Prozess in Wien
Mordversuch vor 20 Jahren: "Er hat mein Leben vernichtet"
24.10.2017
Dramatischer Zeugenauftritt der niedergeschossenen Frau im Wiener Landesgericht.
Weil er vor über 20 Jahren in Wien-Landstraße eine Frau niedergeschossen hatte, die seine Liebe nicht erwiderte, hat sich ein mittlerweile 45-jähriger Mann am Dienstag am Landesgericht für Strafsachen verantworten müssen. Der Angeklagte, dem versuchter Mord angelastet wird, verantwortete sich mit einem Schießunfall. Die Frau sorgte mit ihrem Zeugenauftritt für dramatische Szenen im Gerichtssaal.
"Diese Person hat mein Leben vernichtet. Gesundheitlich, psychisch, überhaupt", gab die mittlerweile 49-Jährige zu Protokoll. Immer wieder brach sie in Tränen aus, schluchzte und musste von einer Prozessbegleiterin beruhigt werden. "Was habe ich ihm angetan? Was habe ich dieser Person angetan? Nichts", rief die Zeugin, während der Angeklagte keine zwei Meter neben ihr saß. Die Frau hatte ausdrücklich Wert darauf gelegt, in Anwesenheit des Mannes auszusagen.
Der Kosovare hatte sich unmittelbar nach der Tat ins ehemalige Jugoslawien abgesetzt. Dort tauchte er unter, gründete eine Familie und zeugte fünf Kinder. Spät, aber doch kam man dem Schützen auf die Spur. Er wurde Anfang des heurigen Jahres in Albanien festgenommen und zur Strafverfolgung an die österreichischen Behörden ausgeliefert.
"Es war nicht zum Aushalten"
Der mittlerweile 45-Jährige hatte sich seinerzeit in der Bundeshauptstadt in eine Frau verliebt, die als Kellnerin in einem Lokal beschäftigt war, das vor allem von Gästen aus Ex-Jugoslawien frequentiert wurde. Dass er damals bereits verheiratet war, hinderte ihn nicht daran, von einer fixen Beziehung mit der Kellnerin zu träumen - der Mann war lediglich eine Scheinehe eingegangen.
"Wie so oft im Leben kommt es nicht so, wie man will", legte Staatsanwalt Bernhard Löw den Geschworenen dar. Die Frau erwiderte die Gefühle ihres Verehrers nicht. Sie akzeptierte zwar seine Aufmerksamkeiten und finanziellen Zuwendungen, "aber ich habe nicht einmal seinen richtigen Namen gekannt", wie die mittlerweile 49-Jährige dem Schwurgericht (Vorsitz: Nina Steindl) erklärte. Sie hätte zwar zwei Mal nach Partys mit dem Mann geschlafen. Mehr sei aber nicht gewesen. Dies habe sie auch deutlich zum Ausdruck gebracht.
Der Abgewiesene habe das nicht hingenommen, schilderte die Zeugin: "Er hat mich beschattet. Es war nicht zum Aushalten. Egal, wo ich gewesen bin, er war immer dort. Das war wie ein Schatten." Er habe auch Drohungen ausgestoßen, weil sie mit ihm keine Beziehung eingehen wollte: "Um ehrlich zu sein, ich habe das nicht ernst genommen." Mulmig sei ihr geworden, als er eines Tages ankündigte: "Wenn du mich abwimmelst, musst du sterben."
"Heute gehst du mit!"
In der Nacht auf den 19. Februar 1997 hatte die Kellnerin Dienst, als der Mann in ihrem Lokal auftauchte. Weit nach Mitternacht, als außer ihm nur mehr zwei Gäste anwesend waren, hätte er "Heute gehst du mit!" gemeint, berichtete die Zeugin. Als sie ablehnte, habe der Mann eine Schusswaffe aus dem Hosenbund gezogen und gefeuert.
"Ich habe nur Blitze gesehen", gab die 49-Jährige zu Protokoll. Sie wurde im rechten Unterarm und im Bauch getroffen. Dann hätte der Mann die Waffe gegen ihren Kopf gerichtet: "Ich habe gebettelt, er soll das nicht tun." Irgendwie sei es ihr gelungen, seine Hand wegzudrücken. Er hätte sie dann an den Haaren gepackt und aus dem Lokal gezerrt. Er habe ihr zu verstehen geben, "dass ich keinen Mucks sagen darf, sonst schießt er mir in den Kopf."
Täter schleppte Verletzte in seine Wohnung
Die schwer verletzte Frau wurde schließlich vom Angeklagten aus dem Lokal geschleppt. Er zerrte sie in sein Auto und startete den Pkw. Immer wieder hätte er während der Fahrt seine Pistole gegen sie gerichtet, schilderte die 49-Jährige. Sie sei davon ausgegangen, dass sie sterben werde, habe noch ein Mal ihre Familie bildlich vor sich gesehen.
Der Angeklagte brachte sein Opfer in seine eigene Wohnung in der Schlachthausgasse. Er trug die lebensgefährlich Verletzte in den dritten Stock und warf sie auf sein Bett. "Warum bin ich nicht tot? Was wird jetzt passieren?", ging der Frau durch den Kopf. Als der Mann kurz das Zimmer verließ, schlug sie mit der Hand gegen die Wand, um in der Nachbarwohnung jemanden auf sich aufmerksam zu machen.
Inzwischen war der Vater des Angeklagten in der Wohnung eingetroffen. Dieser dürfte den Sohn überzeugt haben, dass die blutende Frau ins Spital gehörte - jedenfalls hob letzterer sie wieder in die Höhe und schaffte sie aus der Wohnung, als plötzlich das Licht am Gang anging. "Jemand ist im oberen Stock auf die Toilette am Gang gegangen. Dieser Person verdanke ich mein Leben", gab die Zeugin zu Protokoll. Ihr Peiniger hätte offenbar befürchtet, erwischt zu werden, habe sie daher kurzerhand abgelegt und sei geflüchtet.
Drei Wochen Intensivstation
Die schwer verletzte, blutverschmierte, damals 29 Jahre alte Frau kroch zur nächst gelegenen Türe und klopfte. Sie wurde gehört, die Wohnungsbesitzer verständigten die Rettung. Die Kellnerin wurde ins UKH Meidling gebracht, eine Notoperation rettete ihr das Leben. Der medizinische Erstbefund fand in der Anklageschrift wie folgt Niederschlag: "Bei der operativen Eröffnung des Bauchraumes befand sich etwa ein Liter Blut in der Bauchhöhle. Die Gekrösewurzel des Dünndarmes zeigte eine Beschädigung, aus der es venös stark blutete. Der Dünndarm wies vier Schussöffnungen auf, in deren Bereich bereits oberflächliche Belege mit Blutfaserstoff im Sinne einer beginnenden Bauchfellentzündung feststellbar waren. Der absteigende Dickdarm zeigte eine Ein- und Ausschusseröffnung. Inhalt des Verdauungstraktes war in die Bauchhöhle übergetreten. Aufgrund dieser massiven Verletzungen bestand akute Lebensgefahr."
Drei Wochen lag die Frau auf der Intensivstation. Von der Tat hat sie sich bis zum heutigen Tag nicht erholt. "Das ist jeden Tag in meinem Kopf", erklärte sie den Geschworenen. Angst sei seither ihr ständiger Begleiter. In die Gasse und in die Gegend, wo sich das Ganze abspielte, könne sie nicht mehr gehen. Mehrere Wohnungen habe sie wechseln müssen, weil sie sich dort nicht sicher fühlte: "Ich bin nicht mehr normal." Insgesamt 18 Mal musste die nunmehr 49 Jahre alte Frau operiert werden. Beruf kann sie keinen mehr ausüben. Sie bezieht eine Pension.
Bei den kriminalistischen Ermittlungen wurde in diesem Fall auch nicht unbedingt sorgsam vorgegangen. Ein ballistisches Gutachten, um abzuklären, aus welcher Entfernung die beiden Schüsse abgegeben wurden, wurde bis zum heutigen Tag nicht eingeholt. Die Kleidung des Opfers mit den Schmauchspuren, das Aufschlüsse über den genauen Tatablauf liefern hätte können, wurde vernichtet und steht für eine Analyse folglich nicht mehr zur Verfügung.
"Wollte sie nicht einmal verletzen"
"Ich wollte sie nicht einmal verletzen, geschweige töten", lautete die Verantwortung des Angeklagten. Er habe die Frau geliebt und ihr "alle Wünsche erfüllt". Der 45- Jährige behauptete sogar, er wäre "knapp ein Jahr mit ihr zusammen gewesen". Erst am Tag der inkriminierten Tat hätte er erfahren, dass sie mit einem anderen Mann zusammenlebt.
Im Lokal habe er die Frau "erschrecken" wollen, erklärte der Angeklagte. Sie hätte ihn beleidigt und ihm erklärt, ihr Freund sei im Unterschied zu ihm "ein richtiger Mann". Da habe er die Pistole gezogen - allerdings habe er vorbeischießen wollen und irrtümlich getroffen, behauptete der 45-Jährige. Eine für Verteidiger Rudolf Mayer nachvollziehbare Darstellung. "Wo schießen Sie hin, wenn Sie jemand umbringen wollen, der nur einen Meter von Ihnen entfernt ist? In den Ellenbogen?", fragte Mayer die Geschworenen.
Nach dem ersten Treffer am Unterarm fiel allerdings ein weiterer Schuss, der in den Bauch ging. Dieser hätte sich unabsichtlich gelöst, als er über die Theke klettern wollte, um zu schauen, ob das erste Projektil die Kellnerin getroffen hatte, stellte dazu der Angeklagte fest. Er sei bei diesem Vorhaben gemeinsam mit der Frau zu Sturz gekommen: "Als ich am Boden lag, hat sich der zweite Schuss gelöst."
"Richtig stark in sie verliebt"
"Warum behauptet die Frau, dass Sie sie töten wollte?", wollte Richterin Nina Steindl wissen. "Das weiß ich nicht. Es tut mir sehr leid, dass ich sie verletzt habe. Damals war ich richtig stark in sie verliebt", erwiderte der 45-Jährige.
Das Nachtatverhalten, das sein Verteidiger "unschön" nannte, konnte der Mann nicht plausibel erklären. Während der Autofahrt habe er die Frau "gefragt, ob es ihr gut geht". Sie habe das bejaht. Das Vorgehen seines Mandanten nach den Schüssen zeige, was sein Mandant wirklich wollte, meinte Verteidiger Mayer, der "einen verzweifelten Versuch, sie zu halten" ortete.
Prozess auf 21. Dezember vertagt
Der Prozess gegen den 45-jährigen Mann, der im Februar 1997 in Wien-Landstraße eine Kellnerin niedergeschossen hatte, ist auf 21. Dezember vertagt worden. Das Gericht entschloss sich, ein ballistisches Gutachten einzuholen, das im Ermittlungsverfahren offenbar für nicht notwendig befunden worden war.
Auch Gerichtsmediziner Christian Reiter wird erst beim nächsten Mal zu Wort kommen. Er soll das Opfer noch ein Mal untersuchen und dann sein Gutachten erstatten.