Sensations-Enthüllung zeigt: Kampusch sagte immer die Wahrheit
Die ansonsten oft unterkühlt wirkende Natascha Kampusch lächelte zufrieden. Da hatte sie gerade auf einem Laptop in einem Wiener Hotel wichtige Passagen aus einem neuen Buch gelesen, dessen 416 Seiten zu einem Triumph der heute 28-Jährigen werden könnten. Der Entführungsfall Natascha Kampusch – die ganze beschämende Wahrheit des Ex-Kriminalisten Peter Reichard ist seit Montag auf dem Markt. Ein Thriller, der minutiös den spektakulären Fall nacherzählt (siehe Kasten).
Natascha kam nicht allein zu dem Treffen mit Autor Reichard. Sie hatte ihren langjährigen Therapeuten dabei, der auch nach seiner Pensionierung eng mit Kampusch verbunden ist. Er las das Manuskript auf dem iPad von Reichards Frau Evelyne.
© APA/ Repro/ Bundeskriminalamt
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Der Autor: »Kampusch stand wie Lügnerin da«
„Frau Kampusch ist nicht vor Begeisterung aufgesprungen, dafür ist sie einfach nicht der Typ“, sagte Peter Reichard zu ÖSTERREICH: „Aber sie hat häufiger geschmunzelt und sehr positiv reagiert.“ Nur kleine Veränderungen hat Natascha Kampusch vorgenommen, die schließlich auch in das neue Enthüllungsbuch eingeflossen sind.
Das Ergebnis jahrelanger, penibler Recherche ist ein Schlag ins Gesicht aller Verschwörungstheoretiker, die auch zehn Jahre nach der Befreiung Kampuschs an ihren Theorien festhalten. Danach sei der Entführer Priklopil kein Einzeltäter gewesen, sein Freitod wird zum Mord verklärt. Sogar Verbindungen ins Rotlicht und in die Pädophilen-Szene wurden konstruiert: „Alles Quatsch“, sagt Peter Reichard, der quasi mit allen Beteiligten persönlich gesprochen und sich regelmäßig mit Kampusch und deren Familie getroffen hat.
"Sie leidet noch immer"
Der Hamburger Dokumentarfilmer und Autor: „Durch diese ständigen Theorien stand Natascha Kampusch wie eine Lügnerin da. Sie hat gelitten und leidet noch immer. Ich wollte dieses Buch ursprünglich nicht machen. Aber ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, die Wahrheit für mich zu behalten. Das Buch ist eine Nothilfe für ein Opfer, das immer die Wahrheit gesagt hat.“
Das Buch: 416 Seiten, voll mit neuen Details
Das neue Kampusch-Buch fesselt von der ersten Seite an. Darin schildert Peter Reichard bis ins kleinste Detail den Entführungsfall und die Folgen, zeichnet ein Tagebuch des achtjährigen Martyriums. Er beginnt am 2. März 1998 um 7 Uhr in der Früh.
- Entführung bis Befreiung. Von der Einvernahme der einzigen Entführungs-Zeugin über Inhalte der Ermittlungsakten und Kampusch-Aussagen – es ist lückenlos. Die Chronologie endet mit der Befreiung. „Es zeigt, dass sich die offiziellen Stellen Österreichs von Verschwörungstheoretikern treiben ließen“, sagt Reichard.
- Video-Protokolle. Einen eigenen Abschnitt widmet der Autor Video-Protokollen, die Entführer Wolfgang Priklopil an Geburtstagen, zu Weihnachten und Ostern angefertigt hatte. Es sind mehrere Bänder, der Umfang beträgt etwa zwölf Stunden.
- Demütigung. Die Aufnahmen zeigen, welchen Qualen und Demütigungen Natascha Kampusch während ihrer über achtjährigen Gefangenschaft ausgesetzt war. Das Kind musste fast ständig nackt im Verlies und im Haus herumlaufen. Priklopil vermaß das spindeldürre Mädchen Zentimeter um Zentimeter, bezeichnete sie als fett.
- Emanzipation. Sie muss bis zum Umfallen Stiegen rauf und runter rennen, sie muss den Haushalt führen, wird dauernd beschimpft. Wenn das Mädchen Fehler macht, wird es mit Essensentzug bestraft. Das Buch zeigt aber auch, wie sich Kampusch ihre Freiräume erkämpft und langsam Oberhand gewinnt.