Drama in Niederösterreich
Suizid von Flüchtlingsbub: Haben Behörden versagt?
21.11.2017
Die Volksanwaltschaft prüft nun, ob es Missstände gegeben haben soll.
Nach dem Suizid eines Flüchtlingsbuben in Baden prüft die Volksanwaltschaft, ob es einen Missstand in der Verwaltung gegeben hat. Das Land wurde aufgefordert, innerhalb von drei Wochen Dokumente und Akten zur Obsorge des Elfjährigen zur Verfügung zu stellen. "Wir setzen eine sehr kurze Frist", sagte Volksanwalt Günther Kräuter am Montag zur APA. Üblich seien sechs Wochen.
Anhand der Akteneinsicht werde der Verlauf des Obsorge-Verfahrens geprüft. Der 23-jährige Bruder des Buben hatte die Obsorge für seine Geschwister, davon eines mit Behinderung, und soll damit laut Medienberichten überfordert gewesen sein. Die Frage sei, ob Verwandte in der Lage und geeignet seien, die Obsorge zu übernehmen - wenn nicht, müsste die Behörde einschreiten und die Obsorge an die Kinder- und Jugendhilfe übertragen werden, so Kräuter. Die Bezirkshauptmannschaft wies laut ORF NÖ jegliches Fehlverhalten seitens der Behörde zurück.
Der Elfjährige aus Afghanistan war in einem Flüchtlingsquartier in Baden untergebracht. Er soll für seine sechs Geschwister u.a. Behördengänge und Dolmetschen erledigt haben. Am Sonntag, 12. November, ging die Suizidmeldung bei der Polizei ein, am Montag verstarb der Bub im Krankenhaus.
18-jähriger Bruder erhielt Obsorge
Der minderjährige Asylwerber lebte nach Angaben des Landes seit Anfang Februar 2016 mit seinen Geschwistern, davon eines mit Trisomie 21, seiner Tante und seinem Onkel in einem NÖ Grundversorgungsquartier für Menschen mit erhöhtem Betreuungsbedarf. Der volljährige Bruder hatte demnach Anfang 2016 in Oberösterreich den Antrag auf Obsorge gestellt. Nach der Zuteilung der Familie nach Niederösterreich wurde dem Antrag mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden Ende Februar stattgegeben und ihm die vorläufige Obsorge über seine Geschwister übertragen.
Laut Medienberichten soll es beim Jugendamt Gefährdungsmeldungen gegeben haben, dass die Kinder nicht gut versorgt seien. "Laut Auskunft der Bezirksbehörde wurden alle Meldungen - insbesondere die den Minderjährigen mit Trisometrie 21 betreffend - nach den geltenden Vorschriften der Kinder- und Jugendhilfe abgeklärt und der Familie zusätzlich zur Sonderbetreuung entsprechende Unterstützungsleistungen zur Verfügung gestellt", hieß es dazu in einer Stellungnahme aus dem Büro des zuständigen Landesrates Franz Schnabl (SPÖ).
Ein Prüfverfahren hatte die Volksanwaltschaft vor einigen Monaten auch im Fall eines 18-jährigen Afghanen eingeleitet, dem die Bezirkshauptmannschaft Baden die Obsorge für seine beiden krebskranken Schwestern übertragen hatte. Der Fall sei heuer im Mai abgeschlossen worden, so Kräuter. Dem älteren Bruder, der die Obsorge innehatte, wurde nach Angaben der Volksanwaltschaft eine Sozialarbeiterin für die Verantwortung für die Behandlung der Mädchen zur Seite gestellt. Zudem sei für eine geeignete Wohnsituation gesorgt worden.
Grüne Kritik an Krisenkommunikation
Für Helga Krismer, Landessprecherin der NÖ Grünen, ist die Krisenkommunikation der BH Baden nach dem Suizid eines elfjährigen Flüchtlings "peinlich und erbärmlich". Kritik erntete auch die Landes-ÖVP. Krismer forderte am Dienstagabend eine interne Sonderkommission im Amt der NÖ Landesregierung zur Aufarbeitung des Falles und eine öffentliche Berichterstattung über die Ergebnisse.
Zur Kommunikation merkte die Grüne an, dass diese "den Mief der ÖVP Niederösterreich" nach sich ziehe. "Nämlich mauern. Keine Info nach außen. Keine Einsicht."
"Wenn sich ein elfjähriges Kind das Leben nimmt, erwarte ich mir von einer Behörde, dass sie nicht einfach zur Tagesordnung übergeht", so Krismer, die auch Vizebürgermeisterin der Stadt Baden ist. Es liege in der Verantwortung der BH, "jeden Schriftverkehr und jedes Dokument nochmals zu prüfen, um Versäumnisse oder Fehler zu finden". Nur so könne man für die Zukunft "die richtigen Schlüsse ziehen, die bei schwierigen Familiensituationen zu treffen sind".