Das Interview
Das ganze Interview mit Natascha im vollen Wortlaut
20.08.2007
Natascha Kampusch spricht ein Jahr nach ihrer Flucht mit Christoph Feurstein. Das ORF-Interview im Wortlaut.
Ein Jahr nach ihrer Flucht begleitete der ORF Natascha Kampusch auf ihrer ersten Reise ins Ausland: Barcelona. Mit dabei ihre Schwester Sabina und ein Sozialarbeiter, der zu einem der wichtigsten Vertrauten in Natascha Kampuschs Leben geworden ist Eine Stadt am Meer in der sie sich, unerkannt bewegen kann. Natascha Kampusch hat sich entschlossen, sich zum ersten Jahrestag nur für diese Dokumentation zur Verfügung zu stellen und Einblick in ihr neues Leben zu geben.
Frau Kampusch, gibt es etwas, was Sie ganz besonders interessiert in Barcelona?
Natascha Kampusch: In Barcelona? Ja, ich habe schon von den großen Kunstwerken des Gaudi gehört und möchte mir die natürlich ansehen.
Im Cockpit
Pilot: Wann sind sie das letzte Mal geflogen?
Natascha
Kampusch: Vor 13 Jahren nach Paris.
Plaza Real, Barcelona
Christoph Feurstein: Sie von sich aus
haben ja medial eigentlich in den letzen Monaten nichts gemacht. Es wurde
nur über Sie geschrieben oder durch andere über Sie geschrieben. Sie geben
jetzt dieses Interview. Sie könnten auch gar kein Interview geben. Warum tun
Sie's?
Natascha Kampusch: Ein gewisses Mitteilungsbedürfnis habe ich
ja doch und ich möchte mich zu wichtigen Themen auch zu Wort melden. Und ich
denke ich schulde den Leuten, die mir etwas gespendet haben und die Anteil
an meinem Schicksal genommen haben, schon, dass ich berichte, wie es mir
geht.
Auf der Einkaufsstraße „Rambla“
Christoph
Feurstein: Sie haben einmal, wie wir vor einem Jahr miteinander gesprochen
haben, oder eigentlich auch vor einem halben Jahr, haben Sie gesagt, dass es
eigentlich wirklich sehr schwer ist, sich auf die Menschen einzustellen,
weil Sie es ja nicht gewöhnt sind. Wie geht es Ihnen denn jetzt so im Umgang
mit anderen Menschen?
Natascha Kampusch: Ja, ich habe ein klein
wenig meine Scheu vor anderen Menschen verloren, und diese Ängstlichkeit ist
weggegangen. Anfänglich hatte ich recht schnell, wenn mich jemand ansprach
oder ich ein lautes Geräusch vernahm, hatte ich einen Schreckmoment, und mir
ist es danach recht schlecht gegangen. Jetzt geht es mir sukzessive besser,
obwohl ich noch immer recht schreckhaft bin und ich immer noch meine
Kreislaufprobleme habe.
Christoph Feurstein: Können Sie schon vertrauen?
Natascha
Kampusch: Vertrauen. Ja das mit dem Vertrauen ist so eine Sache, ich glaube,
das wird noch lange dauern, bis ich irgendjemand wirklich voll vertrauen
kann. Es gibt natürlich auch viele Menschen, die versuchen, das Vertrauen,
was man in sie setzt, zu missbrauchen, und das ist schlimm.
Christoph Feurstein: Haben Sie schon Freunde gewonnen?
Natascha
Kampusch: Freunde gewonnen. Ich habe für mich noch nicht herausgefunden, wie
man Freundschaft definiert.
Christoph Feurstein: So Enttäuschungen im vergangenen Jahr. So in
Freiheit zu sein und eigentlich ein neues Leben zu beginnen. Hat es da so
gravierende Momente gegeben, wo man sagt, das kann doch nicht wahr sein?
Natascha
Kampusch: Ja, so was gab es eigentlich auch, aber Herr Feurstein, weil mir
gerade die Tränen kommen, könnten sie vielleicht die Kamera abdrehen? Ich
glaub das ist das Salzwasser.
Christoph Feurstein: In der Gefangenschaft, das haben wir ja gehört, da
ist Ihnen ja viel Schlimmes passiert.
Natascha Kampusch: Ja.
Christoph Feurstein: Wie begleitet Sie das? Oder wie gehen Sie damit um?
Jetzt ein Jahr nachher?
Natascha Kampusch: Das kommt manchmal schon
wieder, aber auf der anderen Seite, dadurch, dass ich jetzt auch andere
Menschen kennen lernen konnte, sehe ich, dass die Menschen gar nicht so vor
verschiedenen Problemen stehen wie ich. Ich habe auch Frauen gesehen, von
denen ich gedacht habe, dass sie eventuell misshandelt werden, oder
Menschen, die unter Druck gesetzt werden. Mir tun zum Beispiel auch Tiere
oder kleine Kinder extrem leid, wenn man sie schlecht behandelt, aber man
kann es nicht beweisen, das ist nur so unterschwellig da, aber man spürt es.
Christoph Feurstein: Es war ja eine, kann man so sagen, recht intensive
Zeit, die Sie mit Wolfgang Priklopil verbracht haben. Acht Jahre, Sie
mussten sich arrangieren, er hat Ihnen schreckliche Dinge angetan. Wie sehen
Sie ihn jetzt ein Jahr später?
Natascha Kampusch: Ich glaube
mein Bild hat sich nicht groß verändert. Was ich nur sagen kann, dass er mir
nach und nach immer mehr Leid tut. Das ging damals eben auf Grund der
Aktualität der schlimmen Erfahrungen mit ihm nicht so.
Christoph Feurstein: Inwiefern tut er Ihnen Leid?
Natascha
Kampusch: Naja, einfach eine arme Seele, verloren und fehlgeleitet. Das was
er mir antat ist einfach weiter in die Ferne gerückt, und es verblasst zwar
nicht und es kommt immer wieder hoch und ich versuche einfach so gut wie
möglich mit diesen Erinnerungen umzugehen und sie auch aufzuarbeiten. Was
denken Sie sich denn zu meinem Schicksal, Herr Feurstein?
Christoph Feurstein: Acht Jahre, das ist sehr lange, und dass man aber
in diesen acht Jahren einen Alltag entwickelt und dass man hier nicht alles
von vorne herein sagen kann, das ist alles schlecht, weil man im Alltag auch
positive Dinge erlebt. Und gerade Sie, wie Sie sich arrangiert haben mit
dieser Situation und wie Sie auch gesagt haben, Sie haben immer versucht das
Beste daraus zu machen.
Natascha Kampusch: Genau, ich versuche
regelmäßig das Beste aus meiner Situation zu machen und auch der wie soll
man sagen, der unvorteilhaftesten Situation doch einen Nutzen abzugewinnen.
Ich winde sozusagen das Schwammtuch bis zum letzen Tropfen Wasser aus und
das habe ich auch die acht Jahre gemacht, und ich wollte auch keine
negativen Energien einbringen, warum soll ich negativ oder böse sein. Man
soll nicht Böses mit Bösem vergelten.
Christoph Feurstein: Hat es in diesen acht Jahren, in denen Sie sich mit
diesem Entführer arrangieren mussten, hat es da auch gewisse gleiche
Interessen gegeben, die man geteilt hat?
Natascha Kampusch: Er war
auch sehr genau und zielstrebig, und das war gut und von Vorteil. Er hat zum
Teil versucht mich zu manipulieren, so wie er mich gerne hätte haben wollen.
Das ließ ich teilweise zu, teilweise ließ ich es nicht zu bzw. konnte ich
ihn im Gegenzug auch manipulieren, es war so einem Ringkampf gleich, wenn
sie verstehen was ich meine. Es war ein Ringen.
Christoph Feurstein: Sie sind sehr belesen. Sie haben viel gelesen, Sie
interessieren sich für Kultur, Theater, Sprachen, Politik. War er auch
kulturell und politisch interessierter Mensch?
Natascha Kampusch:
Eigentlich ist es seltsam, aber ich glaube er war nicht so sehr kulturell
interessiert. Ihm lag eher an praktischen Dingen.
Christoph Feurstein: Wie konnten Sie ihr Bewusstsein so stärken? Kam das
aus dem Widerspruch?
Natascha Kampusch: Das weiß ich nicht, das
frage ich mich selbst. Aber in meinen Gedanken war ich ja immer frei, da
konnte ich selbst in den schwierigsten Situationen frei denken und meine
Fantasie ist auch so ausgeprägt, dass ich mir alles Mögliche vorstellen kann
und herholen kann. Das wird es wahrscheinlich gewesen sein.
Christoph Feurstein: Ihre Mutter hat einige Wochen nach ihrer Flucht
einmal zu mir gesagt, dass um Sie herum alles sehr turbulent ist und dass es
erst Frieden und Ruhe geben wird für die Familie, wenn die ganze Familie auf
einem Boot ist, und sie sich nur auf sich konzentrieren kann. Jetzt hat sie
ein Buch geschrieben und tourt mit diesem Buch durch Europa, was empfinden
Sie dabei?
Natascha Kampusch: Wenn sie das gerne möchte. Sie muss
das für sich selbst vertreten können und offenbar ist das so und das kann
ich nicht ändern. Wenn meine Mutter in die Medien gehen möchte, wenn
meine Mutter in Fernsehen, Print und Rundfunk erscheinen möchte, und das als
richtig erachtet, dann kann ihr das keiner nehmen. Dann soll sie das ruhig
tun. Ich würde anders handeln, das ist klar, jeder hat sein eigenes Gewissen
und jeder wiegt für sich ab, was ethisch und moralisch vertretbar ist bzw.
was angebracht ist, und so eben auch meine Mutter.
Christoph Feurstein: Ich möchte trotzdem noch auf ein Zitat Ihrer Mutter
kommen. Und zwar schreibt sie da, dass Sie sich am Sarg von Wolfgang
Priklopil verabschiedet haben. Warum war Ihnen das wichtig?
Natascha
Kampusch: Erstens einmal möchte ich etwas dazu sagen, dass das im Buch
erwähnt wurde. Ich hatte Gelegenheit mir dieses Buch durchzulesen und auch
gewisse Passagen zu verändern, aber ich wollte nicht das ganze Buch
verändern. Eigentlich habe ich meiner Mutter das gezeigt mit dem, ich hatte
schon das Gefühl ich könnte ihr vertrauen und es war eigentlich klar, dass
sie das niemanden weitererzählt, dass ich ihr diese, ich habe ihr das auf
meinem Handy gezeigt, im Buch stand, dass es ein Foto sei, was nicht stimmt.
Ich hab das trotzdem im Buch gelassen, und ich stehe auch dazu, ich habe
mich verabschiedet, warum auch nicht. Das war mir schon wichtig, weil ich
habe ihn zuletzt lebend gesehen, als er mir den Rücken zuwandte und ich Hals
über Kopf einfach weggelaufen bin. Ich habe mich aber nur vom Sarg
verabschiedet, ich habe ihn dann nicht mehr gesehen. Das wollte ich
eigentlich nie in die Öffentlichkeit gelangen lassen.
Christoph Feurstein: Ich meine ja auch, dass das ja überhaupt nichts
Ungewöhnliches ist, das Bedürfnis zu haben, sich von einem Menschen zu
verabschieden, von dem man ja verschiedene Seiten kennt, und um einen
Abschluss zu finden.
Natascha Kampusch: Ja, außerdem, ich weiß
nicht, ich habe das zynisch gemeint, aber ich habe gesagt, eines Tages werde
ich auf deinem Grab tanzen. Das war natürlich nicht der Fall, aber es war
schon auch eine gewisse Genugtuung dabei, so eine Art Sieg, so im Sinne von,
es war immer klar, es konnte nur einen von uns beiden geben und ich war das,
letztendlich, und er nicht. Das war auch so ein bisschen bedauern dabei,
Mitleid.
Christoph Feurstein: Ihre Mutter bezeichnet ihren Vater als Alkoholiker.
Sie spricht permanent von ihm als „Der Koch“. Wie empfinden Sie das?
Natascha
Kampusch: Das ist etwas, das ich rein objektiv gesehen, als respektlos und
als unangebracht empfinden würde. Selbst wenn es sich um eine ganz andere
Thematik und ganz andere Personen handelt. Man kann jemand privat eben
gewisse Bezeichnungen geben, aber das sollte doch im Privaten bleiben.
Christoph Feurstein: Wenn jetzt die Mutter ein Buch schreibt, wo sie den
Vater angreift, jetzt entgegnet der Vater wieder. Und das wird eigentlich
wieder zu einer öffentlichen Familientragödie.
Natascha
Kampusch: Ja das wäre dann so was wie die Ozzys oder wie die Lugners. So
wäre das dann, das wäre dann äußerst geschmacklos und äußerst ungemütlich.
Christoph Feurstein: Haben Sie Angst vor so etwas?
Natascha
Kampusch: Angst nicht, aber es ist natürlich im Bereich des Möglichen, aber
ich denke, alle Parteien sind hier so vernünftig oder werden hier so
vernünftig sein, es nicht so weit kommen zu lassen und wenn, dann muss ich
mich einfach distanzieren, auch wenn es mir selbst Leid tut.
Christoph Feurstein: Ich habe irgendwie so mitbekommen, das ihr Vater,
wenn Sie ihn besucht haben, Fotografen bestellt hat, die dann fotografiert
haben. – Ja – Wie haben sie das erlebt?
Natascha
Kampusch: Ja ich denke mein Vater ist eben im Umgang mit Medien recht naiv
und lässt sich leicht beeindrucken, durch irgendwelche materiellen Dinge.
Das ist sicherlich nicht richtig, aber ja, mein Vater hat es eben noch nicht
gelernt. Ich respektiere meinen Vater, so wie jeder seine Eltern
respektieren sollte, aber trotzdem ist das nicht richtig, und es wäre
einfacher für mich ins normale Leben integrieren zu können, wenn es mir mein
Vater nicht so schwer machen würde, durch diese diversesten
Mediengeschichten.
Christoph Feurstein: In österreichischen Tageszeitungen, aber auch auf
der Titelseite der Bild-Zeitung war zu lesen, Sie hätten einen Freund, und
dazu hat man ein Foto gesehen, wo Sie zu sehen sind mit einem jungen Mann,
der ihnen irgendwas ins Ohr flüstert.
Natascha Kampusch: Es
ist halt nur seltsam, dass der junge Mann nicht erkenntlich drauf ist. Dass
ich einmal alle Jubeljahre in die Passage gehe und da auch nur auf
Einladung, und zufällig ist ein Pressefotograph dort, aber es ist so
lächerlich. Wenn sie sich das „SOOO SÜSS“ oder was da stand, das ist doch
totalst geschmacklos.
Christoph Feurstein: Und einmal abgesehen davon. Wenn sie einen Freund
hätten, wäre das ja wirklich schön, aber es ist noch dazu erfunden.
Natascha
Kampusch: Ja, es wäre schon schön, nicht? Aber nein, es ist erfunden und das
ist eben das Witzige daran, weil die wissen das ja nicht und behaupten das
einfach so.
Christoph Feurstein: Wie war das für Sie, wie die Bilder in der Zeitung
waren?
Natascha Kampusch: Ich nahm es gelassen hin, wissen sie,
vorher hatte man ja versucht mich zu erpressen. Ich sollte einer Zeitung ein
Interview geben und dafür hätten sie die Fotos verschwinden lassen. Aber ich
wollte mich da nicht zu irgendetwas zwingen lassen.
Christoph Feurstein: Sind Sie wirklich so stark wie Sie sich immer
präsentieren?
Natascha Kampusch: Ich weiß nicht? Komme ich so
stark rüber? Oder... – Offensichtlich - ...präsentiere ich mich als stark?
Sie werden mich selten oder überhaupt gar nie in der Öffentlichkeit weinen
sehen oder schluchzen, zusammenbrechen. Das regle ich für mich privat.
Christoph Feurstein: Diese Stärke, die Sie zeigen, die Sie ja auch
haben, die ein Teil von Ihnen ist. Kommt das auch daher, dass Sie manchmal
denken, dass es niemand wirklich gibt, der das Schreckliche, was ihnen auch
passiert ist, verstehen kann?
Natascha Kampusch: Ich habe immer
diese Probleme, das Schreckliche für mich selbst definieren zu können. Dass
es niemand verstehen kann, will ich nicht behauptet haben, dass es dafür
keine Worte gibt und keine Definition, das wohl eher, weil wie definiert man
Schmerz oder Leid oder Qual. Wie definiert man das?
Christoph Feurstein: Jetzt ist Ihnen ja im vergangenen Jahr wahnsinnig
viel passiert. Sie werden teilweise verfolgt von Kameras.
Natascha
Kampusch: Ja das ist wirklich unangenehm.
Christoph Feurstein: Gibt’s etwas, was Sie sich wünschen würden?
Natascha
Kampusch: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen etwas sensibler umgehen
würden und nicht einfach irgendwie drauf los fotografieren. Ich gebe auch
keine Autogramme. Am Flughafen hier, bei der Ankunft, ist mir ein kleines
Mädchen nachgerannt, mit einem Autogrammheft oder Buch und ich habe mich
nicht umgedreht, weil, ich weiß nicht, ich gebe keine Autogramme. Ich bin ja
auch kein Superstar.
Christoph Feurstein: Ist ja auch eigentlich komisch.
Natascha
Kampusch: Ja, ich bin ja kein Hollywoodstar.
Christoph Feurstein: Haben Sie das Gefühl, dass man manchmal versucht,
das aus Ihnen zu machen?
Natascha Kampusch: Hollywoodstar
vielleicht nicht, obwohl, als Kind wollte ich ja so was ähnliches werden,
Schauspielerin, aber, nein ich glaube die wollen eher so eine Art Partyluder
oder einen Mausi-Lugner-Verschnitt, Mausi-Lugner-Paris-Hilton-Verschnitt aus
mir machen.
Christoph Feurstein: Wie war das Erlebnis heute am Meer?
Natascha
Kampusch: Sehr abwechslungsreich muss ich sagen.
Christoph Feurstein: Was hat Ihnen am besten gefallen?
Natascha
Kampusch: Ich weiß nicht, von den Wellen weggetragen zu werden. Die Wellen
wecken so Assoziationen mit dem Meer, nicht? Blödsinn! Die Wellen wecken so
Assoziationen mit Atmung und so.
Christoph Feurstein: Mit Atmung?
Natascha Kampusch: Naja, das
Auf und das Ab, das Ein und das Aus, nicht? Herr Feurstein, Sie müssen sich
schon anstrengen, Sie können nicht einfach so 08/15 Fragen stellen.
Christoph Feurstein: Naja, dann drehen wir mal den Spieß um, interviewen
Sie mich.
Natascha Kampusch: OK. Herr Feurstein, wie ist das so für
Sie? Kommen Sie nie in Verlegenheit, wenn sie Menschen sehr intime Dinge
fragen?
Christoph Feurstein: Ich sag immer, wenn jemand etwas beantworten will,
muss er es ja nicht beantworten. Auf jeden Fall scheue ich mich nicht solche
Fragen zu stellen, weil es mich wirklich interessiert und wenn mir die
Menschen das erzählen wollen, dann tun sie es oder tun sie es nicht, oder
sie lügen, ja das kann man eh oft nicht steuern.
Natascha
Kampusch: Merken Sie wenn Menschen lügen?
Christoph Feurstein: Ich glaub schon, dass ich merke wenn Menschen
lügen. Wir drehen hier, wir arbeiten also hier auch. Ist es für Sie trotzdem
entspannend, weil Sie einfach weg sind und was anderes erleben?
Natascha
Kampusch: Es ist entspannend, ich habe mich eigentlich die ganze Zeit
gewehrt, ins Ausland zu gehen, da mir meine Neurologin eher abgeraten hat zu
fliegen, zumindest ein Jahr lang. Aber jetzt ist ja fast ein Jahr vergangen
und ich denke zwei Stunden sind tolerierbar.
Christoph Feurstein: Was hat Ihnen bis jetzt am Besten gefallen?
Natascha
Kampusch: Oh, wo fange ich da an? Eigentlich alles Mögliche, vielleicht doch
der Strandausflug, hierher, zum Schwimmen, das war doch schön.
Alltag in Wien: U-Bahn fahren
Christoph Feurstein: Wie
reagieren Mitmenschen auf Sie, wenn Sie sich jetzt in der Öffentlichkeit
frei bewegen?
Natascha Kampusch: Ja da gibt es verschiedenste
Reaktionen, es gibt Menschen, die mir heulend um den Hals fallen oder fallen
wollen, es gibt Menschen, die irgendwelche Gebete murmeln, es gibt Menschen,
die so abschätzig über mich sprechen, „Das ist die Kampusch“ und so, „Was
will die da?“, das kommt auch vor, dann gibt es junge Männer, die so
ekelhaft begehrliche Blicke zuwerfen, die so abstoßend sind, ja. Dann gibt
es halt Menschen, die mir ihr Mitgefühl bekunden und so.
Natascha Kampusch beim Bogenschießen
Christoph
Feurstein: Frau Kampusch, warum haben Sie sich diesen Sport ausgesucht?
Natascha
Kampusch: Ich war ja doch acht Jahre zwar schon muskulär beansprucht, aber
ich war ja geschwächt von meiner Gefangenschaft, da dachte ich mir das
könnte mir bei Wiedererlangen der körperlichen Vitalität helfen.
Christoph Feurstein: Hat es auch was mit Konzentrationsfähigkeit zu tun
für Sie? Um auch auf andere Gedanken zu kommen?
Natascha
Kampusch: Durchaus, es gibt ja soviel Irritierendes, was momentan auf mich
einströmt und da ist Bogenschießen ein Methode, um die Gedanken fokussieren
zu können.
Christoph Feurstein: Wenn man mit unterschiedlichen Menschen spricht,
sagen viele die Frau Kampusch ist jetzt steinreich.
Natascha
Kampusch: Sie sehen mich als Celebrety und nicht als Mensch und nicht als
Entführungsopfer. Sie klammern das aus. Und es gibt auch so Karikaturen, sie
lasst sich kurz einsperren, 8 1/2 Jahre, und kommt als Berühmtheit raus. Das
Geld, was mir zugedacht war, habe ich für meine Zukunftsabsicherung
veranlagt und ich bekomme einen gewissen Teil davon ausgezahlt. Ich habe
nicht mehr und nicht weniger als so manch anderer regelmäßig zu meiner
Verfügung und ich bestreite mein Leben recht bescheiden. Gut, ich muss mich
kleiden, ich muss mich ernähren, ich muss laufende Kosten zahlen, wie jeder
andere auch. Das ist ein Irrtum, das ich jetzt in Saus und Braus lebe.
Christoph Feurstein: Das haben Sie auch gesagt, dass man sagt Sie sind
arrogant.
Natascha Kampusch: Ich glaube eher nicht, das ist eher
Unsicherheit, sie wissen ja, ich grenze mich gerne ab, und das wir oft als
Arroganz ausgelegt. Diese acht Jahre haben mich eben heute zu dem gemacht,
was ich jetzt bin und wie ich vor Ihnen sitze. Das ist es eben. Ich kann sie
nicht ableugnen, ich kann nicht sagen, da war nichts, das waren eben 8 1/2“
Jahre. Das ist sehr lange.
Zurück in Barcelona
Christoph Feurstein: Wie geht’s
Ihnen in der Schule?
Natascha Kampusch: Ja mir geht’s gut.
Christoph Feurstein: Was lernen Sie gerade?
Natascha Kampusch:
Das ist gemischt, aber ich soll mich nach den Ferien mit Biologie befassen.
Ja, das wird recht spannend.
Christoph Feurstein: Sie müssen das ja alles nachhohlen. Wie läuft das
ab? Wie lange ist das geplant? Oder richtet sich das nach dem, wie Sie das
wollen?
Natascha Kampusch: Das richtet sich nach den individuellen
Bedürfnissen. Ich werde jedoch nach den Ferien danach trachten, dies bald
möglichst abzuschließen um dann eben eine Studienber.....entweder mache ich
die Matura oder eben eine Studienberechtigungsprüfung.
Christoph Feurstein: Sie haben in unserem ersten Interview einen
Spendenaufruf gestartet, wo Sie div. Hilfsprojekte unterstützen wollten .
Wie steht es mit den Hilfsprojekten?
Natascha Kampusch: Da ist bis
dato noch nichts passiert. Ich musste mich erst um mich selbst kümmern, denn
kaum bin ich da, kann ich mich nicht um andere kümmern, aber die Absicht
anderen Menschen zu helfen, besteht weiterhin. Das Geld kam eben auf gewisse
Spendenkonten, um die sich meine Anwälte gekümmert hatten. Sobald ich mich
wirklich regeneriert habe und auf festen Beinen stehe, werde ich mich um die
Hilfsprojekte kümmern.
Christoph Feurstein: Sie haben einmal gesagt, dass Frau Priklopil auch
viel leiden muss, die Mutter von Wolfgang Priklopil. Sie haben auch davon
gesprochen, dass Sie sie treffen wollen. Ist es je zu so einem Treffen
gekommen?
Natascha Kampusch: Nein, solch ein Treffen kam bis jetzt
noch nicht zustande. Das lag aber nicht an mir, das lag eher an Frau
Priklopil, die sich noch nicht bereit dazu gefühlt hat.
Christoph Feurstein: Ganz am Anfang hat es einmal geheißen, dass Sie
auch das Haus wollen. Was ist mit dem Haus jetzt?
Natascha
Kampusch: Es steht mir von Rechtswegen einfach eine Entschädigung zu aus dem
Vermögen. Üblich wäre es das Haus zu veräußern, aber das möchte ich nicht.
Sie können sich vorstellen, dass ich das nicht so mögen würde, wenn das so
eine Art Pilgerstätte wäre oder irgendwer Verrückter das kauft, oder wenn
das Verlies in falsche Hände geraten würde. Das wäre nicht in meinem Sinne.
Christoph Feurstein: Können Sie sich vorstellen, so wie wir da jetzt
sitzen, dass Sie in diese Haus zurückgehen? Nicht in diesem Haus zu leben,
sondern einfach nur hingehen.
Natascha Kampusch: Ja ich war bereits
wieder in diesem Haus. Ich kann mir das schon vorstellen. Das Haus ist ja
eigentlich nur ein Schauplatz.
Christoph Feurstein: Also das ist jetzt auch nicht zu angstbesetzt?
Natascha
Kampusch: Es kommen schon gewisse Erinnerungen hoch, wenn sie da diesen
dicken Betonblock sehen und sich denken, da waren sie drinnen eingesperrt.
Manchmal sogar im Dunkeln und es passiert ihrem Peiniger etwas, dann kommen
sie da nie wieder lebend raus und müssen Hungersqualen und Durst erleiden.
Obwohl, Wasser war ja vorhanden, aber sie sterben da langsam und es wird nie
jemand ihre Leiche finden und nie jemand über ihr Schicksal erfahren.
Christoph Feurstein: Ihre Mutter schreibt auch in ihrem Buch, dass Sie
Kleidung aus der Gefangenschaft aufbewahrt haben. – Ja. – Und dass Sie
teilweise diese Kleidung heute noch tragen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Natascha
Kampusch: Ja die Kleidungsstücke können nichts dafür, und solange die
Materialen nicht verschleißt sind, trage ich sie weiter. Außerdem haften da
natürlich auch gewisse Erinnerungen daran und ja, diese Socken und T-Shirts
haben mich eben gewärmt und man muss das schon aufbewahren. Zumindest einige
Zeit lang.
Natascha Kampusch: Ich habe mich auch gewehrt, dass mir mein Entführer persönliche Gegenstände von vorher wegnimmt. Weil das sind einfach meine Sachen. Er kann nicht einfach meine Sachen einfach verbrennen, nur dass er möchte, dass ich irgendwie völlig Abschied nehme vom meinen vorherigen Leben. Und genauso geht das nicht, dass meine Mutter sagt, schmeiß die ganzen Sachen auf den Müll. Das geht nicht, das sind meine Sachen. Die haben nur indirekt mit meinem Schicksal zu tun. Das sind meine persönlichen Sachen. Die habe ich 8 ½ Jahre zu meinen persönlichen Sachen gemacht.
Natascha Kampusch: Ich habe mir sehr viel Trost in Gegenständen gesucht. Ich hatte nicht sehr viel mich zu freuen dort, aber ich habe halt gelernt, auch in den kleinen Dingen das Große zu erkennen.
Rückflug
Christoph Feurstein: Was hat Ihnen am Besten
gefallen?
Natascha Kampusch: Die Menschen dort sind ganz anders als
in Wien.
Christoph Feurstein: Inwiefern?
Natascha Kampusch: Naja, nicht
so hektisch, einfach anders.
Christoph Feurstein: Das Meer?
Natascha Kampusch: Es war alles
so natürlich. Ja das Meer war auch schön. Diese riesen Dampfer. Ich habe
noch nie so große Schiffe gesehen
Christoph Feurstein: Das war ja Ihr erster Auslandsaufenthalt. Wie war
das für Sie? Auch von der Energie her?
Natascha Kampusch: Naja,
es war doch kraftraubender als ich dachte, aber es war doch, alle waren
recht entspannt. Das ganze Team. Und die Umgebung auch und das hat abgefärbt
und wir haben uns gar nicht zerstritten
Ankunft
Natascha Kampusch: Ich möchte ernst genommen werden und
dass der Fall auch ernst genommen wird, dass die Ereignisse nicht unter den
Teppich gekehrt werden. Es ist schon möglich, dass so eine Art Metamorphose
mit mir stattgefunden hat, so zuerst die Raupe und dann der Schmetterling,
aber mehr nicht.