Prozess

Pensionist attackierte Wiener Polizisten: 15 Monate bedingte Haft

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Mordversuch von Geschworenen verneint - Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung und versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt.

Wien. Ein völlig unbescholtener Pensionist ist am Mittwochabend von einem Wiener Schwurgericht zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Er soll am 29. Juni 2019 nach einem Streit mit seiner Verlobten in einem Wohnhaus in Favoriten alkoholisiert auf Polizisten losgegangen sein. Die Anklage lautete auf Mordversuch, was die Geschworenen jedoch verneinten, sie plädierten auf versuchte schwere Körperverletzung und versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt.
 
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach Paragraf 21/2 des Strafgesetzbuches (StGB) wurde abgewiesen. Stattdessen erhielt der 74-Jährige die Weisung auf Alkohol- und Psychotherapie. Der Angeklagte wurde aufgrund der Pandemie im März 2020 gegen gelindere Mittel aus der Untersuchungshaft entlassen. Seitdem hat er allen Weisungen des Gerichts Folge geleistet. Sowohl Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig als auch der Angeklagte waren einverstanden, das Urteil ist somit rechtskräftig.
 
Die Anklage ging davon aus, dass der 74-Jährige aus Eifersucht gehandelt hat. Da seine Lebensgefährtin vor Jahrzehnten einmal eine Affäre mit einem Polizisten hatte, soll er seinen Zorn auf die wegen eines Streits alarmierten Polizisten projiziert haben. Das leugnete das Paar, sie seien mit dem Mann, mit dem Frau einmal eine Liaison hatte, freundschaftlich verbunden. Laut Anwalt Florian Kreiner hätte dieser sogar den Computer des Paars neu aufgesetzt.
 
Der 74-Jährige und seine Freundin führen seit 17 Jahren eine harmonische Beziehung. Sie sollen allerdings regelmäßig dem Alkohol zugesprochen haben, doch es kam nie zu Handgreiflichkeiten. Weil die mehr als 20 Jahre jüngere Frau aber mit einer Ernährungsumstellung 30 Kilogramm abnahm, wurde der Pensionist zunehmend eifersüchtig. Wochen vor der Tat hatte der Pensionist den Alkoholkonsum aus Gesundheitsgründen reduziert. "Ich trinke höchstens am Samstag was", sagte der 74-Jährige. Und dann würde er nur Bier oder Spritzer konsumieren, auf Schnäpse verzichte er, nachdem er nach einer Feier einen Filmriss gehabt habe und bei einem Unfall verletzt worden sei.
 
An einem dieser besagten Samstage, am 29. Juni 2019, eskalierte allerdings die Trinkerei. Zeitig in der Früh erledigte der Mann Einkäufe am Viktor-Adler-Markt und konsumierte noch vor 8.00 Uhr sein erstes Bier und einen Spritzer. Im Stammlokal folgten die nächsten Konsumationen. Als er nachmittags nach Hause kam, informierte er seine Lebensgefährtin darüber, dass er später auf die Geburtstagsfeier der Kellnerin gehen würde. Damit war die Freundin nicht einverstanden, worauf der Mann meinte: "Na dann sauf ich mich daheim an, wenn was da ist." Im Kühlschrank wurde er nicht fündig, allerdings fand er unter der Abwasch von der Freundin versteckte Vodka-Flaschen und leerte eine bis zur Hälfte. "Er hat direkt aus der Flasche getrunken", berichtete die 54-Jährige.
 
Als er etwa zwei bis 2,8 Promille erreicht hat - dieser Wert wurde von Gutachter Günter Gmeiner errechnet - zückte er ein Klappmesser mit einer 7,5 Zentimeter langen Klinge und begann damit vor der Freundin herumzufuchteln. Diese bekam Angst, dass er sich verletzten würde, weil er aufgrund seiner Berauschung mehrfach hinfiel, und alarmierte die Polizei. Der 74-Jährige meinte, sie könne ruhig die "Heh" rufen. Aufgrund des Vodka-Konsums dürfte der Beschuldigte ab diesem Zeitpunkt keine Erinnerung mehr an den Vorfall haben. Er hatte einen "massiven Filmriss", wie sein Anwalt konstatierte. Deshalb bekannte sich am Beginn der Verhandlung vor dem Schwurgericht (Vorsitz: Olivia-Nina Frigo) des Mordversuchs nicht schuldig.
 
Zwei Beamte trafen schließlich in der Wohnung ein. Weil die beiden erst seit wenigen Wochen auf der Polizeistation ihren Dienst versahen, waren sie noch nicht mit Stichschutzwesten ausgerüstet. Der 74-Jährige soll auf die beiden "mit starrem Blick" losgegangen sein, einen Beamten - er war 30 Zentimeter größer und 45 Kilo schwerer als der Angreifer - drückte er gegen die Gangwand. Mit einer weiten Ausholbewegung soll der Pensionist zwei Mal in die Brust zu stechen versucht haben. Beide Polizisten zogen die Waffe, einer gab zum Schutz seines Kollegen einen Schuss Richtung Angreifer ab, verfehlte ihn jedoch. Sie entrissen dem Pensionisten das Messer und nahmen ihn fest.
 
Den Zeugenaussagen der Polizisten widersprach die Lebensgefährtin des Angeklagten. Ja, ihr Freund hätte mit dem Messer herumgefuchtelt, aber nie gezielt zugestochen. Dazu sei er aufgrund der Alkoholisierung gar nicht mehr in der Lage gewesen. "So besoffen hab' ich ihn noch nie gesehen", meinte die Zeugin. Der 74-Jährige sei nicht einmal richtig durch die Tür gekommen, hätte sich auf einen Heizkasten beim Türstock gelehnt. Daraufhin hätte sie ihren Freund dort hingedrückt und versucht, ihm das Messer abzunehmen. Dann sei der Schuss gefallen. "Er hat mich noch nuschelnd gefragt, ob mir etwas passiert sei", sagte die 54-Jährige.
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