Richter verzichtete auf weitere Zeugen - Urteil nicht rechtskräftig.
Im letzten der drei neuen Tierschützer-Verfahren am Landesgericht Wiener Neustadt ist am Dienstag ein ehemaliger ehrenamtlicher Mitarbeiter des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) in allen Anklagepunkten - Nötigung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt - freigesprochen worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die Staatsanwaltschaft keine Erklärung abgab.
Die Verhandlung war ursprünglich für zwei Tage anberaumt. Am Nachmittag erklärte Einzelrichter Erich Csarmann jedoch, dass er keine weiteren Zeugen zu hören brauche. Der folgende Freispruch wurde vom Publikum mit tosendem Applaus quittiert.
Im Folgenden eine Chronologie des Verfahrens:
21. Mai 2008 - Bei Tierschützern in ganz Österreich werden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Zehn Personen kommen in Untersuchungshaft. Ihnen werden "zahlreiche Brandstiftungen, Gasanschläge und andere schwere Sabotageakte auf Lebensmittelkonzerne, Bekleidungshandelsketten, pharmazeutische Unternehmen, Produzenten landwirtschaftlicher Produkte und jagdliche Einrichtungen" vorgeworfen. Die Beschuldigten seien zudem "verdächtig, radikale Mitglieder einer militanten, unter mehreren Pseudonymen verdeckt auftretenden und international vernetzten Personengruppe zu sein".
13. August 2008 - "Mangels Haftgründen" wird ein Tierschützer aus der Untersuchungshaft entlassen.
2. September 2008 - Nach mehr als 100 Tagen werden auch die restlichen Aktivisten enthaftet. Eine Verlängerung der U-Haft wäre im Hinblick auf das "Ausmaß der realistischerweise zu erwartenden, unmittelbar zu vollziehenden Strafen" wohl "unverhältnismäßig", heißt es in einer Presseerklärung.
11. August 2009 - Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat einen Strafantrag gegen zehn Tierschützer fertiggestellt. Er umfasst rund 200 Seiten und enthält auch den zentralen Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation nach dem sogenannten Mafia-Paragrafen 278a Strafgesetzbuch (StGB).
1. Februar 2010 - Die Anklage wird ausgeweitet. Vor Gericht müssen sich nun 13 Aktivisten verantworten, sechs davon ausschließlich nach Paragraf 278a StGB, sieben weitere u.a. wegen Nötigung und Sachbeschädigung.
2. März 2010 - Der von Kundgebungen begleitete Prozess beginnt in Wiener Neustadt. Vorerst sind 34 Verhandlungstage bis 17. Juni 2010 angesetzt - 88 werden es.
18. November 2010 - Es wird bekannt, dass eine verdeckte Ermittlerin unter dem Decknamen "Danielle Durand" über ein Jahr lang in den Verein gegen Tierfabriken (VGT) eingeschleust in der Tierschutzszene ermittelt hat. Sie sagt im Dezember und Jänner 2011 als Zeugin vor Gericht aus.
2. Mai 2011 - Der Urteilstag: Die Beschuldigten werden von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen, die Richterin übt harsche Kritik an der Soko Bekleidung.
3. Mai 2011 - Die Staatsanwaltschaft meldet Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld an. Die Urteilsbegründung sei in vielen Punkten nicht nachvollziehbar gewesen.
Anfang Februar 2012 - Das schriftliche Urteil ist ausgefertigt. Die Anklagebehörde hat bis Ende Juni Zeit, um über die Durchführung der Berufung zu entscheiden.
5. Juni 2012: Die Staatsanwaltschaft Wien stellt ein wegen Falschaussage laufendes Verfahren gegen den damaligen Chef der Soko Bekleidung, Erich Zwettler, ein. Die Anzeige hatte der Erstangeklagte Martin Balluch, Obmann des VGT (Verein gegen Tierfabriken), erstattet.
29. Juni 2012: Der im Mai 2011 erfolgte Freispruch der angeklagten Tierschützer vom Vorwurf des Mafia-Paragrafen 278a StGB ist rechtskräftig. Das Justizministerium kündigt eine Reform des umstrittenen Paragrafen an.
20. Juli 2012: Der VGT-Obmann zeigt Spitzenbeamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und des Wiener Landesamts (LVT) wegen übler Nachrede, Verleumdung und Amtsmissbrauchs an, weil die Anschuldigungen trotz rechtskräftigen Freispruchs im Verfassungsschutzbericht 2012 wiederholt würden.
27. August 2012: Das Wiener Straflandesgericht lehnt weitere Ermittlungen gegen die Polizei-Sonderkommission ab.
2. Oktober 2012: Fünf der ehemals 13 Angeklagten übermitteln dem Oberlandesgericht Wien (OLG) ihre Gegenäußerungen zur Berufung. Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Urteil im Mai 2011 zwar nicht im wesentlichen Anklagepunkt berufen, wohl aber gegen die Freisprüche wegen schwerer Nötigung, Sachbeschädigung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Tierquälerei. Nun ist das OLG am Zug - und das Warten auf einen Ausgang des mittlerweile vier Jahre dauernden Verfahrens geht für die fünf Beschuldigten weiter.
10. Juni 2013: Das OLG hebt einen Teil der Freisprüche auf. Nicht rechtskräftig werden die Freisprüche von fünf Beschuldigten in Bezug auf Nötigung und versuchte Nötigung, Sachbeschädigung, Sachbeschädigung und Tierquälerei sowie Widerstand gegen die Staatsgewalt, sei erwartet eine neue Verhandlung.
Juli 2013: In Reaktion auf die teilweise Prozess-Neuauflage u.a. wegen Nötigung ruft der VGT zu Selbstanzeigen auf, in denen friedliche Kampagnen gegen eine Pelzartikel verkaufende Sporthandelskette angekündigt werden.
August 2013: Alle offenen Verfahren gegen Balluch werden eingestellt. Er klagt die Republik auf Schadenersatz.
12. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft legt die eingegangenen 3.000 Selbstanzeigen mangels "Ernstlichkeit" zurück, der VGT kündigt neue an.
3. April 2014: Laut Entscheidung des Wiener Verwaltungsgerichts war die verdeckte Ermittlung aus sicherheitspolizeilichen Gründen zulässig.
7. April 2014: Der von Balluch angezeigte linguistische Gutachter im Prozess wird aus der Liste gerichtlich beeideter Sachverständiger gestrichen.
13. Mai 2014: Die in drei Verfahren gegliederte neue Verhandlung startet in Wiener Neustadt. Nach nur 90 Minuten spricht Einzelrichter Erich Csarmann den angeklagten ehemaligen Kampagnenleiter von "Vier Pfoten" vom Vorwurf der Tierquälerei im Rahmen einer Schweinebefreiung frei. Es mangle an Beweisen dafür. Der VGT wertet den Ausgang als "Glanzstunde für den Rechtsstaat".
16. Mai: Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf den Gang in die zweite Instanz - der Freispruch ist damit rechtskräftig.
19. Mai: Freispruch für drei BAT-Aktivisten vom Vorwurf der versuchten Nötigung im Rahmen einer Anti-Pelz-Demo, Csarmann sah den Tatbestand "in keinster Weise" erfüllt.
22. Mai: Wieder meldet die Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel an - Rechtskraft.
27. Mai: Als letzter kann ein der Nötigung, Sachbeschädigung und des Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagter ehemaliger VGT-Mitarbeiter aufatmen: Der Richter verzichtet auf den zweiten Verhandlungstag und spricht ihn ebenfalls frei.