Fritzl-Schwägerin
"Ohne Kinder hätte sich E. umgebracht"
15.11.2008
Fritzls Schwägerin über die Opfer-Familie. im ÖSTERREICH-Interview spricht sie wie es der Frau und den Kindern geht.
ÖSTERREICH: Als Schwester von Josef Fritzls Ehefrau R. gehören Sie zu Österreichs unheimlichster Familie. Am 26. April ist Ihr Schwager, bis dahin für Außenstehende ein geschäftstüchtiger Biedermann, als Jahrhundertkrimineller aufgeflogen. Wie gehen seine Opfer und Angehörigen damit um?
CHRISTINE R.: Es ist alles kaputt. Die ganze Familie ist zerstritten und zerrissen. Einige meinen, dass sich die Situation nach dem Strafprozess gegen Josef beruhigen wird. Ich für meinen Teil glaube das eher nicht.
ÖSTERREICH: Sprechen wir bitte über die Hauptpersonen dieses monströsen Falls – und beginnen wir mit Ihrer Schwester. Wie lebt sie damit, 24 Jahre in einem Haus gewohnt zu haben, in dem ihr Ehemann ihre Tochter im Keller eingekerkert und 3.000 Mal vergewaltigt hat?
CHRISTINE R.: Was wollen Sie hören?
ÖSTERREICH: Am liebsten die Wahrheit.
CHRISTINE R.: R. geht es ganz schlecht – und das aus mehreren Gründen. Sie ist einsam. Sie ist fast mittellos. Und sie muss sich immer wieder anhören, dass sie über die langen Jahre vom Verbrechen im eigenen Haus doch was gemerkt haben muss.
ÖSTERREICH: Und – was meinen Sie dazu?
CHRISTINE R.: Sie hat tausendprozentig nichts gewusst. Sie dürfen sich R. Ehe nicht wie andere Partnerschaften vorstellen. Josef war ein Tyrann, und sie hat 50 Jahre aus Angst gehorcht wie ein Hund. Die beiden haben ja schon lange getrennt gelebt. Vor Jahren hat er sich im Parterre eine eigene Wohnung eingerichtet. Zu R. und den Kindern im ersten Stock kam er nur drei Mal am Tag zum Essen. Seine Wohnung war sein Reich. Und der Keller war überhaupt für alle tabu, weil er da angeblich wichtige Arbeitsunterlagen hatte.
ÖSTERREICH: Josef Fritzl hat mit R. sieben Kinder – zwei sind älter, vier sind jünger als E., die von ihrem Vater 1984 im Verlies eingekerkert wurde. Und von der ganzen Familie war wirklich nie jemand im Keller?
CHRISTINE R.: Nur der älteste Sohn S.. Der ist ein bissl behindert und trinkt auch gern. Der durfte als Einziger manchmal runter, um das Putzzeug oder Glühbirnen zum Wechseln zu holen. Aber der Zugang zum Verlies war ja durch eine Holzstellage verstellt. Und der S. kriegt ja sowieso nicht viel mit, also ist ihm sicher auch im Keller nichts verdächtig vorgekommen. Alle anderen haben sich sogar an das Keller-Verbot gehalten, wenn mein Schwager auf Urlaub war. Die hatten panische Angst vor ihm. Josef ist ein furchtbarer Choleriker. Er hat seine Frau und die Kinder oft wegen Kleinigkeiten brutal geschlagen.
ÖSTERREICH: Zurück zur Gegenwart: Wieso ist Ihre Schwester jetzt einsam?
CHRISTINE R.: Weil sich E. von ihr zurückgezogen hat und auch die Kinder von ihr fernhält.
ÖSTERREICH: Macht E. die Mutter mitverantwortlich für ihr furchtbares Schicksal?
CHRISTINE R.: Das könnte gut sein. Sicher aber ist: Drei Kinder E. sind ja oben im Haus aufgewachsen: L. (15), M. (14) und A. (12). Für die war R. die Mama. Und sie haben auch noch Mama zu ihr gesagt, als alle gemeinsam in der Nervenklinik waren.
ÖSTERREICH: Und das hat E. gestört?
CHRISTINE R.: So sehr, dass sie ihre Mutter aus der gemeinsamen Unterkunft im Sanatorium verdrängt hat, wo E. und ihre Kinder ja heute noch leben. R. aber wurde plötzlich gesagt, dass sie kein Opfer sei, sondern die Ehefrau des Täters. Also musste sie sich im Sommer eine Wohnung suchen, weil sie ins Haus des Schreckens natürlich nie mehr einziehen will.
ÖSTERREICH: Seither ist R.s Kontakt zur Familie in der Klinik abgebrochen?
CHRISTINE R.: Nein, oder besser: nicht ganz. Dazu müssen Sie wissen: Entgegen allen Meldungen gehen die drei „Lichtkinder“, die bei R. aufgewachsen sind, schon wieder in die Schule, die L. sogar in eine höhere Bildungsanstalt. Der zwölfjährige A. hängt aber so an R., dass er gesagt hat: „Ich gehe nicht zum Unterricht, wenn ich die Oma nicht mehr sehen darf.“ Die E. hat nachgegeben, jetzt darf meine Schwester den Buben jede Woche einmal für ein paar Stunden abholen. Und wenn sie in die Klinik kommt, sieht sie ja auch alle anderen.
ÖSTERREICH: Ihre Schwester hat Geldsorgen?
CHRISTINE R.: Sie bekommt 400 Euro Pension und zahlt für ihre Wohnung 400 Euro Miete. Und sie kriegt noch 300 Euro Sozialhilfe, also darf sie nicht mehr als zehn Euro pro Tag brauchen.
ÖSTERREICH: Wie geht das?
CHRISTINE R.: Einkaufen geht sie in einen SOMA-Markt, wo es billige Lebensmittel knapp vorm Ablaufdatum oder in beschädigten Verpackungen gibt. Möbel für die Wohnung bettelt sie sich bei der Caritas zusammen. Die E. (eine weitere Schwester R. – Red.) und ich helfen, wo wir können. Aber wir haben ja selbst nicht viel.
ÖSTERREICH: Wie kommt eigentlich E. über die Runden?
CHRISTINE R.: Die hat rund 60.000 Euro Beihilfe für die drei „Kellerkinder“ nachgezahlt bekommen. Und Natascha Kampusch hat ihr 25.000 Euro gespendet. Außerdem musste ihr R. 3.000 Euro überweisen.
ÖSTERREICH: Wieso?
CHRISTINE R.: Als meine Schwester nach den drei Monaten in der Klinik erstmals wieder auf die Bank gegangen ist, hat sie gesehen, dass da 3.000 Euro Kinderbeihilfe auf ihrem Konto waren.
ÖSTERREICH: Seit 26. April lebten die drei „Lichtkinder“ aber schon mit ihrer Mama E. im Sanatorium.
CHRISTINE R.: Genau. Deshalb hat R. auch sofort in der Klinik angerufen und E. von der Überweisung erzählt. Weil’s ihr so schlecht geht, hat sie gehofft, dass die Tochter sagen wird: „Mama, lass gut sein, red ma net drüber.“ Die E. hat gar nichts gesagt. Aber zwei Tage später ist ein Brief vom Opferanwalt gekommen, in dem stand, dass R. das Geld binnen 14 Tagen überweisen muss.
ÖSTERREICH: Korrekte Abrechnung, ärgert Sie das?
CHRISTINE R.: Nein. Mich ärgert, dass die Familie nicht zusammenhält.
ÖSTERREICH: Wie geht es mit E. weiter?
CHRISTINE R: Sie hat meiner Schwester erzählt, dass sie sich ohne ihre Kinder im Verlies schon längst umgebracht hätte. Nur die Verantwortung gab ihr die Kraft, ihre Qualen zu überleben. Und sie will auch in Zukunft nur für ihre Kinder da sein. Andere Pläne hat sie nicht.
ÖSTERREICH: Angeblich sucht sie schon ein Haus mit Garten in Oberösterreich.
CHRISTINE R.: Ja, da lebt auch E. älteste Schwester U., mit der sie sich gut versteht. Aber zuerst müssen andere Dinge geregelt werden. Wie ich gehört habe, wird E. eine Opferrente bekommen. Und alles Geld, das vom Verkauf der fünf Immobilien ihres Vaters abzüglich der Kredite bleibt. Fritzl selbst hatte da ja einen anderen Plan. Aber der zeigt nur, dass er völlig verrückt sein muss.
ÖSTERREICH: Nämlich?
CHRISTINE R.: Mein Schwager wollte tatsächlich aus seinem Horror-Haus in Amstetten mit E. Verlies eine Touristen-Attraktion machen – und von Schaulustigen zehn Euro Eintritt kassieren. Komplett wahnsinnig. Das Geld sollte die Familie kriegen. Aber natürlich haben alle diese „Geschäftsidee“ abgelehnt.
ÖSTERREICH: Warum sagen im Prozess nur E. und ihr jüngster Bruder H. als Zeugen aus? Haben alle anderen den Ehemann und Vater Fritzl in netter Erinnerung?
CHRISTINE R.: Unsinn. Zum Teil schweigen sie aus Scham, mehr aber aus panischer Angst. Sie haben sich ein Leben lang vor ihm gefürchtet, und das Gefühl kriegt man nicht einfach so weg.
ÖSTERREICH: Aber er sitzt doch hinter Gittern.
CHRISTINE R.: Sie können sich nicht vorstellen, welchen Schrecken er verbreitet hat. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Ich durfte die R. immer nur am Abend anrufen, wenn er schon wieder in seiner Wohnung war. Einmal war ich zu früh dran und sie hat sich mit dem Nachtmahl um zwei Minuten verspätet. Da habe ich ihn schreien gehört: „Wo sind meine Knödel?“ Dann ist ein Teller gegen die Wand geflogen, und sie hat aufgelegt. Ein anderes Mal hat er dem H. das Nasenbein gebrochen, nur weil der bei einer Geburtstagsfeier seines Chefs ein Glas Sekt getrunken hat. Offenbar ist H. Hass mittlerweile größer als seine Angst. Deshalb wird er vor Gericht erzählen, was für ein Vater Fritzl war.
ÖSTERREICH: Lässt sich Ihre Schwester jetzt endlich von diesem Mann scheiden?
CHRISTINE R.: Nein, sonst verliert sie ja den Anspruch auf seine Pension. Und wenigstens wenn er tot ist, will sie was von ihm haben.
Wolfgang Höllrigl