Als Basketballtrainer

Missbrauchsfall: Mitverdächtiger schon 2019 angezeigt

29.09.2022

Neue Details sind am Donnerstag im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer bekannt geworden, der an einer Wiener Mittelschule mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte.  

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© TZOe Fuhrich
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Der Wiener Basketballverband (WBV) hatte einen möglichen Mittäter bereits 2019 aus dem Verkehr gezogen, nachdem dieser sich nicht an eine Vereinbarung gehalten hatte, die der WBV unter Einbindung der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) mit ihm getroffen hatte.

   Der mögliche Mittäter - ein früherer Lehrer, der wegen eines Missbrauchvorwurfs den Schuldienst quittieren hatte müssen und danach beim WBV eine Beschäftigung fand - war vom Sportlehrer zu einem Wiener Sportverein gebracht worden, wo er als Basketball-Trainer tätig war. In dieser Funktion sei er Burschen körperlich "unangemessen nahe gekommen", sagte WBV-Präsident Thomas Holzgruber am Donnerstagnachmittag im Gespräch mit der APA. Er habe davon "aus der Basketball-Szene, von Trainern", aber nicht aus dem Verein selbst erfahren, meinte Holzgruber. Informationen der APA zufolge soll der Ex-Lehrer, der männliche Minderjährige trainierte, den Burschen unter anderem beim Umziehen in der Garderobe und beim Duschen "geholfen" haben. In seiner Funktion beim WBV hatte der Mann keinerlei Kontakt zu Kindern.

   Er habe in dieser Situation bewusst Unterstützung von der Kinder-und Jugendanwaltschaft gesucht, erklärte Holzgruber: "Ich habe mir gedacht, ich hole mir Profis." Gemeinsam mit der KJA wurde im Dezember 2018 mit dem Trainer eine Vereinbarung getroffen, die unter anderem vorsah, dass er seine "Hilfsdienste" in der Garderobe einstellte, keine körperliche Nähe mehr suchte, Kinder unter 14 Jahren nicht mehr trainierte und der Kontakt zu Jugendlichen nur mehr vereinsöffentlich erfolgte. Im Gegenzug wurde vorerst von einer Anzeige abgesehen - mit Wissen und Zustimmung der Kinder- und Jugendanwaltschaft, wie Holzgruber betonte.

   Das bestätigte KJA-Leiter Ercan Nik Nafs gegenüber der APA. Es habe "keine handfesten Beweise für ein klares strafrechtliches Fehlverhalten" gegeben, erklärte Nik Nafs. Der Trainer habe sich außerdem verpflichtet, sich einer Therapie bei der Männerberatung zu unterziehen. Der Kollegin sei das als hinreichendes Maßnahmenbündel erschienen.

   Der Trainer hielt sich aber nicht an die getroffene Vereinbarung. "Er ist nicht zur Männerberatung gegangen und hat auch unter 14-Jährige trainiert", berichtete Holzgruber. Der Verein sei von diesem Umstand informiert worden. "Ohne dass weitere Vorwürfe gegenüber dem Verband kundgetan wurden, sind die im Basketballverband aufliegenden Unterlagen zur weiteren Recherche an die Polizei übergeben worden", teilte Holzgruber mit. Er habe mit dem Konvolut das Landeskriminalamt, Abteilung für Sexualstrafsachen aufgesucht und dort die Unterlagen übergeben.

   Dem Verein wurde auferlegt, den Mann auch bei Kindern über 14 Jahren nicht mehr als Trainer zu beschäftigen. Der Mann sei in weiterer Folge für alle Basketballaktivitäten gesperrt worden. "Er ist seither von der Bildfläche verschwunden", hielt der Wiener WBV-Präsident fest. Jeder einzelne Schritt sei mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien abgesprochen gewesen.

   Die bei der Polizei abgegebenen Unterlagen fanden - aus welchem Grund auch immer - jedoch nicht den Weg zur Staatsanwaltschaft Wien. Wie Behördensprecherin Nina Bussek auf APA-Anfrage erklärte, gab es zuletzt 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann, wobei es damals um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung im schulischen Bereich ging. Dieses Verfahren sei gemäß 190 Absatz 1 StPO - die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat war nach Einschätzung der Anklagebehörde nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht bzw. die weitere Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig - eingestellt worden. Seither habe es kein Ermittlungsverfahren gegeben - bis zum vergangenen Montag, als von einer Opfer-Anwältin eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Mann und einen weiteren Verdächtigen eingegangen sei, die nun geprüft werde, wie Bussek ausführte.

   Gegen den Ex-Lehrer und einen weiteren Bekannten des Sportlehrers an einer Wiener Mittelschule, der sich im Mai 2019 das Leben genommen hatte, besteht der Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses.

   Am Donnerstagnachmittag hat auch die Sportunion öffentlich reagiert, der als Dachverband dem betroffenen Verein vorsteht, wo neben dem Basketball-Trainer ein weiterer Bekannter des Sportlehrers tätig war. Dieser - ein ehemaliger Schüler des Sportlehrers - wurde erst im vergangenen Dezember zum Vizepräsidenten des Vereins gewählt.

   Nach Bekanntwerden der Anzeige, in der er als Mittäter des Sportlehrers bezeichnet wird - für ihn gilt ebenso die Unschuldsvermutung wie für den tatverdächtigen Ex-Lehrer -, sei er vorerst sämtlicher Funktionen enthoben worden, wie die Sportunion der APA mitteilte. Der Mann war bis zuletzt nicht nur im betroffenen Verein aktiv, sondern gab darüber hinaus vereinsübergreifend in verschiedenen Sportarten Kurse.

   Die jüngsten Berichte über Vorgänge im betroffenen Verein träfen die Sportunion "hart, zumal wir gerade im Zusammenhang mit Prävention von sexualisierter Gewalt in den vergangenen Monaten und Jahren viel geleistet haben und für uns das Wohl der zahlreichen Kinder in unseren Vereinen oberste Priorität hat", hieß es in einer der APA übermittelten Pressemitteilung. Es habe bisher keinen Grund zur Annahme gegeben, "dass es auch im Rahmen des Trainings- und Spielbetriebs des Vereins zu Übergriffen gekommen sein könnte. Wir haben auf Landes- und Bundesebene von keiner der involvierten Instanzen von einem derartigen Verdacht erfahren".

   Aufgrund der neuen Vorwürfe gegen zwei potenzielle Mittäter werde die Sache "neu aufgearbeitet", versicherte die Sportunion. Und weiter: "Wir wissen aktuell, dass der Aufarbeitungsprozess mit möglichen weiteren Betroffenen noch im Gange ist. Gleichzeitig werden wir die weiters aufgetauchten Anschuldigungen dazu nutzen, ein vollumfängliches Kinderschutz- und Präventionskooperationskonzept gemeinsam mit dem Verein zu erarbeiten und umzusetzen. Parallel wünschen wir uns als Verband eine lückenlose Aufklärung und Abstimmung mit den ermittelnden Behörden. Im Verein wird es zudem erneut die Möglichkeit für Kinder und Eltern geben, sich von Experten zu dem Thema beraten zu lassen."

   Dass an der Wiener Mittelschule, wo der Hauptverdächtige seit 1996 als pragmatisierter Sportlehrer tätig gewesen war und über viele Jahre hinweg Buben missbraucht haben soll, nichts Auffälliges bemerkt wurde, nimmt im Nachhinein wunder. Denn bereits 2013 hatte ihn ein ehemaliger Teilnehmer eines Ferien-Camps am Wolfgangsee angezeigt, wo der Pädagoge in den Sommerferien als Betreuer arbeitete. Der Betroffene gab an, er sei beim Massieren missbraucht worden. Der Sportlehrer wurde vom Landeskriminalamt Niederösterreich als Beschuldigter vernommen - es dürfte danach jedoch nie zu einem Ermittlungsverfahren, geschweige einer Anklage gekommen sein. Bei den für den mutmaßlichen Tatort zuständigen Staatsanwaltschaften Wels und Salzburg hieß es zuletzt auf APA-Anfrage, es finde sich kein Ermittlungsakt. Die Staatsanwaltschaft Wien, wo der Beschuldigte wohnhaft war, bekräftigte am Donnerstag auf neuerliche APA-Anfrage, es habe abgesehen von dem Verfahren aus dem Jahr 2019 kein Verfahren gegen den Pädagogen gegeben, das nach dessen Selbstmord eingestellt wurde. Für Vorgänge am Wolfgangsee "wären wir nicht die örtlich zuständige Behörde gewesen", sagte Mediensprecherin Bussek.

   An der Mittelschule selbst gab es von Eltern und Schülern sehr wohl Beschwerden über den Sportlehrer, wovon sich am Donnerstag für die APA einige konkretisieren ließen. So dürfte bei einem Skikurs in Salzburg ein Schüler die Nacht im Zimmer des Sportlehrers verbracht haben, was Mitschülern komisch vorkam. Sie sprachen andere Lehrer darauf an, die das mit der Bemerkung abgetan haben sollen, der Schüler habe "halt Heimweh". Am selben Skikurs soll der Sportlehrer mit Schülern in die Sauna gegangen sein und dabei Fotos angefertigt haben, die dann auf USB-Sticks die Runde machten. Das bekamen einige Eltern mit - auf deren Beschwerden soll seitens der Schulleitung nicht reagiert worden sein.

   Als im Frühjahr 2019 bei dem Sportlehrer eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, hatte wenige Monate zuvor ein neuer Direktor die Schulleitung übernommen. Bereits im Spätsommer 2019 gingen ein Zeuge und seine Mutter zur Bildungsdirektion und beschwerten sich über den neuen Schulleiter, weil sich nach den im Zuge des Suizids des Pädagogen aufgekommenen Missbrauchsvorwürfen schulintern nichts getan habe.

   Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) kündigte in diesem Zusammenhang einen ersten Bericht einer von der Bildungsdirektion eingesetzten Untersuchungskommission für kommenden November an. Auf die Frage nach bisher gewonnenen Erkenntnissen verwies Kinder- und Jugendanwalt Nik Nafs auf die Bildungsdirektion, die an sich für die Medienarbeit zuständig sei. Es hätten sich viele Betroffene bei der Kommission gemeldet, man sammle die Fälle, der Bericht werde "Verfehlungen und Empfehlungen" enthalten, meinte Nik Nafs.

   Womöglich gibt es von Übergriffen Betroffene auch unter den Teilnehmern eines Sommer-Ferienlagers in der Steiermark. Der Sportlehrer und der Basketballtrainer sollen nach Angaben eines Zeugen dort als Betreuer tätig gewesen sein. Von konkreten Opfern ist derzeit nichts bekannt.
 

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