuen Hand?
Mayrhofer: Ich habe ständig im Internet recherchiert und bin dann auf die Prothesen von der Firma Otto Bock gestoßen, die nur mit Gedanken gesteuert werden. Ich habe dann gleich mit meinem Arzt darüber gesprochen. Gemeinsam mit ihm hat mir die Firma ermöglicht, die Hände zu testen. Ich war von Anfang an total begeistert und bin mit der Prothese super zurecht gekommen. Schon nach ein paar Stunden habe ich erste Gegenstände greifen können. Zwei Jahre lang habe ich das nicht tun können. Das war der Moment, wo ich gewusst habe: Das will ich.
ÖSTERREICH: Ist Ihnen die Entscheidung, Ihre biologische Hand amputieren zu lassen, leicht gefallen?
Mayrhofer: Mir schon. Ich habe mich natürlich mit meiner Familie und der Isabella beraten, aber die haben mich voll unterstützt. Mir war klar, dass ich die Funktion meiner Hand nicht mehr gewinnen werde. Allerdings hat die Ethikkommission die Amputation ein halbes Jahr lang blockiert. Die haben das total kritisch gesehen, weil es noch keine Erfahrungswerte gegeben hat.
ÖSTERREICH: Aber dann haben Sie grünes Licht bekommen …
Mayrhofer: Ja, und schon zwei Monate später war die Amputation. Fünf Wochen später ist meine Prothese mit einem Gipsabdruck angepasst worden.
ÖSTERREICH: Was hat Ihre Freundin zu Ihrer Entscheidung gesagt?
Mayrhofer: Sie war von Anfang an dabei. Wir sind schon seit vor dem Unfall zusammen. Aber wie ich dann mit der neuen Hand nach Hause gekommen bin, das war ein sehr schöner Moment.
ÖSTERREICH: Hat die Hand sofort gut funktioniert?
Mayrhofer: Sicher habe ich am Anfang kleine Fehler gemacht. Aber ich habe bis heute kein Glas fallen gelassen. Mittlerweile muss ich die Befehle an die Hand nicht mehr gedanklich steuern. Das läuft schon alles im Unterbewussten.
ÖSTERREICH: Welche Sache ist Ihnen am meisten abgegangen, die Sie jetzt wieder tun konnten?
Mayrhofer: Es war gar nicht eine bestimmte Sache, sondern einfach, dieses schlimme Gefühl der Hilflosigkeit nicht mehr zu haben.
ÖSTERREICH: Können Sie heute wieder arbeiten?
Mayrhofer: Ja, ich bin in derselben Firma wie früher und arbeite dort im Büro. Zusätzlich mache ich jetzt die Fachakademie in Automatisierungstechnik. Zuerst habe ich davor ein bisschen Angst gehabt. Aber heute merke ich: Ich stehe meinen gesunden Kollegen in nichts nach.