Toter Bub in Tirol
Fall Leon: Mutter "von Unschuld überzeugt"
18.07.2024Ihr Mann habe so etwas "Bestialisches", wie in der Anklage vorgeworfen, keinesfalls gemacht, da sei sie sich absolut sicher, beschwor die Ehefrau des Angeklagten.
Innsbruck/St. Johann in Tirol. Der Mordprozess gegen einen 39-Jährigen, dessen Sohn im Sommer 2022 in der Kitzbüheler Ache in St. Johann tot aufgefunden worden war, ist am Donnerstag am Innsbrucker Landesgericht fortgesetzt worden. Dabei stand die Aussage der Ehefrau und Mutter des Buben im Fokus. Sie beschwor, von der Unschuld ihres Mannes überzeugt zu sein. Zuvor waren Befangenheitsanträge der Verteidigung gegen Geschworene und den gerichtsmedizinischen Sachverständigen Walter Rabl abgewiesen worden.
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Unter Tränen umarmte die Ehefrau des Angeklagten eingangs ihrer Befragung am Nachmittag ihren Mann. Schluchzend schilderte sie, wie sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte. Ihr Mann habe so etwas "Bestialisches", wie in der Anklage vorgeworfen, keinesfalls gemacht, da sei sie sich absolut sicher, beschwor die Ehefrau des Angeklagten: "Nicht nur, weil er mein Mann ist." Als Veränderung danach sei ihr lediglich aufgefallen, dass ihr Mann starke "Ängste" entwickelt habe. Scharfe Kritik übte die Frau an der Polizeiarbeit - sie habe sich von den Ermittlern nicht ernstgenommen gefühlt, außerdem sei Hinweisen wie beispielsweise zusätzlichen Videoüberwachungsaufnahmen nicht oder zu spät nachgegangen worden. Sie habe "jegliches Vertrauen" in die Behörden verloren.
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Die Frau bestätigte auf Nachfrage, dass der Buggy des Kindes frei zugänglich beim Haus gestanden sei. Eine Flasche wie jene, mit der der Angeklagte auf der Promenade bei der Ache niedergeschlagen worden sein soll, habe sie nicht gesehen. Sie bestätigte Angaben des Angeklagten vom Vortag, wonach ihr Sohn im Vorfeld des Vorfalls enorme "Fortschritte" auf mehreren Ebenen gemacht hatte, auch sei die Betreuungssituation zuletzt stabil gewesen. Wasser habe ihren Sohn angezogen, dieser habe diesbezüglich auch "kein Gefahrenbewusstsein" gehabt. Die im Prozess erwähnte Kindergartenabsage sei "ärgerlich" gewesen, räumte die Frau ein, das habe aber nichts mit "irgendeiner Art von Überforderung" zu tun. Auch bestätigte sie, dass ihr Mann physische Probleme im Schulterbereich gehabt habe.
Ohnmacht ein Thema gewesen
Eine von der Verteidigung vorgebrachte Diskussion über Feuerquallen im Italien-Urlaub, bei der auch Ohnmacht ein Thema gewesen sein soll, war zuvor Thema der Befragung von Mutter und Stiefvater des Angeklagten gewesen. Die Mutter des Angeklagten hatte von selbiger "wenig mitbekommen". Auch dass in diesem Kontext über "Ohnmacht" gesprochen worden sei, habe sie nicht wahrgenommen. Sehr wohl sei aber das Thema Quallen bei ihrer Enkeltochter - der Tochter des Angeklagten - präsent gewesen. Selbiges bestätigte der Stiefvater des Angeklagten. Dass man ohnmächtig werden könnte, sei eine "Angst" der Enkeltochter gewesen, so der Stiefvater, der das entsprechende Gespräch mitbekommen haben wollte. Auch gab er auf Nachfrage an, dass der Angeklagte angekündigt habe, in diesem Zusammenhang zu "googeln", und das auch getan habe.
Am späten Nachmittag gaben mehrere Polizeibeamte Einblicke in die Ermittlungen, während die Verteidiger durch Nachfragen die Ordnungsmäßigkeit ebenjener in Zweifel zogen. Ein Chefinspektor und in diesem Fall Ermittlungsleiter des LKA schilderte Versuche, in denen getestet wurde, wie die in Frage stehende Flasche zersplittern könne. Dabei sei ein "erheblicher Kraftaufwand" nötig, man habe die Flasche dazu in den Versuchsreihen auf den Boden schlagen müssen. Zum vom Angeklagten angeblich beobachteten "Kapuzenmann" meinte der Ermittler, dass er von Details dazu erst aus den Medien erfahren habe. Daraufhin habe er den nunmehr Angeklagten erneut befragt. Auf Vorhalt der Verteidiger, ob man diversen Hinweisen - etwa einem angeblichen Geständnisses einer dritten Person - nachgegangen sei, bejahte dies der Befragte. Dass ein Überwachungsvideo der Kamera einer Supermarktkette nicht gesichert hatte werden können, bestätigte der Ermittler: "Da ist ein Fehler passiert."
Sichergestelltes Smartphone des Angeklagten
Ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA), der die Videos gesichtet hatte, erklärte, dass auf keinem der ihm bekannten Videos ein Verfolger des Angeklagten zu sehen gewesen sei. Ein weiterer LKA-Beamter sagte zu dem in einem Mülleimer nahe des Tatorts sichergestellten Smartphone des Angeklagten aus. Nach 3.34 Uhr seien keine Schritte mehr auf dem Gerät aufgezeichnet worden, so der Beamte: "Das ist mir aufgefallen". Der Schrittzähler habe fehlerfrei funktioniert, dies habe er auch in Versuchsreihen getestet, so der Experte auf Nachfrage der Verteidiger. Schließlich wurde jener Experte des Bundeskriminalamts (BKA) befragt, der Videos zur genaueren Sichtung technisch "optimiert" hatte. Er habe jedoch nur die Erkennbarkeit visuell verbessert und nichts verändert.
Nachdem die Verhandlung kurz vor Mittag mit ihrem eigentlichen Tagesprogramm gestartet war, war der Mann befragt worden, der den 39-Jährigen aufgefunden hatte. Der Hundebesitzer gab an, den Beschuldigten gegen 4.30 Uhr regungslos, am Bauch liegend und mit aufgestellten Füßen entdeckt und anschließend die Rettung verständigt zu haben. Verteidiger Albert Heiss versuchte indes, Widersprüche in den Aussagen zu entdecken, indem er die Farbe der Schuhsohlen, die Position des am Boden liegenden Regenschirms oder etwa die offenbar ursprünglich angenommene Vermutung des Zeugen, dass der am Boden Liegende tot sei, ins Treffen führte.
Angeklagter sei schnell zu Bewusstsein gekommen
Einer der Rettungssanitäter erzählte, dass der Angeklagte dann schnell zu Bewusstsein gekommen und rasch orientiert gewesen sei. Auf Nachfrage nach dem leeren Kinderwagen, der sich neben ihm befunden hatte, habe er dann nach seinem Sohn gefragt und gleichzeitig gemeint, dass der Bub vielleicht wegen seiner Affinität zu Wasser bei der Ache sein könnte. Weitere Rettungssanitäter schlossen sich wie auch der Notarzt größtenteils der Aussage seines Kollegen an. Der Arzt sowie die behandelnde Spitalsärztin sprachen von keinen schweren Verletzungen, die der Angeklagte von dem angeblichen Raubüberfall mitsamt Schlag mit einer Flasche auf den Hinterkopf davongetragen hatte.
Mehrere ehemalige Betreuerinnen und Betreuer des Buben gaben indes an, die Flasche, mit der der Angeklagte niedergeschlagen worden sein soll, nicht im Wagen gesehen oder dort hineingegeben zu haben. Grundsätzlich sei der Buggy immer frei zugänglich um das Haus gestanden, hieß es auf Nachfrage der Verteidiger. Mehrere Betreuerinnen bestätigten auch, dass der Bub Wasser gemocht habe.
"Wasser war sein absolutes Element"
Wasser war sein absolutes Element", bestätigte auch der Schwager des Angeklagten, der das Kind auch als Taufpate immer wieder betreut hatte. Zum Tatort beschrieb er, dort noch einige Zeit nach dem Vorfall Scherben gefunden und diese beim Landeskriminalamt abgegeben zu haben. Die Beamten hätten diese vermeintlich "lustlos" in Empfang genommen. Bei der Befragung durch die Polizei sei ihm außerdem gesagt worden, dass positive Schilderungen zum nunmehr Angeklagten "niemanden interessieren" würden. Im Vorfeld hatten die Verteidiger die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft in Zweifel gezogen.
Zwischen den Verteidigern und Richter Andreas Fleckl entspann sich zwischenzeitlich eine Diskussion über die Zulässigkeit von Fragen zum Familienleben des Angeklagten und dem gesundheitlichen Zustand des Kindes. Diese Umstände "könnten eine Basis dafür bieten, sich ein Motiv zusammenzureimen", aber trügen nichts zur Klärung der Schuldfrage bei, so Fleckl.
Frage nach der Befangenheit
Am Vormittag hatte die Frage nach der Befangenheit von zwei Geschworenen und Rabl geklärt werden müssen. Der Grund: Am ersten Prozesstag am Mittwoch soll nach der Verhandlung ein Gespräch zwischen den Dreien stattgefunden haben. Der Richtersenat unter dem Vorsitz von Fleckl bestellte Rabl daher kurzfristig ein, wobei dieser beteuerte, nicht befangen oder voreingenommen zu sein. Da nicht über den Inhalt der Verfahrens gesprochen worden war, lehnte der Richtersenat die Befangenheitsanträge letztlich ab.
Der tatverdächtige Vater - ein Deutscher, der in Tirol lebte - hatte sich zu Prozessbeginn am Mittwoch nicht schuldig bekannt. Bei der Verhandlung blieben sowohl Verteidigung als auch der Angeklagte selbst dabei, dass der 39-Jährige in jener Nacht auf einer Promenade neben der Ache Opfer eines Raubüberfalls und von einem Unbekannten mit einer Flasche ohnmächtig geschlagen worden sei. Der gesundheitlich beeinträchtigte Bub soll dann selbstständig aus dem Kinderwagen gestiegen, in die Ache gestürzt und ertrunken sein. Der gebürtige Deutsche beteuerte teils emotional sehr bewegt die Liebe zu seinem Sohn und führte gesundheitliche Fortschritte des Buben ins Treffen.
Wüstner: Stichhaltige Beweise gegen den Mann
Staatsanwalt Joachim Wüstner sah dagegen stichhaltige Beweise gegen den Mann vorliegen. Videoaufnahmen würden etwa zeigen, dass sich im Kinderwagen eine Sektflasche befunden habe und darauf DNA-Spuren vom Kind nachweisbar gewesen seien. Es gebe zudem keine DNA-Spuren von einem etwaigen Täter am Handy oder der Kleidung des Angeklagten - somit sei dies nicht mit dem angeblichen Raubüberfall in Einklang zu bringen. Auch vor Gericht dargetane Gutachten belasteten den Angeklagten. Rabl führte etwa unter anderem aus, dass die Verletzung des Angeklagten - eine kleine Rissquetschverletzung am Hinterkopf und einige Abschürfungen im Gesicht - wohl nicht zu einer so lange andauernden Ohnmacht geführt haben dürfte. Auch für die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter war eine lange Bewusstlosigkeit aus neurologischer Sicht nicht erklärbar, es gebe keinen "objektiven Grund" dafür.
In dem für großes Aufsehen sorgenden Fall war man ursprünglich von ebenjenem Raubüberfall auf den Vater ausgegangen. Doch nach monatelangen, intensiven Ermittlungen, bei denen sich keine heiße Spur nach dem angeblichen Räuber herauskristallisierte, geriet der 39-Jährige selbst ins Visier und wurde schließlich am 27. Februar 2023 festgenommen.
Großes Medieninteresse aus Österreich und Deutschland
Für den unter großem Medieninteresse aus Österreich und Deutschland begonnenen Schwurgerichtsprozess wurden drei Verhandlungstage anberaumt. Verhandelt werden soll noch am 1. August. Dann sollen weitere Zeugen vernommen werden, auch werden bereits diskutierte Videos aus der Tatnacht eine Rolle spielen. Schließlich dürfte bereits ein Urteil fallen. Der Beschuldigte muss sich neben des Verdachts des Verbrechens des Mordes auch wegen des Verdachts der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung verantworten. Ihm droht im Falle einer Verurteilung bis zu lebenslange Haft.