Reporter Karl Wendl begleitete einen Flüchtlingsbus eine Nacht lang durch Österreich.
Das Transitlager an der slowenisch-österreichischen Grenze in Spielfeld, Donnerstag kurz vor Mitternacht. Tausende Flüchtlinge harren in der Kälte aus. Eingehüllt in Decken und Alufolien stehen sie aufgefädelt in Zweierreihen. Warten auf den Weitertransport nach „Germany“, ihr gelobtes Land.
Dort wollen alle hin. Zwei von ihnen sind Aziz Hamad, 28, ein Afghane, und sein siebenjähriger Sohn Fares (siehe Interview). Seit zwei Monaten sind sie unterwegs. Überall Chaos. Jetzt plötzlich erstmals Ordnung.
23.55 Uhr: Unser Bus startet, das Ziel ist Linz.
Pendelverkehr. Mehrere Bundesheer-Busse stehen von dem Sammelcamp. Jeder hat Platz für 50 Personen. Der erste Bus fährt nach Kufstein (Tirol), der zweite nach Salzburg, der dritte nach Linz. Aziz Hamad und sein Sohn werden dem dritten Bus zugeteilt. Zehn Minuten später ist Abfahrt. Am Steuer sitzt ein Bundesheer-Vizeleutnant. 260 Kilometer liegen vor uns. Erst über die Autobahn nach Graz, dann über die Pyhrn-Autobahn nach Linz. Es ist warm im Bus, draußen ist es stockdunkel, es schüttet, alle schlafen. Die meisten wissen gar nicht, in welchem Land sie sind.
03.10 Uhr. Nach knapp drei Stunden Fahrt erreicht der Bus Linz. Verschlafen klettern 50 Flüchtlinge aus dem Bus. Mitarbeiter des Arbeiter Samariterbundes bringen sind in ein weiteres Transitlager. Es ist ein ehemalige Bürogebäude der ÖBB. Die Menschen erhalten Tee, ein Sandwich, ein Bett. Todmüde fallen sie in ihre Notbetten, alle wollen ausschlafen, doch daraus wird nichts.
07.15 Uhr. Nach nur drei Stunden Schlaf werden sie geweckt, aus dem Tiefschlaf gerissen. Die Jagd durch Österreich geht weiter.
Beim Transitlager in Linz fahren Busse vor. Meistens steuern die Chauffeure die oberösterreichischen Grenzorte Kollerschlag, Schärding, Mühldorf, Julbach oder Braunau am Inn an, Hitlers Geburtsort.
In Braunau liefern sie ihre Fuhren beim Roten Kreuz ab, direkt hinter Hitlers Geburtshaus. So geht es seit Wochen, Tag für Tag, eine gewaltige Logistik.
11.00 Uhr. Kurz vor der Grenze müssen die Flüchtlinge raus aus den Bussen Die letzten drei, vier Kilometer sind zu Fuß in Richtung Bayern zu absolvieren. So auch die syrische Familie Walid Jababh, seine Frau Huda und Sohn Mustafa.
Rasch überqueren sie die Brücke über den Inn, erreichen bis kurz elf Uhr Neuhaus am Inn, der erste Ort in Deutschland: „Ist das Deutschland?“, fragen sie zweifelnd. Ja, es ist Deutschland. Es ist kurz vor elf Uhr. genau elf Stunden waren sie von Spielfeld bis Bayern unterwegs. Rekord.