Kindesmisshandlung
Bub in Hundebox: Mutter: "Ich wollte, dass er macht, was ich ihm sage"
26.02.2024Am heutigen Montag begann wohl einer der schlimmsten Kindesmisshandlungsprozesse Österreichs. Gezeigt wurden vor Gericht auch Fotos und Videos des völlig abgemagerten und fast komatösen Jungen.
An drei Verhandlungstagen muss sich die Hauptangeklagte, eine 33-jährige Niederösterreicherin, unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten. Es drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft und eine Maßnahme. Vor dem Landesgericht in Krems steht auch die 40-jährige mutmaßliche Komplizin der Mutter.
Verhandelt wird der grausame Fall rund um den 12-jährigen Paul* (Name von der Redaktion geändert) aus Waidhofen an der Thaya. Das Kind soll über mehrere Monate zu Hause die Hölle durchlebt haben und dabei fast gestorben sein (ÖSTERREICH berichtete).
Mittlerweile soll Pauls Körper die Qualen überstanden haben, doch seine Psyche wird für immer geschädigt bleiben.
Vor Gericht wirkten die beiden ehemaligen besten Freundinnen, sie hatten einige Zeit sogar zusammen gelebt, eher zurückhaltend. Doch was hinter dieser laut Staatsanwältin "beziehungsartigen Freundschaft" gesteckt haben soll wird erst im Laufe der Verhandlung klar. Auf Anweisung ihrer "Seelenverwandten", wie die 33-Jährige ihre Komplizin vor Gericht nennt, soll die Mutter ihren Sohn im Jahr 2022 über Monate hinweg misshandelt haben. Dabei habe sie ihren Sohn stundenlang in eine Hundebox gesperrt, ihn geschlagen und kaltes Wasser über ihn geschüttet.
"Die beiden Frauen haben einen 12-jährigen Jungen beinahe zu Tode gequält", sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer vor Gericht. Der Plan sei gewesen das Kind gefügig zu machen. Am Ende hätte der 1,65 Meter große nur noch 40 Kilo gewogen und eine Körpertemperatur von 26, 8 Grad gehabt. Nur mit viel Glück hätte der Junge sein Martyrium überlebt.
Verteidigt wird die 33-Jährige von der renommierten Verteidigerin Astrid Wagner. Laut Wagner sei die wenig selbstbewusste und nicht besonders intelligente Mutter von einer "bösartigen" Person (gemeint ist die Komplizin) massiv beeinflusst worden. Ihre Mandantin sei geständig, bekenne sich des versuchten Mordes nicht schuldig. Der Verteidiger der 40-Jährigen, Sascha Flatz, verlangt einen Freispruch. Die Angeklagte habe gewusst, dass das Kind auf einem Hundebett geschlafen habe. "Das ganze Ausmaß war meiner Mandantin aber nicht bekannt."
Als die Hauptangeklagte von der Richterin befragt wurde, zögerte sie immer wieder mit ihren Antworten, sie widerspricht sich auch immer wieder. Auf die Frage, wie sie darauf gekommen wäre, ihren Sohn ab Juli in einem Hundenest schlafen zu lassen, sagt sie: "Ich wollte, dass er mir folgt und das macht, was ich ihr sage." Wenn er brav gewesen war, hatte sie ihm eine Decke gegeben.
Vor ihrer Freundin (der 40-jährigen Angeklagten) hätte sie Angst gehabt. Diese hätte praktisch alles bestimmt, wann sie rausgehen durfte und wann sie etwas zu essen haben durfte. Immer wieder betont die Mutter, dass sie nichts ohne ihre Freundin entschieden hätte. Selbst ihr Geld hätte sie der Frau überlassen.
"Haben Sie den Jungen in die Schule gelassen?", fragt die Richterin weiter. Die Angeklagte bricht in Tränen aus. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt den Junge nur selten in die Schule gehen lassen. Auch als die Mutter von einer Lehrerin kontaktiert wurde, durfte das Kind nicht mehr gehen.
"Was hat er zu essen bekommen seit Juli 2022?"; will die Richterin weiter wissen. Gezeigt wird im Gericht ein Bild von Paul im Frühling 2022, dann ein weiteres Bild des Kindes auf der Intensivstation im November 2022. Laut der Richterin hatte der Junge in diesem Zeitraum über 20 Kilo abgenommen und somit 30 Prozent seines Körpergewichtes verloren. Die Angeklagte weint fürchterlich. Eine kurze Pause wurde einberaumt, beide Frauen heulen.
Das Kind soll teilweise nur ein Butterbrot am Tag bekommen haben. "Ich dachte er kriegt in der Schule was", so die Mutter weiter. Das hätte ihm ihre Freundin so erzählt. Ihr Sohn habe aber immer wieder gesagt, dass er Hunger habe. Und sie selbst hätte zum Teil auch heimlich gegessen, damit er es nicht mitbekomme.
Als sie bemerkt hatte, dass Paul immer dünner wurde, warum hatte sie nicht reagiert, will die Richterin weiter wissen. "Haben Sie ihn sekkiert mit dem Essen? Haben sie ihm Essen versprochen, damit er etwas machen soll?", fragt die Richterin weiter. Sie soll sogar geraschelt haben, um das Kind hungriger zu machen und zu ärgern.
"Was haben Sie sonst gemacht?", will die Richterin weiter wissen. "Ich habe ihn mit Wasser überschüttet, über den Kopf. In der Früh, wenn er nicht aufstehen wollte oder wenn er schlimm war." Trotz der nassen Kleidung soll sie ihn zum Teil nicht umziehen lassen. "Ich habe auch das Fenster aufgemacht", schildert die 33-Jährige weiter. Sie habe das Fenster eine Stunde aufgemacht und auch mehrmals pro Tag. Die Temperaturen zu dieser Zeit betrugen zwischen -3 und ein paar Plusgraden. Paul hatte zum Teil nasse Haare und nasse Kleidung, als seine Mutter die Fenster geöffnet hatte. "Warum haben Sie ihm das angetan?", fragte die Richterin. "Hatten Sie eine Jacke an? Hat er gesagt, dass ihm kalt ist? Haben sie ihm was zum Anziehen gegeben?" "Nein", sagt die Angeklagte. "Ich hatte eine Weste an."
Weitere Bilder des gepeinigten Jungen werden gezeigt. Rote Beine, Wunden an den Händen, eine Beule am Kopf. So sah das Kind bei seiner Befreiung im November 2022 aus. Trotz Gefährdungsmeldungen von der Schule und von Ärzten, soll die Mutter nichts gemacht haben.
"Er hat die ganze Zeit nur geschrien", sagt sie. Deshalb habe sie Paul gefesselt und seinen Mund zugeklebt. Von der Szene machte die 33-Jährige Fotos und schickte sie ihrer Freundin.
Vor Gericht wurde ein Foto von Paul in der Hundebox gezeigt. "Er hat gedroht, dass er vom Fenster rausspringt." Das habe er schon gemacht. Als er im Oktober versuchte zu fliehen, sei er gesprungen. Er soll laut der Richterin damals in Lokale und Geschäfte gelaufen sein, um sich essen zu holen.
Zur Hundebox: "Das haben wir gemeinsam beschlossen mit meiner Freundin, dass er in die Hundebox kommt." Das sei eine Strafe dafür gewesen, dass er davongelaufen war. Über Stunden habe sie ihr Kind in den Käfig gesperrt - immer wieder.
In der Box habe das Kind nicht einmal aufrecht sitzen können. Während Paul in der Hundebox eingesperrt war, habe sie Hausarbeit gemacht. Sie habe ihn auch da mit Wasser überschüttet und die Fenster zum Teil stundenlang geöffnet. Damit ihr Kind nicht fliehen konnte, habe sie Sachen auf die und vor die Box gestellt. Auch habe sie ihm eine Hundeleine um die Hüfte gebunden, um zu prüfen, ob sie mit ihrem Sohn so spazieren gehen könne.
Als er ein paar Tage vor dem Krankenhausaufenthalt konnte Paul kaum noch laufen. "Ich dachte er spielt mir das alles vor. Auch das hat mir meine Freundin gesagt", so die Angeklagte. Sie habe seinen Zustand auch gefilmt und fotografiert und diese weitergeschickt. Ihre Freundin habe ihm dann in die Augen geleuchtet und gesagt, dass alles ok sei. Das habe sie ihr dann auch geglaubt.
Trotz des bereits kritischen Zustandes ihres Kind, habe die 33-Jährige weiter ihren Sohn mit kaltem Wasser übergossen und eingesperrt. Am 22. November landete der Junge schließlich im Krankenhaus, das Kind war bereits im Koma und völlig unterkühlt, Stunden nach seiner Befreiung hatte sein Körper nur 26, 8 Grad. Drei Tage lag das Kind im SMZ Ost im Koma.
Selbst an dem Tag, an dem er ins Krankenhaus gebracht wurde, soll sie die Fenster aufgerissen und ihren Sohn mit Wasser übergossen haben. Das leugnet die Mutter zuerst vor Gericht, gesteht schließlich aber nach härterem Nachfragen der Richterin.
Videos von Paul wurden vor Gericht gezeigt
Ein Video, das am gleichen Tag gemacht wurde, an dem Paul notfallmäßig ins Krankenhaus musste, zeigt die erschreckende Wahrheit. Paul kauert zitternd am Boden, kann sich kaum noch rühren und kaum sprechen. Die Sozialarbeiterin, die ihre Freundin gerufen hatte, rief bei seinem Anblick sofort die Rettung. Auch als der 12-Jährige bereits bewegungslos neben seiner Mutter gelegen ist, soll sie keine Hilfe gerufen haben.
Andere Videos, die vor Gericht vorgespielt wurden, zeigen das völlig abgemagerte Kind, das am Boden liegt und schreit. Paul war zu dieser Zeit schon körperlich am Ende, sein Gesicht zeigt kaum noch eine Regung. Das Kind wirkt komplett abwesend.
Das Handy habe sie dann mit Wasser übergossen und entsorgt. Laut der Hauptangeklagten hätten sich die Freundinnen dann ausgemacht, alle Chats zu löschen. Diese sind gemäß Gericht 500 Seiten lang.
Nur vier Tage bevor Paul ins Koma gefallen war, waren zwei Mitarbeiter des Jugendamtes vorbeigekommen, um nachzusehen. Dabei sollen diese auch mit Paul gesprochen haben. Dieser erklärte ihnen, dass ihm kalt sei. Weitere Schritte gab es aber nicht.
Gefesselt, mit Wasser übergossen und in Hundebox gesperrt
Koma. Die Mutter soll ihr wehrloses Kind regelmäßig hungern gelassen, es mit Fäusten attackiert und mit kaltem Wasser übergossen haben. Hämatome und Verletzungen, die durch die Gewalteinwirkung auf den Buben entstanden sein sollen, wurden nicht behandelt.
Besonders dramatische Szenen sollen zwischen dem 20. und 22. November 2022 stattgefunden haben. Mehrmals habe die 33-Jährige in diesem Zeitraum Paul mit kaltem Wasser übergossen und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt die Fenster der Wohnung geöffnet.
Die Körpertemperatur des bereits unterernährten Kindes (40 Kilogramm wog Paul damals) soll dadurch auf 26,8 Grad gesunken sein. Der Bub fiel ins Koma. Den lebensbedrohlichen Zustand hätten laut Anklage sogar Laien erkannt.
Unterstützt dabei soll sie ihre Freundin haben. Praktisch täglich habe sie die 33-Jährige kontaktiert, angeleitet und in ihren Taten bestärkt, Paul in eine 57 x 83 x 63 cm große Hundebox zu sperren und hungern zu lassen.
Komplizin. Aufgeflogen war der Fall, weil eine Sozialarbeiterin die Rettung gerufen hatte. Die Mutter wurde bereits Ende 2022 festgenommen, Anfang März 2023 folgte ihr die 40-jährige Komplizin.
Vor Gericht muss sich die 33-Jährige auch wegen Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie Freiheitsentziehung verantworten.
Beitragstäterin. Den Vorwurf des versuchten Mordes soll die Hauptangeklagte laut ihrer renommierten Anwältin Astrid Wagner bestreiten. Ihre Freundin (40), die wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags-oder Bestimmungstäterin zur Rechenschaft gezogen wird, bekennt sich bisher als nicht schuldig.