Bekannter Videoblogger

Auftragsmord: Opfer hatte Diktator wüst beschimpft

05.07.2020

'Anzor of Vienna' war Gegner von Tschetschenen-Präsident Kadyrow +++ Ermittler gehen von Auftragsmord aus

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Der am Samstagabend in Gerasdorf erschossene gebürtige Tschetschene Martin B. ist kein Unbekannter. Monatelang hat er zuletzt die Führung der russischen Teilrepublik Tschetschenien in einem Videoblog beschimpft. Eigenen Angaben zufolge soll er aber auch als fragwürdiger Vermittler von Mordaufträgen agiert und seit Jahren mit dem Verfassungsschutz in Wien zusammengearbeitet haben.
 
Der ursprünglich als Mamichan U. geborene Mann, der als "Ansor aus Wien" auftrat und zuletzt über einen österreichischen Fremdenpass auf den Namen Martin B. verfügte, war in den letzten drei Monaten eines der bekannten tschetschenischen Gesichter in Österreich. Seit April hatte er insgesamt 29 Videos auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht, in denen er insbesondere den tschetschenischen Potentaten Ramsan Kadyrow und dessen Familie wüst beschimpfte. In der tschetschenischen Emigration kursierte das unbestätigte und wahrscheinlich auch falsche Gerücht, Kadyrow habe wegen Ansor kürzlich sogar einen Nervenzusammenbruch erlitten.
 
 

2005 nach Österreich gekommen

Doch schon vor Beginn seiner Karriere als Videoblogger war der Mann in der tschetschenischen Community sowie in Geheimdienstkreisen bekannt gewesen. Nachdem der ehemalige Polizist aus Tschetschenien 2005 nach Österreich gekommen war, wurde er im September 2007 als Konventionsflüchtling anerkannt. Seine Kontakte in der tschetschenischen Community führten dazu, dass er nach der spektakulären Ermordung des Asylwerbers Umar Israilov im Jänner 2009 in Wien auch ausführlich von Verfassungsschützern als Zeuge befragt wurde. Er stammte nicht nur aus dem selben Ort wie Israilov, er kannte auch einige der an dessen Ermordung beteiligten Täter gut. In einem der APA vorliegenden Aktenvermerk aus dem November 2009 führte das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz einen Mamichan U. mit dem Geburtsdatum des nunmehr Getöteten als "Gefährdete Person der tschetschenischen Diaspora".
 
In einem Anfang Juni veröffentlichten Interview hatte der mittlerweile in Martin B. Umbenannte einem ukrainischen Journalisten detailliert von Aktivitäten der letzten Jahre berichtet. Die Rede war etwa von fragwürdigen Vermittlerdiensten bei Mordaufträgen aus Tschetschenien und eine Zusammenarbeit mit österreichischen Geheimdiensten seit dem Jahr 2008. Im Zusammenhang mit einem Gewaltdelikt war der 43-Jährige vor einiger Zeit auch zu einer Haftstrafe in Österreich verurteilt worden.
 
Manche seiner Behauptungen aus dem Interview lassen sich durchaus verifizieren. So wusste Martin B. nachweislich vorweg von einem geplanten Anschlag auf den damaligen ukrainischen Parlamentsabgeordneten Ihor Mossijtschuk, der im Oktober 2017 im Unterschied zu einem Leibwächter und einem Passanten eine Bombenexplosion knapp überlebte. Martin B. hatte vor einem Anschlag gewarnt, was damals in der Ukraine aber nicht rechtzeitig ernst genommen wurde. Ob österreichische Verfassungsschützer ihre ukrainischen Kollegen über den geplanten Anschlag informierten, ist unklar. Martin B. wurde im ukrainischen Ermittlungsverfahren jedenfalls als Zeuge geführt und sollte über den Amtshilfeweg in Österreich ein weiteres Mal vernommen werden.
 
Hinter dem gegen ihn gerichteten Anschlag vermutete der bekannte ukrainische Nationalist Mossijtschuk, der später Martin B. auch in Wien traf, Auftraggeber im Umfeld von Ramsan Kadyrow. Ähnliche, freilich unbewiesene Spekulationen kursieren in der tschetschenischen Community derzeit auch nach dem Mordanschlag auf Martin B..
 
 

Bluttat in Gerasdorf

Helle Aufregung am Samstagabend gegen 19.30 Uhr in Gerasdorf. Nahe dem Einkaufszentrum G3 auf der Brünner Straße ist ein Mann mit einem Kopfschuss getötet worden. Ein Großaufgebot an Einsatzkräften der Polizei und auch der WEGA war vor Ort. Auch das Landeskriminalamt machte sich auf den Weg zum Tatort.

© Viyana Manset Haber

Prompt wurde eine Alarmfahndung nach einem silbernen Pkw herausgegeben. Auch ein Helikopter war im Einsatz. Mit mehr Informationen hielt sich die Exekutive zunächst aus ermittlungstaktischen Gründen zurück. Der Tatort, der nicht wie einige Medien berichten am Parkplatz des Einkaufszentrums, sondern in einem Gewerbebetrieb auf der Brünner Straße liegt, wurde großräumig abgesperrt.

© Viyana Manset Haber

© Viyana Manset Haber

Festnahme

Am späten Abend dann der Durchbruch. In Linz wurde ein silberner Pkw angehalten. Bei der Fahndung hatte die Polizei einen Hinweis auf ein Fahrzeug erhalten, das auf der Westautobahn (A1) in Richtung oberösterreichische Landeshauptstadt unterwegs war. Im Anschluss an eine Nachfahrt konnte der Wagen gestoppt werden. Der mutmaßliche Schütze wurde ohne Widerstand festgenommen, wie die Polizei gegenüber ÖSTERREICH bestätigt. Beim Opfer handelt es sich um einen Asylwerber aus Tschetschenien. Auch der Täter soll Tschetschene sein.

© APA/MATTHIAS LAUBER

Fall erinnert an Umar Israilov

Der Fall erinnert an den Mordfall  Umar Israilov. Der 27-jährige Tschetschene war am 13. Jänner 2009 nach einer Verfolgungsjagd von zwei Männern in Wien-Floridsdorf auf offener Straße erschossen worden. Kadyrow soll damals den Mord angeordnet haben. 

© TZ ÖSTERREICH/ Roman Fuhrich

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