Prozess in Wien
Spitzenpolizist "Abreibung" verpasst
14.11.2011
Der Beamte wurde bei dem mutmaßlichen Racheakt schwer verletzt.
Im Wiener Straflandesgericht ist am Montag der Prozess um einen Chefinspektor der Wiener Polizei eröffnet worden, der am 5. Mai 2011 im Haus einer gebürtigen Russin in Wien-Donaustadt von einem "Rollkommando" brutal zusammengeschlagen und laut Anklage auch mit dem Tod bedroht wurde. Für Andreas Duensing, den Rechtsvertreter des 53-Jährigen, "war das mit Sicherheit Folter im Sinn der Menschenrechtskonvention. Er ist massivst verletzt worden", sagte der Anwalt zu Beginn der Verhandlung.
Vor dem Schöffensenat (Vorsitz: Christian Böhm) hatten sich eine 51-jährige Geschäftsfrau und ein 33-jähriger Slowake zu verantworten, den die gebürtige Russin um Hilfe gebeten haben soll, weil sie sich vor dem Chefinspektor fürchtete und diesem schließlich eine "Abreibung" zuteilwerden ließ.
Suspendierter Polizist in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs verurteilt
Die Verteidiger der beiden Angeklagten, Rudolf Mayer und Nikolaus Rast, verneinten "ein schutzwürdiges Interesse des Herrn Inspektor", wie Rast formulierte. Der Beamte war im vergangenen Februar wegen wiederholten Amtsmissbrauchs, Nötigung unter Ausnützung seiner Amtsstellung, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Betrugs und versuchter Bestimmung zur falschen Zeugenaussage zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er soll unter anderem seine "schützenden Hände" über eine Wiener Rotlicht-Größe gehalten haben. Falls sein Urteil in Rechtskraft erwächst - der Spitzenpolizist hat dagegen volle Berufung eingelegt -, wäre er seinen Job los. Bei mehr als einjährigen Freiheitsstrafen ist der Verlust der Amtsstellung als zwingende Rechtsfolge vorgesehen.
Der suspendierte Chefinspektor dürfte geglaubt haben, auf Kosten der vermeintlich wohlhabenden Russin Geschäfte machen zu können. Mit ihrem Ehemann hatte die Frau in einer Villa in Korneuburg gelebt, doch als dieser starb, stellte sich heraus, dass in Wahrheit kein Geld, sondern Schulden da waren. Die Frau borgte sich von mehreren Männern statthafte Beträge aus, verpfändete Schmuck und Pelzmäntel und gab die Pfandscheine als Sicherheiten her.
Darlehen zu Wucherzinsen
Der Polizist gewährte der Witwe zunächst ein Darlehen in Höhe von 17.000 Euro, weil sie ihm erklärte, das Geld zur Verlängerung eines pfandbesicherten Kredits zu benötigen. Der Beamte soll dafür allerdings 17 Prozent Zinsen verlangt haben. Bis zum Sommer übergab er ihr insgesamt weitere 8.000 Euro, wobei ihm die Witwe erläuterte, sie würde einen Teil der Summe für die medizinische Versorgung ihres erkrankten Sohns benötigen.
Als dem Beamten zu Ohren kam, dass die Villa der Witwe zwecks Schuldenbegleichung veräußert wurde, soll er die Chance gewittert haben, an sein Geld und die angeblich vereinbarten "Wucherzinsen" zu kommen. Er soll die 51-Jährige bedrängt, ihr schließlich mit seinen Freunden aus der Unterwelt gedroht haben.
Witwe heuerte slowakischen Schläger an
"Sie hat Angst gehabt vor diesem unguten Menschen. Sie hat mich gebeten, ob ich sie beschützen kann vor dieser Unterwelt", gab der angeklagte Slowake zu Protokoll, den die Witwe anheuerte, um - so die Verteidiger - dem Polizisten eine "Abreibung" zu verpassen.
Sie bat den Spitzenbeamten, zu ihr nach Hause zu kommen, wo sie ihn laut Anklage in ihr Schlafzimmer geleitete. Als er auf der Bettkante Platz genommen hatte, traten die teilweise mit Sturmhauben maskierten Männer auf den Plan und versetzten dem 53-Jährigen zahlreiche Faustschläge und Fußtritte. Dann wurde der Beamte laut Anklage aufs Bett gezerrt, wo er geknebelt und gefesselt werden sollte.
Polizisten mit Sturmgewehr bedroht
Der 53-Jährige setzte sich heftig zur Wehr. Er musste sich schließlich laut Anklage hinknien, seine Taschen leeren und seine Armbanduhr hergeben. Danach richtete einer der Männer ein Sturmgewehr auf den völlig verängstigten Polizisten. Dieser war der Anklageschrift zufolge "davon überzeugt, dass sein Tod nun unmittelbar bevorstand". Er habe "als einzige Möglichkeit, um dieser Situation zu entkommen, die Flucht durch die geschlossene, zweifach verglaste Terrassentür" gesehen.
Dieser Sprung brachte dem 53-Jährigen aber nicht die erhoffte unmittelbare Rettung. Die Männer, von denen außer dem 33-jährigen Slowaken kein einziger ausgeforscht werden konnte, verfolgten ihn bis auf den Gehsteig und zerrten ihn zurück ins Haus.
Kollegen retteten schwer verletzten Polizisten
Dem übel gerichteten Polizisten kam schließlich ein Streifenwagen zu Hilfe: Nachbarn waren auf die wüsten Szenen aufmerksam geworden und hatten den Notruf verständigt.
Prozess auf Mitte Dezember vertagt
Der Prozess ist nach dem ersten Verhandlungstag auf Mitte Dezember vertagt worden. Es wird zumindest drei weitere Termine geben, ehe Richter Christian Böhm die Urteile verkünden wird: Den 12., 14. und 21. Dezember.
In der heutigen Verhandlung wurde ausschließlich der 33-jährige Slowake vernommen, der im Auftrag einer russisch stämmigen Geschäftsfrau den infolge strafrechtlicher Verfehlungen in erster Instanz abgeurteilten und vom Dienst suspendierten Polizisten mit mehreren Mittätern verprügelt haben soll.
Angeklagter Slowake bekannte sich schuldig
Der Angeklagte bekannte sich zur inkriminierten Körperverletzung schuldig. Der Beamte habe die Frau bedroht, sie habe den Beschuldigten um Schutz gebeten. "Das war angemessene Gewalt. Eine Frau ist unter psychischem Druck, da geschieht das so, wie das geschehen ist. Wenn Männer sich schlagen wollen, schlagen sie sich. Und das ist dann erledigt. Wir haben gedacht, wir schlagen einen unguten Polizisten zusammen."
Der Slowake bestritt, den Chefinspektor geknebelt und gefesselt zu haben. Man habe ihn auch nicht dazu gebracht, in Todesangst durch eine geschlossene Terrassentür zu springen. Der Beamte hatte erhebliche Verletzungen - darunter einen Bruch des Augenhöhlenbodens und eine Nasenbeinfraktur - erlitten.