Einer der größten Kritiker von Tschetschenen-Charf Kadyrow ist tot. Hingerichtet auf einem Gelände einer Kfz-Werkstatt vor den Toren Wiens.
So brutal es klingen mag, dieser Mord am Parkplatz in Gerasdorf kam nicht unerwartet. Schon lange wurde der Tschetschene Mamikhan U., genannt „Anzor von Wien“ und unter dem Decknamen Martin B. aktiv, mit dem Umbringen bedroht. Zu sehr hatte sich der 43-Jährige aus dem Exil heraus gegen Tschetscheniens Diktator Ramsan Kadyrow aufgelehnt.
Die Behörden hatten ihm Polizeischutz angeboten, er galt beim Verfassungsschutz als „gefährdete Person der tschetschenischen Diaspora“. Doch der bekannte Regimekritiker, der 2005 nach Österreich geflüchtet war, lehnte ab.
Rache. Stattdessen wurde seine Kadyrow-Kritik in Youtube-Filmen immer heftiger. Kadyrow-treue Tschetschenen hassten ihn und schworen Rache. So intensiv, dass er sogar den ukrainischen Politiker Ihor Mossijtschuk, den er einst vor einem Attentat warnte, darum bat, eine kugelsichere Weste für ihn zu besorgen.
Am Samstagabend wurde der 43-Jährige dennoch in eine Falle gelockt. Unter einem Vorwand lotsten ihn zwei Landsleute auf den Parkplatz des Einkaufscenters G3 in Gerasdorf im Bezirk Korneuburg vor den Toren Wiens. Die drei trafen sich auf dem Gelände einer Kfz-Werkstatt.
Inzwischen Komplize festgenommen
Gegen 19.30 Uhr fielen plötzlich mehrere Schüsse. Mamikhan U. brach blutüberströmt zusammen, war auf der Stelle tot. Der mehrfach vorbestrafte Schütze, Sar Ali A., wohnhaft in der Nähe von Linz, hatte ihm ein Projektil in den Kopf gejagt. Während der 47-jährige Tatverdächtige mit einem silbernen Audi mit Linzer Kennzeichen auf der A1 Richtung oberösterreichische Landeshauptstadt flüchtete, war es sein Komplize, der die Polizei alarmierte.
Der 37-Jährige wurde als Zeuge vernommen, verstrickte sich jedoch in Widersprüche. Seit Sonntag sitzt auch er in der JA Korneuburg. Dort saß bereits der mutmaßliche Killer, nachdem ihn Spezialkräfte der Cobra noch am Samstag um 20.40 Uhr im Linzer Stadtteil Kleinmünchen gestellt und festgenommen hatten.
Auftrag?
Derzeit schließt die Polizei einen Auftragsmord nicht aus. Bewiesen ist dies nicht, auch wenn die tschetschenische Community in diese Richtung spekuliert, zumal Kadyrow bereits in der Vergangenheit ähnliche Verbrechen in Auftrag gegeben haben soll (siehe S. 5). Die Erhebungen führt das Landesamt für Verfassungsschutz, es gilt die Unschuldsvermutung.
Aber weil das Opfer – zuletzt selbst wegen einer Gewalttat im Gefängnis – als Spitzel der Polizei nach der Sprengung einer Pizzeria in Hollabrunn eine Tschetschenen-Bande verpfiff, ist auch ein „rein krimineller“ Racheakt nicht ausgeschlossen …
Opfer bloggte im Netz gegen Regime
Allein seit Anfang April hatte Mamikhan U. als „Anzor von Wien“ 29 Youtube-Videos hochgeladen, in denen er das Regime im tschetschenischen Grosny wüst beschimpfte. Unter Exil-Tschetschenen kursiert sogar das Gerücht, dass Präsident Ramsan Kadyrow wegen der Beiträge einen Nervenzusammenbruch erlitten haben soll. Beweise hierfür fehlen freilich.
- Dieb am Volksvermögen: Den Diktator beschimpfte er als Dieb, der sogar das Volksvermögen stehlen würde. Wegen Kadyrow hätten die Menschen nichts zu essen.
- Sex-Listen: Der Wahl-Wiener machte auch vor den Frauen der tschetschenischen Politiker nicht halt, outete das Intimleben der Regierung und drohte mit Listen, auf denen zu sehen sei, wer mit wem Sex hatte.