Der am Londoner Kings College tätige Extremismusforscher Peter R. Neumann hat am Montag eine erste Einschätzung nach dem vereitelten Anschlag auf die Pride-Parade in Wien abgegeben. Laut dem Deradikalisierungsverein Derad gibt es aktuell 50 Gefährder, die potenziell Anschläge verüben könnten.
Neumann verwies im APA-Gespräch darauf, dass "die demografische Spannweite bei Islamisten mittlerweile viel breiter ist als vor zehn Jahren". Der Jüngste der am Samstag in Wien und St. Pölten festgenommenen Verdächtigen ist erst 14 Jahre alt. Das sei heutzutage nicht unüblich, so Neumann.
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Radikalisiert dürften sich die Jugendlichen im Internet haben. Vom Deradikalisierungsverein Derad hieß es dazu auf APA-Anfrage am Montag, bei einer Radikalisierung im Netz handle es sich um kein neues Phänomen: "Das passiert bereits seit rund 30 Jahren. Es haben sich nur die Plattformen geändert." Man betreue regelmäßig "sehr junge Klientinnen und Klienten".
Laut Derad befinden sich aktuell allein in Wien rund 50 islamistische Gefährder. "Jeder von ihnen ist potenziell in der Lage einen Anschlag zu verüben", warnte die NGO.
Klassisches Täterprofil gilt nicht mehr
"Damals, während der Hochphase des IS, war das typische Profil eines Islamisten: männlich, zwischen 18 und 25 Jahre", erläuterte dazu Peter R. Neumann, Professor für Security Studies an der britischen Universität. "Das ist jedoch etwas, das heutzutage nicht mehr gilt", meinte der Experte. Die "demografische Spannweite" habe sich verändert. "Wir sehen heute auch Zwölfjährige als Extremisten, genauso wie das auch in der anderen Richtung möglich ist. Das Bild ist etwas diverser geworden", sagte Neumann.
Extremismusforscher Peter R. Neumann
Insgesamt sei die Bedrohungslage unübersichtlicher geworden, erklärte er. Auch der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Hajawi-Pirchner, hatte am Sonntag gegenüber der APA bekräftigt, dass die Gruppe der Islamisten in Österreich immer jünger werde.
Radikalisierung nimmt ab
Neumann hob nun gegenüber der APA hervor, dass die Radikalisierungstendenzen weltweit jedoch grundsätzlich eher abnehmen würden. "Es gibt heute vergleichsweise viel weniger Radikalisierung", so Neumann, "weil die Netzwerke zerschlagen worden sind und es bestimmte radikale Moscheen nicht mehr in dem Ausmaß gibt, als das früher der Fall war." Dadurch habe sich jedoch auch die Rekrutierung von potenziellen Extremisten verändert. "Das Internet und hier insbesondere TikTok spielt dabei eine wichtige Rolle", erläuterte Neumann. Vor allem die chinesische Video-Plattform habe an Bedeutung gewonnen.
Kritik an TikTok
Der Experte übte in diesem Zusammenhang Kritik an der App. So habe TikTok noch nicht ausreichend gegen solche Tendenzen getan. "Solche Plattformen wachsen relativ schnell und bauen erst unter politischem Druck entsprechende Kapazitäten auf.
DSN-Chef Haijawi-Pirchner hatte am Sonntag auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass sich die drei Verdächtigen im Netz über entsprechende Prediger radikalisiert hätten: "Die Verdächtigen gehören genau zur Zielgruppe dieser Prediger. Sie sind jung und haben sich auf TikTok oder anderen Social-Media-Kanälen selbst radikalisiert."
Laut einem Europol-Bericht wurden in Österreich im vergangenen Jahr 16 Personen wegen islamistischer Straftaten festgenommen. Die Antiterroreinheit Cobra hatte die im Zusammenhang mit dem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Regenbogenparade Verdächtigen am Samstag kurz vor Beginn der Pride-Parade an ihren Wohnorten in St. Pölten und Wien festgenommen.