ÖSTERREICH
Die Enführung, die keine war
01.06.2008
Ein Tiroler Pärchen täuschte ein Kidnapping vor, um vor Zwangsheirat zu flüchten. Jetzt stellte es sich der Polizei.
An der Sache war von Anfang an etwas faul: Am 23. Mai wurde der Polizei in Reutte eine Entführung gemeldet. Zeugen, die aus dem persönlichen Umfeld eines 21-jährigen, türkischstämmigen Tirolers und seiner Freundin (20) stammen, hatten Folgendes beobachtet: Der junge Mann „zerrte seine Freundin an den Haaren in einen Audi und raste davon.“ Doch die Kripo wunderte sich: Warum verständigten die Zeugen die Polizei erst eine halbe Stunde nach dem Vorfall? War es wirklich ein Kidnapping?
Geständnis
Die Antwort auf diese Fragen bekam die Exekutive
nun frei Haus geliefert: Am Samstag spazierten der vermeintliche Entführer
und sein „Opfer“ Hand in Hand in die Wachstube in Reutte, und erzählten den
staunenden Beamten von der dramatischen Entführung – die keine war. Das
Liebespaar hatte alles bis ins kleinste Detail inszeniert.
Zwangsheirat
„Sie erzählten, dass sie dem Druck, den ihre
Familien auf sie ausübten, nicht mehr gewachsen seien“, berichtet Egon
Lorenz von der Tiroler Kripo. Der Hintergrund ist verblüffend: Die
Verliebten sollten heiraten – allerdings jeweils einen anderen Partner. Ihre
Familien waren offenbar gegen ihr Verhältnis, die Beiden flüchteten vor der
Zwangsheirat.
Untergetaucht
Weil ihre Verzweiflung genauso groß war wie ihre
Liebe, inszenierte das Pärchen (um Ruhe vor ihren Familien zu haben) eine
wilde Entführung. Da sie nicht wussten wohin, fuhren die Beiden nach
Deutschland. Dort wohnten sie eine Woche lang bei Verwandten in
Frankfurt/Main.
Fahndung
„Etwas Ähnliches hatten wir schon vermutet und ich bin
froh, dass diese Theorie sich bewahrheitet hat“, atmet Kriminalist Lorenz
auf. Denn: „Es wäre schlimm gewesen, wenn wir die junge Frau irgendwo tot
gefunden hätten.“ Die Ermittler mussten nämlich – trotz aller
Ungereimtheiten – von einer gewaltsamen Entführung ausgehen; deshalb war
eine aufwendige Großfahndung samt Hubschraubern eingeleitet worden.
Anzeige
Das ist nun auch der Grund, warum das Paar mit einer
Anzeige rechnen muss: Die „Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung“
wird mit bis zu sechs Monaten Haft, bzw. mit hohen Geldstrafen geahndet.
Strafe
Worüber sich Juristen den Kopf allerdings noch zerbrechen
müssen, ist die Frage, ob man die Flucht nicht auch als eine Art Notwehr
interpretieren kann. Das Paar flüchtete nämlich (wenn auch sehr spektakulär)
vor einer Straftat: der Zwangsheirat. Die „Nötigung zur Eheschließung“ wird
hart bestraft – den Verwandten des Paares drohen bis zu fünf Jahre Haft.