Der Angeklagte gebürtige Deutsche, der seinen stark behinderten Sohn getötet haben und einen Raubüberfall samt angeblichen Angreifer erfunden haben soll, bekannte sich zu Beginn des Prozesses gegen ihn nicht schuldig.
Innsbruck/St. Johann in Tirol. Im Fall eines sechsjährigen Buben, der im August 2022 tot in der Kitzbüheler Ache in St. Johann in Tirol gefunden worden war, hat am Mittwoch am Landesgericht Innsbruck der Prozess gegen den 39-jährigen Vater wegen des Verdachts des Mordes unter großem Medieninteresse begonnen. Der Angeklagte bekannte sich zu Beginn nicht schuldig. Während die Staatsanwaltschaft gegenteilige Beweise ins Treffen führte, konnte die Verteidigung nur "Hinweise" erkennen.
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Der 39-Jährige zeigte sich zu Beginn seiner Befragung vor Richter Andreas Fleckl emotional mitgenommen - er sei schließlich mit einer "heftigen Anklage" konfrontiert. Als ihn der Richter bat, die Ereignisse in jener Nacht zu beschreiben, brach er in Tränen aus. Sein Sohn sei in der regnerischen Nacht wie so oft unruhig gewesen, er habe einen "Spaziergang" wie so oft unternommen. Die Ache habe "richtig laut gerauscht" und der Regen habe auf seinen "Schirm geprasselt". Seine letzte Erinnerung sei "ein Blitzschlag im Kopf" gewesen, blieb er bei einem angeblichen Raubüberfall mitsamt folgender Ohnmacht.
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Bei seiner Befragung im Krankenhaus habe er den Beamten schließlich von einem auffälligen Mann mit Kapuzenpullover erzählt. Dieser sei "aus dem Dunklen" gekommen, damals habe er bei ihm aber vielmehr an einen Zeugen als an einen Täter gedacht, führte der Angeklagte äußerst wortreich aus. Im Spital sei dann auch "Panik" in ihm hochgestiegen, da er Angst hatte, dass sein Sohn, der sich von Wasser stark angezogen gefühlt habe, in die Ache gefallen sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt war der Bub noch nicht gefunden gewesen. Er wurde wenig später tot auf einer Sandbank entdeckt.
"Mein Sohn war einer der tollsten Menschen"
Ausführlich schilderte der Deutsche die vielfältigen Bemühungen um seinen Sohn wegen dessen Gendefekts. Auf mehreren Ebenen hätten sich aber im Laufe des Jahres 2022 entscheidende Fortschritte eingestellt. "Es gibt viele Sechsjährige, die schwieriger zu handhaben sind als er", beschrieb der 39-Jährige die zuletzt vorliegende Situation. Auch bezüglich Forschung und zukünftiger Heilungsaussichten sei man zuletzt zuversichtlich gewesen. "Mein Blick auf die Zukunft war voller Vorfreude", versicherte der Angeklagte: "Ich hatte kein Motiv, meinem Kind so etwas anzutun."
Seinen Sohn zu Grabe zu tragen, sei "das schlimmste, was ich je im Leben erlebt habe". Er habe sofort psychologische Hilfe benötigt und sei "auf allen Ebenen am Ende" gewesen. "Mein Sohn war einer der tollsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte", so der Angeklagte unter Tränen. Dieser habe das Leben viel mehr wertgeschätzt als andere. "Jede einzelne Schneeflocke hat er gefeiert", erinnerte er sich: "Das ist nicht nur eine Belastung, sondern auch eine große Bereicherung für eine Familie". "Ich hatte einfach so viel mit ihm vor", der Verlust sei weiterhin unbegreiflich. Ebenso sei "unerträglich", dass der eigentlich dafür Verantwortliche weiter auf freiem Fuß sei.
"Die Medizin kann es uns nicht erklären"
Staatsanwalt Joachim Wüstner hatte sich indes zuvor in seinem Eröffnungsplädoyer von der Schuld des Angeklagten eindeutig überzeugt gezeigt. Gutachten der Gerichtsmedizin sowie der Psychologie würden Zweifel an dem behaupteten Raubüberfall aufkommen lassen. Es sei etwa nicht glaubwürdig, dass der 39-Jährige über eine Stunde lang ohnmächtig gewesen sein soll: "Die Medizin kann es uns nicht erklären, warum er so lange bewusstlos war - die Strafjustiz kann es." Auch würden Videoaufnahmen zeigen, dass sich die Tatwaffe - eine Sektflasche - im Kinderwagen befinden würde und darauf DNA-Spuren vom Kind nachweisbar gewesen seien. Es gebe keine DNA-Spuren von einem etwaigen Täter am Handy oder der Kleidung des Angeklagten - somit sei dies nicht mit dem angeblichen Raubüberfall in Einklang zu bringen. Das Handy - damals das neueste iPhone - sei nicht gestohlen, sondern in einem Mistkübel entsorgt worden und am Schrittzähler seien "die Schritte des Räubers" nicht aufgezeichnet worden, argumentierte der öffentliche Ankläger. Aus der Handyauswertung ging hervor, dass der Mann kurze Zeit vor dem Tod des Kindes nach dem Wort "ohnmächtig" gesucht habe.
Wüstner räumte ein, dass der Vater sein gesundheitlich beeinträchtigtes Kind "sicherlich geliebt" und sich "jahrelang aufgeopfert" habe. Als die Suche nach einem Kindergartenplatz in jenem Sommer gescheitert sei, habe sich der 39-Jährige in einer Nachricht an die Mutter gefragt, "wie viele Rückschläge man verkraften" könne. "Vielleicht wollte er sein Kind erlösen, vielleicht wollte er seine Familie erlösen", meinte er.
"Liebevolle Beziehung" zwischen Vater und Kind
Verteidiger Mathias Kapferer betonte dagegen vielmehr die "liebevolle Beziehung" zwischen Vater und dem Kind und merkte an, dass auch zwischen die Eheleute "kein Blatt Papier passt". Der erkrankte Bub habe zudem vor seinem Tod erhebliche Fortschritte gemacht, seine Prognose sei gut gewesen. Auch sei die Betreuung gesichert gewesen, ein fehlender Kindergartenplatz könne nicht als Motiv dienen.
Insgesamt gebe es in dem Verfahren "überhaupt keine Beweise", meinte Kapferer, der den 39-Jährigen gemeinsam mit dem bekannten Anwalt Albert Heiss vertritt. Er kritisierte das polizeiliche Ermittlungsverfahren, so seien etwa Glasscherben "vom Straßenkehrer von St. Johann zusammengekehrt und entsorgt" worden. Der Schrittzähler sei "fehlerhaft" gewesen. Zudem habe man ein Beweisvideo nicht rechtzeitig gesichert, das einen Unbekannten zeigen würde. Auf der Kleidung des Buben sei außerdem die DNA eines "fremden Mannes" entdeckt worden sein, verwies der Verteidiger auf private Gutachten. Dass sein Mandant nach dem Begriff "ohnmächtig" gesucht habe, habe mit einer Frage seiner Tochter nach Quallen zu tun gehabt.
Am Nachmittag werden Gutachter an der Reihe sein. So werden Gerichtsmediziner Walter Rabl und die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter gehört. Die Verteidigung kündigte indes auch eigens erstellte Privatgutachten an. Auch die Befragung des Angeklagten soll noch am Mittwoch fortgesetzt werden.
Ein Aufsehen sorgender Fall
In dem für großes Aufsehen sorgenden Fall war man ursprünglich von einem Raubüberfall auf den Vater ausgegangen. Es hatte danach ausgesehen, dass der Mann in der Nacht auf einer Promenade neben der Ache von einem Unbekannten mit einer Flasche bewusstlos geschlagen und beraubt worden war. Danach soll der Sechsjährige selbstständig aus dem Kinderwagen gestiegen, in die Hochwasser führende Ache gestürzt und dort ertrunken sein. Doch nach monatelangen, intensiven Ermittlungen, bei denen sich keine heiße Spur nach dem angeblichen Räuber herauskristallisierte, geriet der 39-Jährige selbst ins Visier und wurde schließlich am 27. Februar 2023 festgenommen. Konkrete Ermittlungsergebnisse sollen ihn schwer belasten.
Für den Schwurgerichtsprozess wurden angesichts des beträchtlichen Verhandlungsumfanges drei Verhandlungstermine anberaumt. Es sollen 25 Zeugen gehört werden. Verhandelt wird auch noch diesen Donnerstag und am 1. August. Der Prozess wird unter großem Medieninteresse geführt. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten aus ganz Österreich und Deutschland verfolgten das Verfahren.