Kinderklinik Innsbruck
Gutachter: Mädchen (3) starb wegen Behandlungsfehler
12.06.2012
Staatsanwalt ermittelt gegen Ärzte - Mädchen (3) starb nach Gabe von Propofol.
Nach dem Tod eines dreijährigen Mädchens in der Innsbrucker Kinderklinik im Oktober 2011 hat ein deutscher Sachverständiger in einem anästhesiologischen und intensivmedizinischen Gutachten schwere Behandlungs- und Organisationsfehler attestiert. Das Gutachten wurde am Dienstag vom Anwalt der Familie des verstorbenen Mädchens, Thomas Juen, bei einer Pressekonferenz in Innsbruck präsentiert.
Die Behandlungsfehler hätten letztlich zum Tod des Kindes geführt. Der Einsatz des Narkosemittels Propofol sei kontraindiziert gewesen und außerhalb der Zulassung erfolgt, meinte Juen.
Der Sachverständige, der Berliner Anästhesist Jochen Strauß, komme überdies zum Schluss, dass für eine stationäre Aufnahme am ersten Tag eigentlich gar kein Grund bestanden habe. "Ein Notfall lag mithin nicht vor, es wäre ausreichend Zeit gewesen sich bei Giftnotrufzentralen oder in der wissenschaftlichen Literatur kundig zu machen, um die Indikation für die in Narkose geplante Untersuchung zu erhärten", hieß es in dem Gutachten.
Trotz Verbot mit Propofol sediert
Die Fachinformation aller Hersteller würde bezüglich Propofol ein "unmissverständliches Verbot" vorsehen. "Propofol darf bei Patienten unter 16 Jahren zur Sedierung im Rahmen einer Intensivbehandlung nicht angewendet werden", sagte Juen. Das dreijährige Mädchen hingegen habe zur Sedierung vor allem Propofol und zwar über 48 Stunden erhalten. Die Anwendung des Mittels in höherer Dosierung und über einen längeren Zeitraum würden als wichtigste Risikofaktoren für das Entstehen eines sogenannten "Propofolinfusionssyndroms (PRIS)" gelten, zitierte der Anwalt aus der Expertise. Laut dem vorliegenden Obduktionsgutachtens sei die Dreijährige an eben diesem Syndrom gestorben, so Juen.
Weitere Behandlungsfehler
Das Gutachten liste zudem ein Reihe weiterer massiver Behandlungsfehler auf. So sei das Mädchen etwa ohne medizinische Indikation nach der ersten Untersuchung intubiert und auf der Intensivstation weiter künstlich beatmet worden. Laut dem Gutachten hätte das Kind aber bereits nach dem ersten Eingriff wieder extubiert werden müssen. Auch sei in weiterer Folge die Intubation auf der Intensivstation nur "unzureichend überprüft" worden. Den Krankenunterlagen könne nicht entnommen werden, ob das Mädchen jemals abgehört worden sei.
Strauß schließe aus dem Obduktionsgutachten, dass das Kind trotz des Vorliegens des Propofolinfusionssyndroms vor ihrem Tod noch weiter Propofol erhalten habe, ohne dass es in den Unterlagen dokumentiert worden sei, erläuterte Juen. Der Sachverständige habe überdies festgestellt, dass der kleinen Patientin im Rahmen der Sedierung während der ersten Tage "konzeptionslos eine sinnlose und gefährliche Kombination von Medikamenten (Sedativa, Hypnotika und Analgetika)" verabreicht worden sei. Dadurch sei das Risiko von Wechsel- und Nebenwirkungen unnötig gesteigert worden. Zudem habe der Gutachter kritisiert, dass wesentliche Dokumente erst im Nachhinein angefertigt worden seien.
Juen teilte mit, dass die Tilak (Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH) inzwischen ein Haftungsanerkenntnis gegenüber seinen Mandanten abgegeben habe. Die Innsbrucker Staatsanwaltschaft ermittle inzwischen gegen sechs Ärzte wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Umständen.
Das dreijährige Mädchen war am 15. Oktober 2011 in das Bezirkskrankenhaus Schwaz eingeliefert worden, weil es beim Spielen Klebstoff verschluckt hatte. Von dort war das Kind aber umgehend an die Innsbrucker Klinik überwiesen worden. Noch am selben Tag wurde laut Klinik unter Narkose eine endoskopische Untersuchung der oberen Atemwege vorgenommen. Die Narkose - zuerst war von mindestens 36 Stunden die Rede, später wurden laut Krankenbericht 46 Stunden bekannt - war laut der ärztlichen Direktorin ohne Zwischenfälle verlaufen. Das Kind wurde danach routinemäßig auf die Intensivstation verlegt und weiterbehandelt. Dort kam es zu einer Verschlechterung, die schließlich in ein Multiorganversagen des Kindes mündete.