Kanzler Kurz dazu: "Widerlich"

Sellner zu Hakenkreuz-Sticker auf Synagoge: "Wollte provozieren"

05.04.2019

2006 gestand der Identitären-Chef Nazi-Aktivitäten in Baden bei Wien.

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Dafür, dass Identitären-Chef Martin Selnner als Jugendlicher in Neonazi-Aktivitäten verstrickt war, gibt es nun neue Belege. Die "Kleine Zeitung" berichtete am Freitag unter Berufung auf ein Polizeiprotokoll, dass der damals 17-Jährige im Jahr 2006 Hakenkreuz-Kleber an der Synagoge in Baden bei Wien angebracht hatte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich angewidert.

Sellner gab sich damals reuig, so die Zeitung, es kam zu einer außergerichtlichen Einigung. Sellner verpflichtete sich, 100 Stunden Hilfsarbeiten auf dem jüdischen Friedhof in Baden zu verrichten. Er behauptete, er wollte mit der widerlichen Aktion "provozieren". 

Foto mit Küssel

Bereits im Grazer Identitären-Prozess 2018 war Sellners einschlägige Vergangenheit Thema gewesen. Der Richter sprach ihn auf seinen Kontakt zu rechtsradikalen Personen wie etwa Gottfried Küssel an, mit dem er auf einem Foto zu sehen ist. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich in meiner Jugend in diesen Kreisen war, aber ich habe mich davon gelöst", beteuerte Sellner. "Aber das Foto stammt aus 2010 oder 2011. Das ist knapp vor der Gründung der IBÖ", warf der Richter ein. Sellner blieb dabei, dass er nun nichts mehr damit zu tun habe.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der seine Abscheu gegenüber den Identitären bereits am Mittwoch nach dem Ministerrat kundgetan hatte und sich gegen Verflechtungen auch seines Koalitionspartners FPÖ mit der Organisation ausgesprochen hatte, reagierte umgehend in einem Tweet. "Die Enthüllungen über d Chef d Identitären sind widerlich. Als österreichischer Bundeskanzler werde ich keine neonazistischen Umtriebe dulden. Wir müssen alle Formen von Extremismus entschieden bekämpfen, um d freien & liberalen Rechtsstaat zu schützen", hieß es darin wörtlich.

Sellner stritt noch Verbindungen zu NS-Gedankengut ab

Am Donnerstag stritt der Identitären-Chef Martin Sellner bei Fellner! LIVE auf oe24.TV noch jegliche Verbindungen zum nationalsozialistischen Gedankengut ab. Nun sorgt ein Polizeiprotokoll aus dem Jahr 2006 aber für Wirbel und beweist das Gegenteil. Darin werden Sellner nämlich neonazistische Aktionen vorgeworfen, bei denen er sogar als Rädelsführer aufgetreten sein soll.
 
 
Demnach hätte er mit einem Gleichaltrigen Plakate mit Hakenkreuzen auf die Außenmauer einer Synagoge in Baden bei Wien angebracht. Zudem wurden auch Sticker mit der Aufschrift "Legalisiert es" verwendet. Daraufhin folgte eine Anzeige der Sicherheitsbehörden bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Die Spuren führten die Ermittler direkt zu zwei Tatverdächtigen. Einer davon war laut Bericht der nunmehrige Sprecher der österreichischen Identitären, Martin Sellner, berichtet die "Kleine Zeitung".
 
Der zweite Verdächtige gab anschließend laut Protokoll an: "Als Martin Sellner und ich in den Medien Berichte über die Verurteilung von Irving (Anm.: David Irving, bekannter britischer Holocaust-Leugner) hörten, beschlossen wir irgendetwas zu machen." Anschließend hätten sich die beiden am Josefsplatz in Baden getroffen. Sellner zeigte ihm anschließend einen Aufkleber mit einem Hakenkreuz darauf. Und auch die "Legalisiert es"-Sticker habe Sellner mitgebracht. Beide zeigten sich im Zuge der Befragungen geständig. Aufgrund des Geständnisses und der gezeigten Reue kam es außergerichtlich zu einer Einigung. Sellner musste anschließend 100 Stunden am jüdischen Friedhof in Baden Hilfsarbeiten verrichten.

Sellner erhielt Spende von Christchurch-Attentäter

Der Identitären-Chef gelangte in den letzten Wochen ins Visier der Justiz, nachdem der Attentäter des rechtsextremen Terroranschlags von Christchurch nur wenige Tage zuvor Sellner eine Spende in der Höhe von 1.500 Euro überwiesen hatte. Nach dem Attentat mit 50 Toten in einer Moschee in Neuseeland führte die Spur plötzlich nach Österreich. Gegen Sellner wurden wegen Terror-Verdachts Ermittlungen gestartet. Immer wieder betonte er, mit dem Attentäter keinen Kontakt gehabt zu haben und jegliche Gewalt zu verurteilen. Er sah sich in dieser Causa selbst als Opfer und vermutet eine wahnwitzige Verschwörungstheorie dahinter.

Krach in der Regierung: Kurz entmachtet Kickl

Die neu aufgeflammte Debatte um die Identitären sorgt auch in der Regierung für einen Krach. Kanzler Sebastian Kurz sprach sich klar gegen die rechtsextreme Gruppierung aus und forderte die FPÖ auf sich eindeutig von dieser Bewegung zu distanzieren. Als erste Reaktion kündigte der Kanzler eine Änderung der Berichtspflicht an. Künftig sollen die Geheimdienste nicht nur an den Innenminister, sondern auch an Kanzler und Vizekanzler berichten. Das soll bereits vor dem Sommer ­umgesetzt werden, erklärte Kurz am Mittwoch nach dem Ministerrat. Am Donnerstag reagierte er auch auf die aufgedeckten Nazi-Aktionen von Sellner. "Die jüngsten Enthüllungen über den Chef der Identitären sind widerlich. Als österreichischer Bundeskanzler werde ich keine neonazistischen Umtriebe dulden. Wir müssen alle Formen von Extremismus entschieden bekämpfen, um den freien liberalen Rechtsstaat zu schützen", schreibt er auf Twitter.
 
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache betonte am Mittwoch, dass er die Aufregung nicht verstehe – Identitäre hätten ein Funktionsverbot in der FPÖ – und die Berichtspflicht sei bereits vor über einem Jahr ausverhandelt worden. 
 
„Aufgeregtheit begegnet man mit Sachlichkeit, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat“, so Strache. Konter von Kurz: „Wie man die Identitären sieht, ist keine Alters­frage, die kann man widerlich finden, egal wie alt man ist.“

Warnung

Zudem fordert der 32-jährige Kurz von der FPÖ, dass auch deren Kabinettsmitarbeiter „keinerlei Verflechtungen“ mit Identitären mehr haben dürften.
 
Kurz: „Wir werden das sehr genau beobachten.“ In der FPÖ ätzt man freilich hinter den Kulissen über diese „Kräfteshow von Kurz“. Der Honeymoon in Türkis-Blau ist damit vorbei.
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