SMS um 3 Uhr früh

Wie ''Schalli'' zum neuen Kanzler wurde

10.10.2021

Freitagnacht reifte in Kurz die Entscheidung. Samstag, um 11 Uhr, sagte er es seinem Nachfolger. Vor allen anderen.  Nach Nachtsitzung schrieb Kurz um 3 Uhr früh Schicksals-SMS. Schallenberg reagiert Samstagfrüh fast geschockt.

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© APA/GEORG HOCHMUTH
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Wien. Als Sebastian Kurz ihn am Samstag um 11 Uhr anruft, rechnet Alexander Schallenberg mit etwas Ernstem. Aber nicht, wie stark es ihn betreffen wird. „Du sollst übernehmen“, sagt ihm Sebastian Kurz da. Der Außenminister wirkt leicht geschockt. Die dramatischen Stunden, die zu einem neuen Kanzler führten: „Wir müssen reden“, schreibt Noch-Kanzler Kurz an seinen Außenminister. Schallenberg ahnt, dass sich die Regierungskrise immer mehr zuspitzt.

Kurz sitzt mit Beratern und mit den VP-Ministern Elisabeth Köstinger, Karl Nehammer und Gernot Blümel zu diesem Zeitpunkt noch im Kanzleramt. Freitagabend hatte er alle Minister zu sich gerufen. Um 19.30 dann erklärt, dass er „amtsfähig“ sei und bleiben wolle. Danach redet er im kleinsten Kreis weiter. Ein Teil sagt ihm, dass er kämpfen und bleiben müsse. Einem anderen Teil sieht er an, dass er auch einen Plan B. braucht. In den Ländern sei die Wut über die „Buberlpartie“ groß. Die Chats seien dramatischer angekommen als gedacht.

Aber wer könnte übernehmen? Der Name Nehammer fällt. Aber das könnte als „Provokation“ ausgelegt werden. Kurz nennt erstmals Schallenberg. Noch ist nichts entschieden.

Nein, es gibt keine Bedenkzeit“, sagt Kurz am Samstag um 11 Uhr Schallenberg, als er ihn anruft. Das Telefonat beginnt er mit den Worten: „Du sollst übernehmen.“ Andere hat er noch nicht eingeweiht. Aber seine Entscheidung ist gefallen. Grün-Chef Kogler hatte ihm davor noch einmal gesagt, dass die Grünen mit ihm nicht weiter ¬regieren könnten. Schallenberg ist geschockt. Damit hat der oberste Diplomat nicht gerechnet.

Er geht aus seiner Wohnung in der Wiener Innenstadt zu einem Essen mit seiner Familie. Die Wochenenden nimmt er sich wann immer möglich für seine vier Kinder Zeit. In dem Moment weiß er, dass er bald noch weniger Zeit haben werde. Die „Herausforderung“ werde groß, sagt er – mit seinem diplomatischen Lächeln im Gesicht

„Es ist jetzt der einzige Weg“, sagt Kurz seinen Beratern und den drei Ministern, die nach der langen Nacht zu Mittag erneut im Kanzleramt sind. Ein Teil von ihnen hat kaum geschlafen. Drei Nächte ohne Schlaf, sagt einer später.  

„Aber damit retten wir die Grünen“, meint ein Anwesender, der sich mit dem Gedanken nicht anfreunden kann. „Wann?“, ein anderer. „Heute noch“, sagt Kurz. Und sie beginnen zu telefonieren. Die Landeshauptleute sollen jetzt durchgerufen werden.

In den vergangenen Tagen hatten sie Kurz offiziell stets Loyalität geschworen. Hinter den Kulissen aber auch ihn immer wieder gefragt: „Was kann da noch auftauchen?“

Obwohl den ganzen Nachmittag zig Länderchefs mit der Nachricht des Rückzugs kontaktiert werden, halten sie still. Schallenberg verfolgt die Medienlage. Noch schlägt nichts auf.

„Schalli wird Kanzler“, erklärt Kurz am Samstag um 18 Uhr allen seinen Ministern. Er hat erneut das ganze türkise Team ins Kanzleramt gerufen. Zehn Minuten davor kommt auch Schallenberg zu Fuß auf den Ballhausplatz. Er lässt sich nichts anmerken. Er geht wortlos und mit ernster Miene rein.

Einige Minister – sie hatten schon begonnen, ihre Sachen zu packen – wirken erleichtert. Um 18.48 meldet oe24.TV, dass Schallenberg statt Kurz Kanzler werden solle. Kurz, Schallenberg und alle Minister verfolgen es live. Bis Kurz um 19.40 Uhr offiziell seinen Rückzug erklärt.
 
  
   

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