Zweiter Prozesstag

Sterbehilfe-Prozess geht weiter

07.10.2008

Helmut Wihan will seiner schwer kranken Bekannten Sterbehilfe geleistet haben. Zeugen berichten vom fehlenden Lebenswillen der Patientin.

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© Niesner / Tageszeitung ÖSTERREICH
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Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den früheren Salzburger Lungenfacharzt Helmut Wihan (67), der am 13. Juni 2006 einer befreundeten Patientin im Flachgau auf deren Wunsch tödlichen Injektionen gesetzt haben soll, sind am Donnerstag zahlreiche Zeugen einvernommen worden. Das Gericht versuchte durch die Befragungen den psychischen und körperlichen Zustand der 70-jährigen, depressiven Frau zu beleuchten. Ein Freund und ein Cousin der Verstorbenen erzählten, dass die Pensionistin ihren Lebenswillen verloren habe.

Cousin berichtet von fehlendem Lebenswillen
"Für sie ist die Welt zusammengebrochen, als ihr Sohn nach Amerika gegangen ist. Sie hat keinen Sinn mehr im Leben gefunden. Sie hat das ganz bewusst gemacht. Und so gesund war sie auch nicht mehr. Sie war aber immer geistig rege", sagte ihr 61-jähriger Cousin. Selbstmordabsichten habe die "geistig rege" Frau ihm gegenüber aber nie geäußert, ergänzte der Unternehmer.

Allerdings zitierte der Vorsitzende Richter Wilhelm Longitsch aus einem Vernehmungsprotokoll, wonach der Zeuge angegeben hatte, seine Cousine hätte mit ihm über eine Sterbeklinik in der Schweiz gesprochen. Die Frau hatte sich auch kurz vor ihrem Tod bei einem Bestattungsunternehmen in St. Gilgen über die Kosten für die Überführung eines Leichnams von Genf nach Salzburg erkundigt. Das bestätigte der Bestatter heute im Zeugenstand.

Geistig noch fit
Ein enger Freund der Pensionistin, der sie regelmäßig besuchte und mit ihr oft telefonierte, konnte an ihr zwar einen körperlichen, "aber keinerlei geistigen Abbau" bemerken. Im Jahr 2006 habe seine "sehr gebildete, intelligente Tante" mehrfach gemeint, "dass sie sterben will. Zuletzt hat sie das zehn Tage vor ihrem Tod gesagt". Er habe gewusst, dass sie Medikamente, "Gift", bei sich hatte. "Es war mir immer klar, dass sie selbst entscheiden wollte, wann sie ihr Leben beenden will", erklärte der 29-jährige Angestellte dem Schwurgericht

Zwei oder drei Tage vor ihrem Tod habe ihm die Pensionistin drei Kuverts gegeben, die er ihrem Sohn übermitteln sollte - solche Erledigungen habe er oft für sie gemacht, führte der Zeuge weiter aus. Darin befanden sich Geld, ihr persönlicher Schmuck und ein Foto des Sohnes. Am 13. Juni habe er mit ihr am späten Nachmittag noch telefoniert, "es war ein ganz normales Telefonat, nichts Auffälliges", sagte der Angestellte. Ob sie noch Pläne gehabt hatte, wollte der beisitzende Richter Manfred Seiss wissen. "Den 70. Geburtstag wollten wir noch feiern. Sie hat erwartet, dass sie ihr Sohn besucht, doch er hat abgesagt."

Sohn des Angeklagten im Zeugenstand
In den Zeugenstand trat auch ein 35-jähriger Mann, der angab, zu 50 Prozent der Sohn des Angeklagten zu sein. Der Koch erzählte von einem ersten Treffen mit seinem mutmaßlichen Vater im November 2006. Auf die Sterbehilfe an der Frau angesprochen, habe Wihan geantwortet, er hätte "einen Blödsinn gemacht und der Frau zwei Spritzen gesetzt. Er werde es nicht mehr tun", zitierte der Zeuge aus dem Gespräch.

Starrsinnige Patientin
Ein ehemaliger Hausarzt der Verstorbenen berichtete, dass die Pensionistin an schweren Durchblutungsstörungen sowie an einem organischen Psychosyndrom gelitten hätte und es ihr zunehmend schlechter gegangen sei. Die Witwe "hat über große familiäre und finanzielle Probleme geklagt. Sie hat gewusst, dass sie schwer krank ist, sie war depressiv und traurig darüber, dass ihr Sohn, ein Arzt, nach Amerika gegangen ist. Sie hat gesagt, dass sie ihren derzeitigen Zustand nicht lebenswert findet."

Die Patientin sei starrsinnig gewesen und habe immer verlangt, was sie wollte, so der praktische Arzt. Er habe sie wegen ihres schlechten körperlichen Zustandes im Jänner 2006 in ein Krankenhaus einweisen wollen. "Weil sie das nicht befolgt hat, habe ich die Behandlung abgebrochen."

Neuer Anwalt
Detail am Rande: Der Angeklagte hat den Verteidiger gewechselt. Statt Utho Hosp wird er von Peter Cardona vertreten. "Cardona war ein Schulfreund von mir, ich hab von ihm abgeschrieben", sagte Wihan. Gegenüber einem ORF-Journalisten meinte er, Hosp hätte zu wenig "Power" gehabt. Wihan weist den Mordvorwurf der Staatsanwaltschaft zurück, er spricht von "Sterbehilfe aus Mitleid".

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Drei tödliche Injektionen in die Beine
Zugetragen hat sich der Vorfall in einem Haus in Obertrum im Flachgau. Laut Anklage hat Wihan seiner langjährigen guten Bekannten drei Injektionen Tramadol und Methadon in die Beine gesetzt. Nach einem psychiatrischen Gutachten hätte dem Mediziner aber klar sein müssen, dass die an Depressionen, Hypomanie, Epilepsie und Demenz leidende Frau, die auch dem Alkohol zugetan und Kettenraucherin war, keinen freien Tötungswillen mehr bilden habe können. Die Staatsanwaltschaft sieht deshalb nicht den Tatbestand "Tötung auf Verlangen" verwirklicht, der mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist, sondern "Mord" (zehn bis 20 Jahre oder lebenslänglich).

"Nicht schuldig"
"Nein, ich bin nicht schuldig", sagte Wihan zu Beginn des Prozesses. In den vergangenen fünf Jahren ihres Lebens habe die Frau immer wieder einen Sterbewillen geäußert, da habe er ihr noch zugeredet, "du bist reich, genieße das Leben". Doch im letzten Jahr sei es mit der Frau rapide bergab gegangen. Sie hatte eine Herzoperation, "schwerste Durchblutungsstörungen, Verkalkungen und Aufweichungen im Gehirn". Ein Selbstmordversuch der Frau durch einen Medikamenten-Cocktail rund vier Monate vor ihrer Tötung am 13. Juni 2006 sei gescheitert.

"Zum Schluss war sie ganz eingefallen und weiß im Gesicht, wie ein Geist. Sie sagte zu mir: 'Jetzt musst du mir helfen. Jetzt ist der letzte Moment, wo ich noch alle Sinne beieinander habe, um das zu entscheiden'. Wenn sie mir nicht so leidgetan hätte, wenn es ihr nicht so schlecht gegangen wäre, hätte ich ihr auch nicht geholfen", betonte der Mediziner, der die Frau bereits 50 Jahre gekannt hatte.

Die Frau habe sich zwei Spritzen Morphium selbst gespritzt, danach habe er ihr eine dritte Injektion gesetzt. "Ich steh' dazu, auch wenn Sie mich einsperren, es ist egal, ob ich hier oder dort schlafe, so toll ist die Freiheit daheim auch nicht. Sie können mich nach Sibirien schicken", beschimpfte er einen Gutachter und bezeichnete ihn als "Affen", als "Seelenlosen". Von Tramadol- oder Methadon-Injektionen, wie es in der Anklage steht, wisse er gar nichts. Ebenfalls nicht bekannt sind ihm Einstiche in die Füße.

Gutachter widersprechen Wihan
Die Gutachter untermauerten Wihans Aussagen nicht in allen Punkten. So konnte Gerichtsmedizinerin Edith Tutsch-Bauer an der Leiche der Frau keine Einstichstellen an den Armen finden, wie dies der Arzt behauptet hatte. Und die von ihr vorgefunden Einstichstellen an den Füßen seien für einen Laien sehr ungewöhnlich, weil es schwierig sei, dort die Venen so punktgenau zu treffen, wie es der Fall war. Außerdem sei die 70-Jährige nicht todkrank gewesen. Der Toxikologe wiederholte seine Aussage, wonach die Frau an einer Mischintoxikation von Tramadol und Methadon gestorben sei und nicht an Morphium. Dieses habe man im Körper gar nicht gefunden.

Da der Angeklagte eine psychiatrische Untersuchung im Ermittlungsverfahren verweigert hatte, gab heute der renommierte Gerichtspsychiater Reinhard Haller aufgrund von Videoaufzeichnungen und seinen Beobachtungen in der Verhandlung eine Stellungnahme ab. Eine Geisteskrankheit könne er mit hinreichender Sicherheit ausschließen, so Haller, Wihan weise aber eine auffallende Persönlichkeit auf: "Er ist emotional instabil und neigt zu Übertreibungen." Die Persönlichkeitsstörung sei aber nicht so schwer, dass sie die Zurechnungsfähigkeit aufhebe.



Aussage des Sohnes
Am Nachmittag sagte der 40-jährige Sohn der Verstorbenen als Zeuge aus. Der Gynäkologe, der derzeit an der Universität Atlanta in der Forschung tätig ist, erzählte, dass seine Mutter "phasenweise in einem Zustand war, wo sie gewisse Situationen nicht beurteilen konnte". Sie sei mehr als 20 Jahre lang depressiv gewesen und habe öfters einen Sterbewillen geäußert, "das erste Mal, als ich 17, 18 Jahre alt war", so der Arzt.

Seine Mutter habe viele Operationen gehabt, "im Zeitraum von 2000 bis 2006 sind es acht gewesen", sagte der Zeuge. Mehrere Schicksalschläge hätten ihr Leben erschwert. "Als 26-Jährige hat sie eine Tuberkulose überlebt, sie war alleinerziehende Mutter - mein Vater ist an Leberkrebs gestorben, als ich sieben Jahre alt war."

"Endogene Depression"
Eine Neurologin habe der Frau eine "endogene Depression" diagnostiziert, das bedeute, dass ohne äußeren Anlass Suizidgedanken entstehen können. "Aber sie hatte auch immer wieder Freude am Leben. Nach ihrer Gefäßoperation in Wien im Mai 2006 hatte ich einen positiven Eindruck." Allerdings sei seine Mutter zeitweise verwirrt gewesen. Das sagte heute auch die Haushälterin der Verstorbenen im Zeugenstand.

Ein paar Tage vor ihrem Tod habe ihn seine Mutter in Amerika angerufen und ihm vorgeworfen, "'du magst mich nicht', das war für mich befremdend. Todessehnsüchte hat sie nichts geäußert", führte der Mediziner weiter aus. Die Familie habe ein finanzielles Problem belastet, es sei um einen Kredit über 1,2 Mio. Euro gegangen. Den Todestag interpretiere er so, "dass sie einen Schwächezustand hatte, dass sie geglaubt hat, sie sei in einer finanziellen Notsituation".

Keine Entschuldigung
Der Abschiedsbrief, der an ihn gerichtet war, sei mit zittriger Handschrift verfasst gewesen, "das hat gezeigt, dass sie offensichtlich nicht normal war". Der Arzt beteuerte auch, dass seine Mutter nicht vereinsamt war und regelmäßig soziale Kontakte pflegte. Die Frage des Privatbeteiligten-Vertreters Kurt Jelinek, ob sich Wihan für die Tat bei ihm entschuldigt hätte, beantwortete der 40-Jährige mit "nein".

Die Haushälterin der Pensionistin berichtete, dass sich der Zustand der Frau seit einem Sturz im Dezember 2005 verschlechtert habe. Am Tag ihres Todes habe sie im Auftrag ihrer "Chefin" zwecks Geldbehebungen zur Bank gehen müssen. Schließlich seien ihr einmal 43.000 Euro und einmal 22.000 Euro ausbezahlt worden. Im Haus der offenbar Lebensüberdrüssigen habe sie dann vor ihren Augen 27.000 Euro abzählen müssen (das ist jener Betrag, den sie Wihan dann übergeben hatte, Anm.). Am Vormittag des 14. Juni sei die sonst immer versperrte Haustüre offen gestanden. Sie habe die Frau tot im Wohnzimmersessel aufgefunden. Ein Scheck über 58.000 Euro sei noch dagelegen, die Sektflasche, die sie am Vortag besorgen musste, "war fast noch voll".

Prozess vertagt
Der Prozess wurde kurz vor 17.00 Uhr vertagt. Im Dezember sind zwei weitere Verhandlungstage anberaumt. Am 16. Dezember sind acht Zeugen geladen, weiters soll das neuropsychiatrische Gutachten über die Verstorbene erörtert werden. Am 17. Dezember sind die Plädoyers und die Urteilsverkündung vorgesehen.

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