Interview Teil 2
"Gaddafi hat sich für uns eingesetzt"
06.11.2008
Im ÖSTERREICH-Interview erzählen Andrea Kloiber (43) und Wolfgang Ebner (51) erschreckende Details ihrer 252 Tage langen Geiselhaft in der Wüste.
ÖSTERREICH: Ihre Entführer sind radikale Moslems und gehören zur Al Kaida. Auf Druck der Amerikaner wurden alle Konten der sogenannten „Gotteskrieger“ in Algerien eingefroren. Waren die deshalb gezielt auf Raubzug?
Ebner: Ja. Die sind finanziell am Ende, kriegen auch von der Bevölkerung keine Unterstützung. Die sind darauf angewiesen, sich mit Lösegeld-Erpressungen über Wasser zu halten.
ÖSTERREICH: Wie ist die Bande strukturiert?
Kloiber: Streng hierarchisch. Ab der Nummer 3 gibt es nur noch Büttel, die Befehle ausführen.
Ebner: Genau. Witzig ist, dass in der oberen Führungsebene alle Nummern haben. Die Nummer 1 (Yahia Djouadi, 41 – Red.) sitzt in den Bergen von Algerien und ist zuständig für die ganze Sahara. Er bestimmt alles. Unseren Fall hat er allerdings an die Nummer 2 (Hamadou Obeid, 42, – Red.) abgegeben. Unter dem gibt es noch einen dritten Führungskreis, der aus sieben Leuten besteht. Unsere Lagerleiter waren alle aus dieser Ebene. Aber die haben nicht wirklich was zu sagen.
ÖSTERREICH: Wenn Sie nicht gerade mit Geländewagen von Versteck zu Versteck unterwegs waren: Wie haben Sie in der Wüste gelebt? Wurden da Zelte aufgestellt?
Kloiber: Nein. Man macht sich mit den Decken, in denen man nachts schläft, und Kleingehölz, das man im Sand findet, einen Schatten. Der ist dann so 1,50 Meter mal 1,80 Meter – und dort verbringt man den ganzen Tag. In den ersten Wochen waren wir gut versorgt, weil die Bande in der Wüste Depots angelegt hatte: Im Sand vergrabene Tonnen mit Sprit, gelbem Mehl, Reis, Nudeln, ein bisschen Tomatenmark und – am wichtigsten – Tee und Zucker. In den heißesten Wochen haben wir 14 Liter Flüssigkeit pro Tag getrunken, mussten aber kaum je aufs Klo, weil man so wahnsinnig schwitzt.
So half Gaddafi bei der Geiselbefreiung „Du kannst jetzt Andrea küssen. Der Sohn des libyschen Staatschefs verhandelt mit uns, ihr seid bald frei.“ Das sagte einer der Entführer schon Mitte März, einen Monat nach der Entführung, zu Wolfgang Ebner (siehe Interview). Vier Tage zuvor schickte Jörg Haider eine E-mail an seinen Freund Saif Gaddafi, den Sohn des libyschen Staatschefs (siehe unten), in dem er um Hilfe bat. ÖSTERREICH liegt nun das detaillierte Protokoll von Gaddafis Bemühungen vor: Gaddafi bot sofort nach der E-mail seine Hilfe an. Danach gab es laufend telefonischen Kontakt zwischen Gaddafi und Haider. Am 22./23. August erfolgte ein Treffen zwischen Gaddafi, Haider und seinem Ex-Sprecher Karl Heinz Petritz in Velden. Gaddafi meinte, dass die Verhandlungen voll angelaufen seien.
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ÖSTERREICH: Von anderen Geiselnahmen ist bekannt, dass die Opfer ihren Peinigern Spitznamen gaben: der Psychopath, der Sadist, der Freund. War’s bei Ihnen auch so?
Ebner: Nein. „Freund“ gab es keinen, aber wir wurden auch nie gequält. Nur einmal, im August, wurde ich vor den Augen aller hart bestraft.
ÖSTERREICH: Wofür?
Ebner: Ich hatte mit dem Lagerführer per Handschlag ausgemacht, dass ich mit meinem Sohn Bernhard telefonieren darf. Aber zwei Tage später hat er sein Versprechen gebrochen. Ich hab ihm gesagt: „Du bist ein Moslem, du musst zu deinem Wort stehen.“ Aber er hat nur mit den Achseln gezuckt. Da bin ich rabiat geworden.
ÖSTERREICH: Sie haben zugeschlagen?
Ebner: Ja, es kam zu einer Rauferei. Zehn Mudschahedin haben versucht, mich auf den Boden zu drücken, aber es ist ihnen nicht gelungen, so sehr war ich auf Adrenalin. Ich hab nicht verloren, es war ein Unentschieden am Schluss. Aber wirklich sauer waren die nur, weil ich gebrüllt habe: „Schießt doch einfach, dann bin ich von euch erlöst. Aber sogar dazu seids ihr zu feig!“
ÖSTERREICH: Wie wurden Sie bestraft?
Ebner: Ich musste zu Mittag zwei Stunden ohne Wasser in der prallen Sonne stehen. Bei der sengenden Hitze dort wird man nach drei Stunden ohnmächtig und nach vier bis fünf Stunden ist man tot.
ÖSTERREICH: Haben die „Gotteskrieger“ je versucht, die Entführung Ihnen gegenüber zu rechtfertigen?
Ebner: Ja, mit ihrem Glauben. Wenn ein Ungläubiger muslimischen Boden betritt, sind sie angeblich verpflichtet, zu handeln. Lieber hätten sie zwar Amis, Juden, Franzosen oder Briten geschnappt. Aber auch wir hätten unser Schicksal verdient, weil Österreich in der EU ist und die Soldaten im Irak hat. Später haben sie uns auch vorgehalten, dass in Österreich zwei Mudschahedin gefangen gehalten werden (gemeint waren die Terrorverdächtigen Mona S. und Mohamed M. – Red.)
ÖSTERREICH: Was war der gefährlichste Moment?
Kloiber: Zwei Wochen vor unserer Befreiung wäre ich fast gestorben. Ich hatte durch Menstruationsbeschwerden einen furchtbaren Blutverlust. Und ich wusste, dass die im Lager Infusionen hatten, aber mir wollten die „Gotteskrieger“ keine geben. Die dürfen Frauen nicht umbringen, aber vermutlich haben die sich gedacht: Wir erledigen das auf natürliche Art und lassen sie einfach krepieren.
Ebner: Ich habe den Lagerleiter gebeten, Andrea freizulassen, damit sie in ein Spital gehen kann. Er hat abgelehnt. Ich habe um Schmerztabletten für sie gebettelt. Abgelehnt. Da habe ich beschlossen, Hilfe zu holen. Ich bin früher Marathons gelaufen. Und ich wusste: Etwa 20 Kilometer von unserem Versteck entfernt waren Nomadenzelte. Es war eine Vollmondnacht – und ich bin hingelaufen, immer den Reifenspuren nach. Aber die haben mich verjagt. Also lief ich wieder zurück. Am nächsten Tag haben mich die Nomaden auch noch verpfiffen. Von da an wurden wir streng bewacht.
ÖSTERREICH: Und der schönste Moment?
Kloiber: Als uns der Lagerleiter sagte: Gaddafis Sohn Saif setzt sich für euch ein. Jetzt seid ihr bald frei.
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