Forscherin: Sexualisierte Gewalt wird Geflüchteten als "normales Verhalten" unterstellt.
Seit der Silvesternacht 2015 in Köln stellen Teile von Politik und Medien junge Migranten unter Generalverdacht, sexualisierte Gewalt als "normales Verhalten" in ihrem Repertoire zu haben. Für Migrationsexpertin Susanne Spindler soll dies "noch rigidere Migrationspolitiken" rechtfertigen. Sie eröffnete Donnerstagabend mit einem Vortrag die Tagung "Migration und Männlichkeiten" an der Uni Wien.
Schutzberechtigung infrage gestellt
Durch die Gleichsetzung von jungen (muslimischen) Migranten mit gewalttätiger patriarchaler Männlichkeit wird auch die Schutzberechtigung vieler an Übergriffen unbeteiligter Männer infrage gestellt, kritisiert die Forscherin vom Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt. Historisch sei diese Diskursfigur nicht neu: Schon zu Zeiten des Kolonialismus galt männliche Gewalt von Kolonisierten als Beleg für deren "Unzivilisiertheit", mit der Ausbeutung und Unterdrückung legitimiert wurden.
Heute werde die Herkunftskultur als "Erklärung" für sexuelle Übergriffe hergenommen und Migranten damit implizit eine bestimmte Haltung unterstellt. Gleichzeitig mit dieser Projektion auf "die Anderen" werde "die eigene, nationale Männlichkeit" als unproblematisch verklärt, Diskussionen über sexualisierte Gewalt in Europa fänden dann nicht statt.
"Ausruhen auf der Kulturthese"
Durch das "Ausruhen auf der Kulturthese", wie Spindler es nennt, werde außerdem nicht mehr über andere Erklärungsansätze gesprochen. Das Asylsystem schließe etwa Migranten von "anerkannten Formen der Geschlechterkonstruktion: Arbeit, Einkommen, Erfolg" aus, weshalb viele dann umso mehr an der "Ressource Männlichkeit" festhalten. "Wir sollten den Blick viel mehr dahin richten, was das Asylsystem Frauen und Männern antut. Darauf hat die Gesellschaft dann auch Einfluss, viel mehr als auf die Annahme von Problemen aufgrund eines kulturellen Hintergrunds", forderte Spindler gegenüber der APA.
Bei der heute, Freitag, stattfindenden international besetzten Tagung beschäftigen sich Vortragende mit Fragen wie der Darstellung männlicher Flüchtlinge bzw. Moslems, der "Rassierung von Sexismus im Migrationsdiskurs deutscher Medien", aber auch Männlichkeitskonstruktionen im österreichischen Hip-Hop.