Schlepperbande cashte ab, will aber mit dem Tod von Flüchtlingen nichts zu tun haben.
Es ist der zweite Verhandlungstag gegen die elf Schlepper aus Bulgarien und Afghanistan, die im August 2015 71 Flüchtlinge qualvoll auf der A4 bei Parndorf ersticken ließen. Der Medienrummel hat im Vergleich zum Vortag, als noch 100 Journalisten in dem kleinen Gerichtssaal des Bezirksgericht Kecskemet drängten, stark nachgelassen. Auch bei den Angeklagten hat sich die Stimmung verändert.
Haupttäter wird von seinen Komplizen schwer belastet
Während Bandenchef Lahoo S. (30) am Vortag noch breit grinsend vor Gericht erschien, wirkte er nun deutlich angespannter. Vielleicht auch, weil seine Mitangeklagten ihn schwer belasteten. Nachdem Richter Janos Jadi die Telefonprotokolle verlesen hat, die Lahoo S. (30) als Bandenchef und Hauptverantwortlichen ausmachen, verweigert der gebürtige Afghane die Aussage. Stattdessen beteuert er, mit Schlepperei nichts zu tun zu haben: „Ich lebe in Ungarn und beschäftige mich mit Autohandel.“
"Angeklagter verwechselt Gericht mit einem Basar"
Von einem Geständnis, das Lahoo S. im Vorfeld angekündigt hat, fehlt am Donnerstag jede Spur. Kurzzeitig entsteht das Gefühl, der Angeklagte würde den überhitzten Gerichtssaal mit einem Basar verwechseln. Er feilscht um seine Aussage, will erst vor Gericht sprechen, nachdem er sich die Erklärungen seiner Mitangeklagten angehört hat.
Auch der Zweitangeklagte, ein Bulgare (30), zeigt sich kaum reumütig. Um einer Haftstrafe in Bulgarien zu entgehen, zog es ihn nach Ungarn, wo er Lahoo S. kennenlernte und Autogeschäfte mit ihm tätigte. Im Juni 2015 überredet er ihn, ins Schlepperbusiness einzusteigen. Mit der Zeit wurde ihm der Afghane jedoch „zu gierig“, weil er immer mehr Flüchtlinge in die Fahrzeuge pferchte.
Trotzdem machte er weiter. Der Bulgare hatte im Zuge der Ermittlungen ein Geständnis abgelegt, davon distanzierte er sich jetzt vor Gericht. Er warf der ungarischen Polizei vor, die Telefonprotokolle „falsch aufgeschrieben“ zu haben. Darin seien „viele Fehler“ und „sie haben einfach das geschrieben, was sie wollen“. Ein Urteil wird es möglicherweise erst im kommenden Jahr geben.
© APA/GEORG HOCHMUTH
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Die irre Welt des Bandenchefs Lahoo S.
Lachend hatte er zum Prozessstart am Mittwoch den Gerichtssaal in Kecskemet betreten. Hier hatte Lahoo S. (30) auf einem selbst gebastelten Schild noch seine Unschuld beteuert und erklärt: „Ich bin ein afghanischer Muslim, weder ein Mörder noch gewalttätig. Ich lüge nicht, Gott ist mein Zeuge.“ Gestern dann wurde er von seinen Mitangeklagten schwer belastet – er sei im Laufe der Zeit „gierig“ geworden, hätte bis rund 300.000 Euro mit den lebensgefährlichen Schlepperfahrten gecasht. Trotzdem beteuerte S. weiterhin unbeirrt: „Ich bin nur ein Autohändler.“
So brutal verdiente Bande am Leid der Flüchtlinge
Sie hatten das große Geld im Visier und nahmen dafür auch Tote in Kauf: Die Schlepperbande, die für den Tod von 71 Flüchtlingen im August 2015 verantwortlich ist, brachte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 1.200 Flüchtlinge unter teils unmenschlichen Bedingungen nach Westeuropa.
Geldgier
Los ging alles im Frühjahr 2015, als der Hauptangeklagte Afghane, Lahoo S. (30), das große Geschäft witterte und mit seinem bulgarischen Stellvertreter seine Bande gründete. Am Anfang wurden nur 20 bis 40 Migranten pro Auto geschleppt, aber die Gruppe wollte mehr. Es wurden immer größere Wagen zum Transport gekauft, die Zahl der geschleppten Flüchtlinge pro Fahrt von Ungarn nach Österreich oder Deutschland stieg. Bis zum tödlichen Vorfall auf der A4 wies die Staatsanwaltschaft der Gruppe 31 solcher Fahrten nach.
Die Schlepperei ging weiter. 300.000 Euro verdiente allein der Hauptangeklagte Lahoo S. an den Fahrten. Der allerdings machte sich die Hände nicht selbst schmutzig, sondern zahlte Handlanger, die sich als Fahrer verdingen mussten.
Unglaublich auch: Nur einen Tag nach dem Todes-Drama auf der A4 schleppte die Bande wieder 67 Menschen. Ebenfalls eingepfercht und ohne Luftzufuhr.
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