Seit Mittwoch gilt der Kosovo als sicheres Herkunftsland. Für Arigona Zogaj heißt das: Jeden Tag kann sie den Abschiebe-Bescheid bekommen. Im Interview spricht die 17-Jährige, wie sie mit der Bedrohung lebt.
Sie wirkt, als hätte sie einen Panzer rund um sich aufgebaut. Doch denkt Arigona an ihre Zukunft, verschwindet die Selbstsicherheit. Die 17-Jährige wird zittrig, nervös, oft gipfelt ihre Angst in Weinkrämpfen. Kein Wunder, schwebt doch seit letztem Mittwoch das Damoklesschwert über Österreichs prominentestem Flüchtlingskind.
Seit 1. Juli gilt ihr Geburtsland, der Kosovo, als sicheres Herkunftsland. In zwei Wochen rechnet Arigona damit, dass sie den ersten Abschiebungsbescheid bekommen wird. Eine Belastung, die die Oberösterreicherin kaum ertragen kann. „Ich kann nur schwer einschlafen. Denn ich möchte hierbleiben, die Schule fertig machen und meine Zukunft planen“, erzählt sie im Interview.
Neues Leben in Linz
Trotz der permanenten Belastung gibt sie sich
nicht auf. Seit September 2008 besucht Arigona die HBLW Landwiedstraße in
Linz. „Drei Tage in der Woche pendle ich zwischen Frankenburg und Linz, an
den anderen Tage wohne ich bei Freunden in Linz“, erzählt sie. Die erste
Klasse der dreijährigen Jobschule hat sie geschafft. Bleibt nur zu hoffen,
dass Arigona nach den Sommerferien noch in Österreich ist.
"Liege oft bis drei Uhr wach"
ÖSTERREICH: Arigona,
seit Mittwoch gilt der Kosovo als sicheres Herkunftsland. Wie groß ist Deine
Angst, nun einen Abschiebebescheid zu bekommen?
Arigona ZogaJ: Die
Angst begleitet mich täglich. Ich liege oft bis drei Uhr in der Früh wach,
weil ich mich frage, was am nächsten Tag passieren wird? Oder: Wie meine
Zukunft im Kosovo ausschauen wird, falls ich aus Österreich weg muss. Um
fünf Uhr muss ich dann wieder aufstehen, damit ich den Zug nach Linz in die
Schule rechtzeitig erreiche.
ÖSTERREICH: Wer hilft dir dabei, mit deiner Angst zu leben?
Zogaj:
Ich bin eher der Typ, der alles in sich hineinfrisst und wenig darüber
spricht. Aber dann ist die Angst vor der Abschiebung wieder so belastend,
dass ich Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, sogar Weinkrämpfe bekomme oder zu
zittern beginne. Meiner Mutter kann ich mich nicht anvertrauen, weil die
neue Situation ihre Verzweiflung noch mehr steigern würde. Am meisten rede
ich mit meinen Freundinnen über meine Probleme.
ÖSTERREICH: Im letzten Dezember sind Deine vier Geschwister, die
2007 in den Kosovo abgeschoben worden, wieder in Österreich eingereist. Wie
geht es ihnen?
Zogaj: Meine beiden älteren Brüder, Alban und Alfred,
sind wieder im Kosovo zurück. Es geht ihnen nicht gut. Sie bekommen keine
Arbeit und sind frustriert. Um meine kleinen Geschwister, Albin und Albona,
kümmere ich mich. Ich helfe ihnen in der Schule, damit sie nach der langen
Unterbrechung den Anschluss wieder finden können. Vor allem mit den Artikeln
„der, die, das“ haben die Kleinen ihre Probleme.
ÖSTERREICH: Haben sie auch wieder Freunde in Frankenburg gefunden?
ZogaJ:
Der Albin spielt mittlerweile wieder im Fußballclub mit und geht regelmäßig
zum Training. Oder die beiden gehen mit ihren Freunden ins Freibad in
Frankenburg.
ÖSTERREICH: Das bedeutet, neben Deiner Schulausbildung bist Du auch
noch die Ersatzmama für Deine Geschwister?
ZogaJ: Da meine
Mutter oft tagelang nicht das Bett verlassen kann, weil sie sehr krank ist,
koche ich immer wieder für die Kleinen, gehe einkaufen und bringe sie auch
ins Bett.
ÖSTERREICH: In welchem gesundheitlichen Zustand befindet sich Deine
Mutter?
ZogaJ: Ihr geht es sehr schlecht. Sie muss viele Tabletten
nehmen, hat starke Schlafstörungen und klagt über Schmerzen, die durch die
hohe Belastung in den letzten Jahren ausgelöst wurden. Ich mache mir große
Sorgen um meine Mama.
ÖSTERREICH: Dein Vater hat nach der Abschiebung im Kosovo Deine
Familie im Stich gelassen. Warum glaubst Du, hat er das getan?
ZogaJ:
Der Schmerz darüber ist sehr groß, denn ich habe meinen Papa verloren. Aber
ich glaube, ohne Abschiebung wäre das nicht passiert.
ÖSTERREICH: Seit September besuchst Du eine neue Schule. Für welche
Ausbildung hast Du Dich entschieden?
Zogaj: Ich besuche in Linz die
Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Die Schulausbildung
dauert drei Jahre und sie macht mir großen Spaß. Denn in der Schule komme
ich auf andere Gedanken und werde abgelenkt. Dreimal in der Woche pendle ich
zwischen Frankenburg und Linz. Wenn ich bis 17.00 Uhr Unterricht habe, dann
darf ich bei der Familie meiner Freundin Nina übernachten. Hier habe ich
sogar ein eigenes Zimmer bekommen.
ÖSTERREICH: Hast Du die erste Klasse in der HBLA geschafft?
Zogaj:
Ja. Allerdings habe ich in Englisch einen Fünfer. Da meine Noten in den
anderen Fächern gut sind, habe ich die Aufstiegsklausel bekommen. Aber ich
werde trotzdem zur Nachprüfung antreten, um mir die Note auszubessern.
ÖSTERREICH: Und welche Note hast Du in Deutsch bekommen?
Zogaj:
Ich bekomme das Zeugnis erst am Freitag, aber ich glaube es wird ein Dreier
werden.
ÖSTERREICH: Wenn Du nicht vorher in den Kosovo zurück musst ...
Zogaj:
Das hoffe ich nicht. Wenn ich einen Abschiebebescheid bekomme, werden wir in
Berufung gehen. Denn ich weiß nicht, was ich im Kosovo tun soll. Dann geht
es mir so wie meinen Brüdern, die nur zu Hause rumhängen und keine
Perspektive haben. Frankenburg ist meine Heimat, mein Zuhause. Hier möchte
ich bleiben. Ich bin den Österreichern sehr dankbar für die letzten sieben
schönen Jahre, die ich hier erleben durfte.
ÖSTERREICH: Hast Du schon eine Vorstellung, welchen Beruf Du nach
der Schule ausüben willst?
Zogaj: Mit der Ausbildung kann ich
in der Gastronomie einen Job bekommen oder im Altenheim arbeiten. Ich möchte
auf jeden Fall mit Menschen arbeiten.