Wien-Ottakring
Mord an Töchtern - Mutter in Anstalt
02.10.2014
Vierfache Mutter dürfte erweiterten Selbstmord im Sinn gehabt haben.
Eine vierfache Mutter, die am 19. September 2013 in der Koppstraße in Wien-Ottakring ihre sechs bzw. neun Jahre alten Töchter erdrosselt hatte, ist am Donnerstag im Straflandesgericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig.
Laut einem psychiatrischen Gutachten leidet die 39-Jährige an einer "anhaltenden wahnhaften Störung", war damit zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig und nicht schuldfähig. Die Frau dürfte einen erweiterten Selbstmord im Sinn gehabt haben - nachdem sie ihren Töchtern das Leben genommen hatte, schnitt sie sich die Pulsadern auf und stürzte sich aus dem vierten Stock. Wie durch ein Wunder überlebte sie den aus einer Höhe von elf Metern erfolgten Sturz auf einen asphaltierten Gehweg.
"Sie ist nicht böse. Diese Frau ist krank. Diese Erkrankung ist Grund für die Tat, wegen der wir hier sitzen", stellte Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer klar. Die Staatsanwaltschaft hatte die Frau daher nicht als Doppelmörderin angeklagt, sondern ihre Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt.
Die 39-Jährige stammt aus Ägypten. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann lernte sie einen Landsmann kennen, der in Wien als Taxifahrer arbeitete. Mit diesem zog sie im Jahr 2000 nach Österreich und brachte in weiterer Folge vier Kinder - drei Töchter und einen Sohn - zur Welt. Der Bub litt unter einer schweren Krankheit, deren Ursache sich geraume Zeit nicht feststellen ließ. Trotz mehrerer Operationen besserte sich der Zustand des Kindes nicht. Erst im August 2013 diagnostizierten Ärzte Morbus Addison, eine Erkrankung der Nebennierenrinde.
Bei Internet-Recherchen fand die Mutter heraus, dass es sich dabei um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, die ausschließlich von Frauen an die nächste Generation weitergegeben wird, wobei sie nur bei Männern ausbricht. Laut psychiatrischem Gutachten steigerte sich die Mutter binnen weniger Wochen in einen "Schuldwahn" hinein, für die gravierende Erkrankung ihres Sohnes verantwortlich zu sein. "Sie gelangte zur Überzeugung, sie sei Schuld am Elend der Familie", sagte Dantendorfer.
Die unbegreifliche Bluttat charakterisierte der Sachverständige folgendermaßen: "Aus ihrer Sicht war es besser, ich sterbe und nehme die Kinder, die die Krankheit weitergeben können, mit".
Nachdem die sechsköpfige Familie gefrühstückt hatte, begab sich der Vater mit dem Sohn zu einem Kontrolltermin ins SMZ Ost. Die älteste, zwölf Jahre alte Tochter bettelte, mitkommen zu dürfen - das dürfte ihr vermutlich das Leben gerettet haben. Denn nachdem die drei die Wohnung verlassen hatten, erdrosselte die Mutter ihre neun und sechs Jahre alten Töchter, wobei die Ältere eine Zwillingsschwester des Buben war. Als Tatwerkzeuge dienten laut Anklagebehörde ein Schal bzw. das Kabel eines Bügeleisens.
Dass es sich dabei um einen erweiterten Selbstmord gehandelt haben dürfte, ging aus einem in arabischer Sprache verfassten Abschiedsbrief hervor, der am Tatort sichergestellt werden konnte. Demzufolge ging es der Frau darum, ihre Familie von "Schande" freizumachen. "Ich habe mich umgebracht, weil ich es nicht ertrage anzusehen, dass meine Kinder ihr ganzes Leben belastet und traurig sind. Ich wusste nicht, dass ich die Krankheit in mir trage. Ich habe mich umgebracht, weil ich verschmutzt-besudelt bin und den größten Fehler begangen habe, weil ich nicht wusste... Hätte ich gewusst, hätte ich nicht geheiratet und hätte nicht gebärt", ist in dem Brief zu lesen.
Die Mutter gab in ihrer Einvernahme an, sich an das, was nach dem Frühstück passiert war, nicht mehr erinnern zu können. Laut Psychiater eine "glaubhafte" Darstellung: Einerseits habe die Frau bei dem Sprung aus dem Fenster ein "ganz, ganz schweres Polytrauma" erlitten, anderseits liege eine Dissoziation vor. In einer Art Selbstschutzmechanismus blende das Hirn gewisse Teile der Erinnerung aus.
Falls diese Teile wieder zurückkehren, sei die 39-Jährige stark suizidgefährdet, bemerkte Dantendorfer. Auf der anderen Seite stellt die Mutter weiter eine Gefahr für die überlebende Tochter dar. Laut Gutachter könnte sie dieser in ihrem Wahn nach dem Leben trachten, um zu verhindern, dass die Zwölfjährige den Morbus Addison an männliche Nachkommen weitergibt. Auch für den Sohn liege ein Gefährdungspotenzial vor, zumal dem Abschiedsbrief auch die Passage "Wenn etwas krank ist, ist es zu töten" zu entnehmen ist.
Der Sachverständige empfahl daher, die Frau im Maßnahmenvollzug unterzubringen, wo eine Behandlung ihrer Wahnvorstellungen gewährleistet sei. Dem kamen die Geschworenen nach eingehender Beratung einstimmig nach. Die Frau kann damit zeitlich unbefristet angehalten werden, bis ein Experte feststellt, dass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. Ob die weitere Anhaltung gerechtfertigt ist, hat von Amts wegen jährlich überprüft zu werden.
Die Befragung der 39-Jährigen war wenig ergiebig verlaufen. Auf die Frage, wie es gehe, erwiderte sie: "Seit ich erfahren habe, dass mein Kind krank ist, geht es mir sehr schlecht." Es handle sich um "meinen einzigen Sohn. Das ist Schicksal. Das ist eine Sache Gottes." Die Frage nach dem Familienleben, das bis zu der Tat durchaus harmonisch verlaufen sein soll, beantwortete die Frau mit: "Ich danke Gott für alles. Er ist sehr gut zu mir. Mein Mann war sehr gut zu mir, auch zu den Kindern war er sehr gut. Nur die Krankheit meines Sohnes hat alles durcheinandergebracht."
Entgegen ursprünglicher Informationen hält sich der 44-jährige Ehemann weiter in Wien auf. Die zwölfjährige Tochter und der neun Jahre alte Sohn wachsen jedoch bei Verwandten in Ägypten auf. Der Ehemann befand sich bei der Urteilsverkündung im Verhandlungssaal. Als seine Frau von Justizwachebeamten aus dem Saal gebracht wurde - sie kann sich infolge der erlittenen Verletzungen nur mehr mit einem Rollator fortbewegen - ging er zu ihr hin und küsste sie auf beide Wangen.