Am Dienstag wurde Oliver in Graz entführt. ÖSTERREICH traf den Vater.
Seit Tagen erlebt Marion W. die Hölle auf Erden. Am Dienstag wurde ihr Sohn Oliver vom eigenen Vater entführt und nach Dänemark gebracht. Am Samstag nun der erste Hoffnungsschimmer: Um 10.01 Uhr in der Früh klingelte das Telefon. Am Handy, ganz weit weg ihr Sohn: „Oliver war sehr abgelenkt, er kam kaum zu Wort und klang auch anders als sonst“, erzählte die verzweifelte Mutter. Und: Für ihr erstes Gespräch nach der Entführung blieben Marion W. nur kurze zwei Minuten Zeit.
Zugleich wandte sich Olivers Vater in einem Mail an Marion W.: „Oliver geht es richtig gut.“ Aber auch: „Ich möchte nicht, dass du ihn unnötig belastest oder dass er traurig wird.“
ÖSTERREICH in Dänemark
ÖSTERREICH-Reporterin Saskia Aberle traf am Samstagabend in Dänemark Olivers Vater. Er war kurz angebunden, aber freundlich.
Ein Parkplatz einige Autominuten außerhalb von Kopenhagen: Hier fand das Gespräch mit Thomas S. statt. Olivers Vater gibt sich wortkarg, ist aber stets freundlich. Dann bittet er die ÖSTERREICH-Reporterin in eine naheliegende Kneipe.
Jetzt taut er auf. „Oliver geht es bei mir sehr gut. Er ist ein großartiger Junge. Es ist super, dass er wieder da ist. Er tollt in der Wohnung herum und ist auch glücklich darüber, wieder bei Papa zu sein.“ Der Vater weiter: „Mein Sohn lernt langsam Dänisch – noch ist es ein Mischmasch aus deutschen und dänischen Worten. Auch die Großeltern freuen sich, dass sie Oliver wieder sehen können.“
Plötzlich unterbricht Thomas S. das Gespräch. Er will wieder zu seinem Sohn. „Ich muss mich um den Kleinen kümmern.“
Auf der nächsten Seite: So leidet die Mutter
So leidet Olivers Mama
Das Kinderzimmer in Graz-Wetzelsdorf ist ein echter Bubentraum: Ein Sandsack zum Boxen hängt von der Decke, in einer Ecke steht eine Carrera-Rennbahn, am Schreibtisch steht ein Kinder-Laptop. Jede Menge Kuscheltiere liegen am Bett. Bis Dienstag war es das Reich von Oliver (5). An diesem Tag entführte Thomas S. mithilfe eines Komplizen seinen Sohn Oliver vor dem Kindergarten in Graz nach Dänemark. Seither hält sich der Vater mit seinem Sohn versteckt.
Beim ÖSTERREICH-Besuch in Graz steht Olivers Mama Marion W. (39) mit Tränen in den Augen im verwaisten Kinderzimmer. In der Hand hält sie Olivers Vulkanmalerei: „Oliver wollte Vulkan-Forscher werden“, erzählt Marion W. „Mein Kind ist weg, und ich weiß nicht, wer mir helfen kann. Es wird jede Minute, jeden Tag schwerer zu ertragen“, so die Mutter.
Racheakt
Einen Ausweg aus der tragischen Situation gibt es nicht. Jeder Elternteil fühlt sich im Recht. Marion W. hat in Österreich das Sorgerecht. Der Vater in Dänemark.
Fast zehn Jahre lebte Marion W. in Dänemark. Die Beziehung hatte mehr Tiefen als Höhen. 2007 kam das endgültige Aus. Am 17. Juli 2010 übersiedelte sie mit Sohn Oliver nach Graz. „Ich hatte seit der Geburt das Sorgerecht. Also habe ich Oliver nicht entführt.“ Wenige Tage nach der Übersiedelung beantragte der Vater in Dänemark das Sorgerecht.
In Österreich verfügte eine Richterin, dass der Vater Oliver nur in Anwesenheit einer Psychologin sehen darf. „Die Richterin vermutete, dass der Vater die erstbeste Möglichkeit nutzen wird, um Oliver zu entführen.“ Tatsächlich wurde die Befürchtung wahr.
"Ich kann den Schmerz kaum mehr ertragen"
ÖSTERREICH: Frau Marion W., wie kann es so weit kommen, dass ein Sorgerechtsstreit mit einer Entführung endet? Gab es keine Möglichkeit für einen Konsens?
Marion W.: Das hat mit der Persönlichkeit des Vaters zu tun. Für ihn ist es ein Machtspiel. Es geht ihm nur ums Gewinnen und um Rache. Er denkt nicht daran, wie er Oliver damit schadet. Am 13. Jänner hat er vor einem Grazer Gericht noch geschworen, dass er Oliver nie so etwas antut.
ÖSTERREICH: Wie lief die Entführung genau ab?
Marion W.: Diese Erinnerung daran ist das Schlimmste. Wir kamen mit dem Auto gegen 8.20 Uhr zum Kindergarten. Ich habe das Auto geparkt, nahm Olivers Rucksack, stieg aus. Als ich mich umdrehen wollte, stand ein fast 2 Meter großer Mann vor mir, den ich nicht kannte. Er hielt mich zurück. Der Vater packte Oliver bei den Händen, damit er nicht um sich schlagen konnte. Ich war verzweifelt, geschockt, starr vor Angst und konnte nur mehr schreien. Oliver wurde vom Vater in einen schwarzen Volvo verfrachtet, ich versuchte mir das Nummernschild zu merken. Aber selbst daran hat er gedacht und ist dann in einem Wald in ein anderes Auto umgestiegen. Ich bin gleich in den Kindergarten gelaufen, um die Polizei zu verständigen.
ÖSTERREICH: So wie die Entführung geplant war, hat Ihr Ex-Lebensgefährte eine hohe kriminelle Energie. Ist Ihnen das nie aufgefallen?
Marion W.: Doch. Es gab auch einen Vorfall mir gegenüber, als wir noch in Dänemark lebten. Ich habe auch 600 Drohanrufe und Mails in Österreich von ihm erhalten. Das habe ich den Behörden weitergeleitet, aber die Dänen interessiert das nicht.
ÖSTERREICH: Ihr Sohn ist nun seit fünf Tagen in Dänemark in einem Versteck. Wie halten Sie die Belastung aus?
Marion W.: Am Tag kämpfe ich für meinen Sohn, sonst würde ich durchdrehen. Und wie es mir in den Abendstunden geht, das möchte ich nicht erzählen. Ich sehe seine Stofftiere am Bett, seine Gutenachtgeschichten, und ich weine nur mehr. Mein Kind ist weg, und ich weiß nicht, wer mir helfen kann. (kämpft mit den Tränen). Es wird jeden Tag, jede Minute schlimmer zu ertragen.
ÖSTERREICH: Welche Ängste quälen Sie?
Marion W.: Oliver muss in Sicherheit gebracht werden. Er muss weg von seinem Vater, denn der ist jetzt in einem Ausnahmezustand, wo keiner weiß, was ihm noch einfällt. Als ich den Vater im dänischen TV gesehen habe, hat mich sein verbissener Gesichtsausdruck geschockt. Er behauptete im TV, dass es Oliver gut geht und dass er in einem Nebenzimmer ist – doch warum hat er ihn nicht hergezeigt, wenn Oliver so fröhlich ist und angeblich schon wieder fließend Dänisch spricht – was sicher nicht stimmt.
ÖSTERREICH: Hat sich Oliver gefreut, wenn sein Vater ihn besucht hat?
Marion W.: Am Anfang schon. Aber jetzt zum Schluss wurde es immer zum Problem. Der Vater versuchte, ihn zu manipulieren. Er schenkte ihm einen Kindercomputer mit versteckten Videobotschaften. Auf diesen Botschaften sagte er zu Oliver, dass er alles dafür tun wird, damit sie sich jeden Tag sehen können. Im August 2010 war Oliver für ein paar Tage bei seinem Vater in Dänemark. Da hat er Videos mit Oliver gedreht, die er dann auf YouTube stellte. Oliver kam da verstört zurück.
ÖSTERREICH: Und was war auf den Videos zu sehen?
Marion W.: Vor der Aufnahme hat er Oliver Sätze eingelernt, wie ,Ich will 1.000 Tage mit Papa zusammen sein.‘ Man hört auf dem Video sogar, wie mein Ex-Lebensgefährte am Anfang sagt: ,Oliver, was haben wir vorhin besprochen?‘ Das psychologische Gutachten, das vom Gericht erstellt wurde, beurteilt diese Manipulationen als Kindesmissbrauch.
ÖSTERREICH: Was ist Oliver für ein Kind?
Marion W.: Er ist ein sehr aktives Kind. Er spielt im Fußballklub, ist ein irrsinnig guter Läufer. Beim Fangerlspielen ist er immer der Schnellste. Er möchte im Fußball so gut wie Messi werden, und sein momentaner Traumjob ist Vulkanforscher. Derzeit hat er nur Vulkane gemalt, und er liebt sein Vulkanbuch.
ÖSTERREICH: Wie werden Sie das Osterfest verbringen?
Marion W.: Ich habe keine Ahnung. Über Ostern kann man bei den Behörden nichts erreichen. Die Zeit läuft davon. Wir hätten so viele Einladungen gehabt, sein Freund Mario hätte bei uns übernachten sollen. Alle seine Freunde und deren Eltern sind geschockt, dass Oliver nicht mehr da ist. Seine Freunde aus dem Kindergarten haben mir Mails geschickt, dass ihr einziger Wunsch an den Osterhasen ist, dass der Oliver wieder zurückkommt (kämpft mit den Tränen).
ÖSTERREICH: Glauben Sie an ein Happy End?
Marion W.: Ich hoffe, dass die österreichischen Behörden sich von den Dänen nicht einschüchtern lassen. In Dänemark haben Ausländer nie die gleichen Rechte. Für sie ist Oliver ein Däne, nur weil er dort geboren ist. Er hat aber einen österreichischen Pass. Ich befürchte, sie rücken meinen Sohn nie wieder raus.