Polizei, Justiz, Ärztekammer: Im Fall der toten Ärztin wurden viele Fehler gemacht.
OÖ. Der Suizid der massiv von Corona-Maßnahmengegnern bedrohten Allgemeinärztin Lisa-Maria Kellermayr (36) aus Seewalchen wühlt die Bevölkerung weiterhin auf. Warum wurde ihre Angst nicht ernst genommen, weshalb bekam sie keinen Polizeischutz? Wieso half ihr die Ärztekammer nicht besser? Warum verfolgte die Justiz die Bedroher nicht intensiver? Die Chronologie des Versagens:
- 16. Nov. 2021: Dr. Kellermayr schildert auf Twitter, dass Impfgegner das Klinikum in Wels blockierten und das Spital nicht mehr erreichbar sei. Das stimmt nur bedingt, es gibt noch eine Möglichkeit, das Klinikum zu erreichen. Die Polizei reagiert verstimmt: „Falschmeldung“, kommentiert sie den Tweet. Beides geht viral, wird von Impfgegnern auf Telegram verbreitet. Kellermayr wird zur Lügnerin erklärt.
- 17. Nov. 2021: Im Internet bricht der Sturm los, die Ärztin bittet die Polizei eindringlich, die Kommentierung ihres Tweets zu löschen. Doch die reagiert nicht, der Spießrutenlauf geht weiter.
- 22. Nov. 2021: Dr. Kellermayr erstattet Anzeige bei der PI Schörfling. Unter dem Absender „claas wulff“ wurde sie mit Mord bedroht. Die Polizei findet den Täter nicht. Er benutzt das Darknet. Eine Hackerin schafft es in sechs Stunden.
- 21. Feb. 2022: Die Medizinerin wird per Mail von einem Corona-Leugner beschimpft und bedroht. Die Polizei forscht ihn aus. Ein Bayer aus Starnberg. Die deutsche Polizei befragt ihn, er verweigert die Aussage. Die Staatsanwaltschaft Wels stellt das Verfahren ein. Argument: kein inländischer Gerichtsstand.
Der Fall schaukelt sich immer weiter auf
- 3. Mai 2022: „claas wulff“ meldet sich wieder, diesmal als „claasderkiller“. „Du dummes Stück Scheiße“ nennt er die Ärztin und kündigt ein Blutbad in der Praxis an. Die Polizei scheitert erneut an der Verfolgung im Darknet. Kellermayr übt öffentlich Kritik an der Polizei. Die kontert: „Sie drängt sich in die Öffentlichkeit. Ihr geht es um ihr berufliches Fortkommen“, sagt ein Sprecher.
- 23. Juni. 2022: Der Chef des Verfassungsschutzes spricht ausführlich mit der Medizinerin.
- 27. Juni. 2022: Die Allgemeinärztin verkündet, ihre Ordination vorübergehend zu sperren. Die Ärztekammer signalisiert: kein Problem, ein Nachfolger wäre schnell gefunden.
- 13. Juli 2022: Dr. Kellermayr kündigt an, die Praxis für immer zu schließen. Sie hat 100.000 Euro aus eigener Tasche in Sicherheitsmaßnahmen gesteckt, steht vor der Insolvenz: „Es tut mir leid, ich kann nicht mehr“, schreibt sie.
- 29. Juli 2022: Eine Assistentin findet ihre tote Chefin und einen dreiseitigen Abschiedsbrief in der Ordination.
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at)