Kurioser Prozess
Freispruch nach erfundenem Raubüberfall
17.02.2015
Sogar die Staatsanwältin forderte am Ende einen Freispruch.
Ein 30-Jähriger, dem ein bewaffneter Raubüberfall auf eine Bäckerei in Wien-Favoriten vorgeworfen worden war, ist am Dienstag im Straflandesgericht rechtskräftig freigesprochen worden. Dabei betonte Richterin Petra Poschalko, der Freispruch erfolge nicht im Zweifel. Das Gericht sei vielmehr überzeugt, dass der Mann zu Unrecht belastet worden sei.
Zeugin lügte
Die angeblich überfallene Geschäftsfrau habe im Zeugenstand "höchst unglaubwürdig gewirkt", stellte die Vorsitzende des dreiköpfigen Schöffensenats fest. "Es war für uns klar, dass sie gelogen hat", sagte Poschalko.
Selbst Staatsanwältin Susanne Schneider hatte am Ende des Beweisverfahrens in ihrem Schlusswort ausdrücklich einen Freispruch verlangt und sich damit von der Anklage distanziert. Die Staatsanwältin ersuchte außerdem um eine Protokollabschrift, um die Belastungszeugin wegen Verleumdung und falscher Zeugenaussage verfolgen zu können.
Haftentschädigung
Auf Basis derer Angaben war der bisher unbescholtene 30-Jährige nicht weniger als sechs Wochen in U-Haft gesessen. "Wir werden auf jeden Fall Haftentschädigung geltend machen", kündigte Verteidiger Martin Dohnal nach der Verhandlung im Gespräch mit der APA an.
Familiendrama
Hinter der Geschichte dürfte möglicherweise eine private Tragödie stehen, die den Verteidiger an das Shakespeare-Drama um Romeo und Julia erinnerte. Der 30-Jährige stammt aus Bangladesh und ist mit einer Frau liiert, bei der es sich um die Tochter eines ranghohen Vertreters der Bengalen in Wien handeln soll. Der Schwiegervater soll verlangt haben, dass das junge Paar im Sinne der traditionellen Regeln weiter bei ihm im Familienverband wohnen bleibt und ihm auch sämtliche beruflichen Einkünfte abführt. "Der Schwiegersohn wollte das nicht. Er wollte seine eigene kleine Familie haben und hat sich eine eigene Wohnung gesucht", erklärte Dohnal. Infolge dessen kam es zum Bruch mit dem in der bengalischen Community einflussreichen Schwiegervater.
Die Geschäftsfrau, die den 30-Jährigen des schweren Raubes bezichtigte, ist seit längerem mit dessen Schwiegervater befreundet. Die 37 Jahre alte Frau hatte sogar die Ehe zwischen der Tochter dieses Mannes und dem Angeklagten vermittelt, der in der Vergangenheit immer wieder bei ihr einkaufen war und ihr von daher bekannt war.
Wortreich schilderte sie nun im Zeugenstand, wie der 30-Jährige sie am 27. November 2014 ausgeraubt habe. Er sei in ihr Geschäft gekommen und habe "Ich brauch Geld! Gib mir Geld!" gerufen. Dabei habe er ein Taschenmesser gezückt und gedroht, damit ihr in der Bäckerei anwesendes Kind zu schneiden. Aus der Kassenlade habe der 30-Jährige zunächst 185 Euro entnommen, dann noch einen Safe geöffnet und sich weitere 2.000 Euro angeeignet, nachdem er einige Gegenstände - darunter einen Kühlschrank - beschädigt bzw. zerstört hatte.
Angeklagter beteuerte Unschuld
Der 30-Jährige war noch am selben Tag festgenommen worden. Die Polizei erreichte ihn an seinem Arbeitsplatz, einer Pizzeria, und bat ihn, aufs Kommissariat zu kommen. Dort klickten dann die Handschellen. Obwohl der Vater eines damals erst vier Monate alten Mädchens versicherte, schuldlos zu sein, wanderte er in U-Haft.
Der vermeintliche Räuber betonte in seinen ersten Einvernahmen, er wäre im Tatzeitraum zu Hause gewesen und habe auf die kleine Tochter aufgepasst. Er konnte sogar belegen, dass seine Frau zum Zeitpunkt des angeblichen Überfalls einen Behördentermin wahrnahm - das Jugendamt bestätigte schriftlich, dass die Frau zwischen 8.30 Uhr und 9.45 Uhr dort war. Hätte der Mann den Raub begangen, wäre das Kind mindestens eine Stunde unbeaufsichtigt geblieben - so lange benötigt man, um von der Adresse des 30-Jährigen zur Bäckerei zu gelangen.
Aber erst das Einlangen eines DNA-Gutachtens führte dazu, dass der Pizzeria-Angestellte am 7. Jänner enthaftet wurde. Die Expertise ergab, dass sich am Griff des Safes, der geleert worden sein soll, eine männliche Abriebspur fand, die zweifelsfrei nicht mit den genetischen Merkmalen des Verdächtigen übereinstimmten. Richterin Poschalko, die den Akt auf ihren Schreibtisch bekommen und die das Gutachten auch wiederholt urgiert hatte, ordnete unverzüglich die Enthaftung des Mannes an, nachdem sie es zu lesen bekommen hatte.
Zeuging bleibt bei ihrer Version
Selbst als Poschalko nun die Belastungszeugin mit den Ergebnissen der DNA-Untersuchung konfrontierte und sie darauf hinwies, dass der Angeklagte im Fall eines Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren zu gewärtigen habe, hielt diese ihre bisherigen Angaben aufrecht: "Ich habe nie ein falsches Wort gesagt." Der Mann habe Handschuhe getragen, behauptete sie. "Das haben Sie bisher aber noch nie gesagt", gab die Richterin zu bedenken. "Die Polizei hat mich nicht danach gefragt", erwiderte die Zeugin.