Das Protokoll einer Wiener Mutter

''Unser Leben in der Corona-Quarantäne''

08.03.2020

Ist unser Kind positiv? Eine Wiener Familie unter Quarantäne: Das Tagebuch der Mutter.

Zur Vollversion des Artikels
© Fotomontage: oe24; Quelle: Getty Images
Zur Vollversion des Artikels

TAG 1: Im Schockzustand – der Betreuer des Sohnes ist positiv

Der Schock: Der Anruf der Gesundheitsbehörde trifft mich wie ein Keulenschlag. „Guten Tag, Ihr Sohn und 12 Mitschüler waren vor vier Tagen bei einer Schulveranstaltung. Ein Betreuer bei dieser Veranstaltung ist jetzt positiv auf das Coronavirus getestet worden, deshalb gilt ab sofort für Ihren Sohn und eine Erziehungsperson eine 14-tägige Quarantäne.“

Wie im Schockzustand beginne ich nur sehr langsam zu realisieren, was das bedeutet: Die Wohnung muss in zwei Teile geteilt werden, für die „Gesunden“ und die „Kranken“. Außerdem brauche ich einen Plan für meine anderen beiden Kinder, ich muss meiner Firma Bescheid geben und meinen Mann anrufen. Immerhin hatte er für so einen Notfall gut vorgesorgt und 4 Packungen Nudeln und Taschentücher besorgt.

TAG 2: Arzt in Outbreak-Montur nimmt den Testabstrich vor

Der Direktor: Zeitig in der Früh überlegen wir, ob die Geschwisterkinder in die Schule gehen sollen. Immerhin hatte die Behörde bestätigt, dass sie das ohne Gefahr dürfen. Der Direktor sieht das erfreulicherweise auch so, es gilt ja außerdem die allgemeine Schulpflicht. Am Vormittag läutet das Telefon dann im 5-Minuten-Takt: Gesundheitsämter, Behörden und besorgte Eltern von Mitschülern, die wissen wollen, wie es uns geht. Um den Corona-Test müssen wir uns aber selber kümmern. Also einen ganzen Tag mit 1450, 144 und 141 telefoniert, immer dieselben Daten meines Sohnes buchstabiert und auf später verwiesen worden.

Kurz vor Mitternacht ist es so weit: Ein Arzt und ein Sanitäter in voller Montur nehmen den Test-Abstrich vor. Der Mediziner redet beruhigend auf den Patienten ein: Er glaubt nicht, dass mein Sohn erkrankt ist. Man merkt dem Mann an, dass er heute bei vielen hysterischen Verdachtsfällen war. Dann die gute Nachricht für mich: Ich darf für Besorgungen die Wohnung verlassen. Wie lange das Testergebnis dauern wird, kann der Arzt leider nicht abschätzen.

© APA/ÄRZTEKAMMER WIEN/BERNHARD NOLL

TAG 3: Hetzjagd in sozialen Medien, Panik-Modus bei Eltern

Die Angriffe: In den (a)sozialen Medien beginnt die Hetzjagd auf die Geschwister der Betroffenen: „Wieso nimmt Schüler XY noch immer am Unterricht teil?“ Sonst rational gut denkende Eltern schalten komplett in den Panik-Modus. Wir warten weiter gespannt auf das Testergebnis.

TAG 4: Quarantäne-Plan, die Schule hilft uns grandios

Tolle Lehrer: Unser „neues“ Leben hat ein wenig Routine bekommen. Die Unterstützung durch die Schule meines Sohnes ist vorbildlich: Es gibt einen Quarantäne-Stundenplan, Übungen für den nächsten Test und Glückwünsche von Lehrern und Mitschülern. Plus: Einmal am Tag dürfen die betroffenen Kinder per Handy die „Latest News“ austauschen. Das Testergebnis lässt leider weiter auf sich warten.

TAG 5: Ist mein Sohn dabei? Langes Warten auf den Test

Unsicherheit: Das Gesundheitsministerium gibt ein Update: wieder acht neue Erkrankte. Die Unsicherheit bei uns wird jetzt größer: „Ist mein Sohn dabei?“ Noch immer keine Nachricht der Behörden über das Testergebnis. Auf eigene Faust und über viele Umwege habe ich eine Telefonnummer der ­Gesundheitsbehörde erfahren, wo sogar zeitnah wer zu erreichen ist: „Ihr Kind ist negativ, die Quarantäne ist trotzdem weiter einzuhalten“. Ein kleiner Lichtblick: Auch die Tests der anderen Schüler in Quarantäne sind negativ. Aufatmen.

TAG 6: Der Quarantäne-Alltag: Lesen, lernen, Pubertäts-Streit

Volle Hysterie: Unser Quarantäne-Alltag: Lernen, Lesen, Fernsehen und pubertäre Anfälle wechseln sich ab. Wie man aus WhatsApp-Gruppen erfährt, beträgt die Wartezeit bei der Hotline bereits 6 Stunden. Die allgemeine Hysterie kennt anscheinend keine Grenzen.

TAG 7: Grundlose Attacken eines besorgten Vaters

Überzogen: Der Vater von zwei Schülern will etwas aufgeregt wissen, „warum Schüler sowieso aus der Klasse der Verdachtsfälle heute am Unterricht teilgenommen hat“? Dass der Schüler an der Schulveranstaltung, wo der mögliche Kontakt stattgefunden hat, gar nicht anwesend war, beruhigt ihn ein wenig. Wie werden die Leute erst reagieren, wenn es in Zukunft noch viel mehr Fälle in Österreich geben wird?

Zur Vollversion des Artikels