Mordprozess
Kopfschuss in Wien: "Bin unschuldig"
01.03.2018
Angeklagter bedauerte Toten, war abgesehen davon aber zu keinen weiteren Angaben bereit.
"Es tut mir leid, dass jemand gestorben ist. Aber ich bin unschuldig", hat am Donnerstag ein 28-jähriger Mann am Wiener Landesgericht angegeben, dem vorgeworfen wird, am 16. April 2017 einen 26 Jahre alten Mann im Bezirk Brigittenau auf offener Straße mit einem Kopfschuss vorsätzlich getötet zu haben. Abgesehen davon war der Angeklagte in seinem Mordprozess zu keinen weiteren Angaben mehr bereit.
Der Mann, der im vergangenen November erstmals vor Geschworenen gestanden war und dort zumindest noch Fragen zu seiner Lebensgeschichte und seinem beruflichen Werdegang beantwortet hatte, wollte sich auch dazu nicht mehr äußern: "Meine Anwälte werden für mich sprechen." "Die waren halt nicht dabei", erwiderte Richterin Andrea Wolfrum, die Vorsitzende des Schwurgerichts, die daraufhin das Protokoll mit der polizeilichen Beschuldigteneinvernahme verlas.
Kritische Worte
Zuvor hatten die beiden Rechtsvertreter des Angeklagten mit kritischen Worten nicht gegeizt. Verteidiger Werner Tomanek schoss sich vor allem auf den Ausgang der ersten Hauptverhandlung ein, an deren Ende die acht Geschworenen seinen Mandanten nach einer Beratungszeit von nicht einmal 45 Minuten einstimmig freigesprochen hatten. Die drei Berufsrichter setzten diesen Wahrspruch aber wegen Irrtums der Geschworenen aus und erzwangen damit eine zweite Verhandlung vor einem gänzlich neu zusammengesetzten Schwurgerichtshof. Der 28-Jährige blieb in U-Haft. Dieses Vorgehen kritisierte Tomanek heftig: "Unfassbar. Das konterkariert den Gedanken der Schwurgerichtsbarkeit." Die Berufsrichter hätten die Entscheidung der Laienrichter gekippt, "weil die für sie zu blöd waren, um das zu entscheiden".
An die nunmehrigen Geschworenen gerichtet, betonte Tomanek: "Wenn Sie keine Gewissheit hinsichtlich der Täterschaft haben, können Sie den Angeklagten nicht verurteilen. Es muss eine schlüssige Beweiskette vorliegen, das ist klar." In diesem Fall gebe es "keine naturwissenschaftliche Beweise für eine Täterschaft des Angeklagten". Dass dieser keine Aussage machen wolle, sei sein gutes Recht, sagte Tomanek: "Dafür kann es viele Gründe geben. Er hat Angst. Vielleicht deckt er wen."
"Zu wenig" Schmauchspuren
Gekracht hatte es auf der Jägerstraße am vergangenen Ostersonntag um 15.05 Uhr. Nur wenige Minuten später - exakt um 15.10 Uhr - betrat der Angeklagte die in unmittelbarer Nähe des Tatorts gelegene Polizeiinspektion Pappenheimgasse und ließ sich mit den Worten "Ich habe die Scheiße da gerade gemacht auf der Jägerstraße, ich wollte das nicht" festnehmen. Er wurde in eine Arrestzelle gebracht und um 17.00 Uhr einer Kriminalbeamtin zu einer Einvernahme als Beschuldigter vorgeführt. Dieser erklärte er, er hätte sich mit Igor Z. (26) zu einer Aussprache getroffen. Dabei sei er von seinem Kontrahenten - die beiden sollen ein Naheverhältnis zu einer Frau gehabt haben, mit welcher der Angeklagte seit drei Jahren eine außereheliche Affäre unterhielt - angegriffen worden. Um diesen abzuwehren, habe er ihm seine Pistole - eine geladene Tokarev - auf den Kopf schlagen wollen. Dabei habe sich unabsichtlich ein Schuss gelöst.
An den Händen und an der Jacke des angeblichen Schützen fanden sich aber kaum Bleipartikel. Dabei war die Tatwaffe eine "Dreckschleuder", wie sich eine Labortechnikerin vom Bundeskriminalamt ausdrückte, die die Pistole untersucht hatte. Ihrer Ansicht nach zeigten sich beim Tatverdächtigen "deutlich zu wenig" Schmauchspuren, "um auf eine Schussabgabe schließen zu können".
"Nicht der Schütze"
"Es ist ganz klar, dass er nicht der Schütze ist", bekräftigte Philipp Wolm, der zweite Verteidiger, unter Verweis auf diese Beweisergebnisse. Die Darstellung von Staatsanwalt Christoph Wancata, der Angeklagte hätte nach seiner Festnahme Zeit gehabt, sich Schmauchspuren abzuwaschen, weil die entsprechende Untersuchung erst drei Stunden später vorgenommen wurde, ließ Wolm nicht gelten: "Der Herr Staatsanwalt befindet sich absolut am falschen Dampfer." Es sei mittlerweile bestätigt, dass in der Arrestzelle in der Polizeiinspektion Pappenheimgasse keine Waschgelegenheit vorhanden ist und der Angeklagte keine Möglichkeit hatte, sich andernorts die Hände zu reinigen.
Wolm erwähnte auch zwei Augenzeugen, die zum Zeitpunkt der Schussabgabe zufällig am Tatort waren. Diese hätten in der ersten Hauptverhandlung erklärt, der Angeklagte sei zu groß, um der Schütze sein zu können. Einer der Zeugen hatte mit seinem Handy Fotos der Szene gemacht, die laut Wolm erst in der vorigen Woche Eingang in den Gerichtsakt fanden. Auf diesen Bildern von eher minderer Qualität sind neben der Leiche drei davonlaufende Männer zu sehen. "Keiner von denen ist so groß wie der Angeklagte", bemerkte Wolm.
Der Angeklagte hätte nicht nur der Kriminalbeamtin die Schussabgabe gestanden, hielt dem Staatsanwalt Wancata entgegen. Kurze Zeit nach dem Kopfschuss soll der 28-Jährige davon telefonisch seiner Frau berichtet haben, im Gefängnis einem Mitgefangenen. Beide sind in dem Verfahren als Zeugen geladen.
Verteidiger richtete Augenmerk auf Zeugen
Der Angeklagte war von einem 46-jährigen Bekannten auf die Polizeiinspektion Pappenheimgasse gebracht worden. Nach Ansicht von Verteidiger Philipp Wolm hätte die Strafverfolgungsbehörde die Rolle dieses Mannes näher beleuchten müssen, der zufällig am Tatort vorbeigekommen sein will, nachdem der tödliche Schuss gebrochen war.
"Die Täterschaft dieses Mannes ist aus Sicht der Verteidigung viel wahrscheinlicher als die Täterschaft des Angeklagten", meinte Wolm. Der 46-Jährige hätte den Angeklagten mit den Worten "Da geh jetzt rein und sag, dass du das warst" in die Polizeiinspektion geschickt. An dem Mann wurden später ebenfalls Schmauchspuren festgestellt - er hatte laut Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Tatwaffe abgenommen und diese in einem Pkw abgelegt.
Wolm deutete an, dass der 46-Jährige, der in diesem Verfahren als Zeuge geführt wird, möglicherweise geschossen haben könnte. Als Beleg, dass er mit Schusswaffen vertraut war, diente Wolm ein Verfahren wegen illegalen Besitzes einer Faustfeuerwaffe, dem sich der 46-Jährige vor wenigen Tagen am Landesgericht für Strafsachen zu stellen gehabt hätte. Er soll verbotenerweise seit 2013 eine tschechische Selbstladepistole der Marke CZ Kaliber neun Millimeter geführt haben. Diese Verhandlung wurde aber kurzfristig abberaumt.
Zeuge hat sich in Kosovo abgesetzt
Der 46-jährige Mann, der den Angeklagten auf die Polizeiinspektion Pappenheimgasse chauffiert hatte und der ein wichtiger Zeuge in dem Verfahren ist, hat sich in den Kosovo abgesetzt. Das gab Richterin Andrea Wolfrum bekannt: "Er fürchtet sich." Der Mann, der am heutigen Nachmittag vernommen hätte werden sollen, behaupte, "massive Drohungen" erhalten zu haben.
Nun soll versucht werden, den Mann zum nächsten Verhandlungstermin am 4. April stellig zu machen. Auch die Ehefrau des Angeklagten konnte nicht befragt werden. Sie machte von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch, weshalb auch ihre Angaben im Ermittlungsverfahren nicht verwertet werden durften. Der angebliche Schütze soll unmittelbar nach der Tat mit ihr telefoniert haben.