Mehr Überwachung

Experte: Immer mehr Terrorzellen in Österreich

18.01.2024

Terror-Gruppen, wie die, die in Wien den Stephansdom attackieren wollten, werden immer häufiger.

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© APA/ROLAND SCHLAGER
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In den letzten Jahren haben aufwendig geplante Anschläge wie jener vom 11. September 2001 in New York als möglich, aber eher unwahrscheinlich gegolten. Die größte Gefahr rechneten Terrorexperten radikalisierten Einzeltätern zu. Derzeit deute vieles auf eine mögliche strukturelle Veränderung bei islamistisch motivierten Anschlägen hin, betonte Nicolas Stockhammer im Gespräch mit der APA. Künftig dürften kleine, international vernetzte Terrorzellen die Ermittler beschäftigen.

Jihadisten weltweit vernetzt

Jüngste Beispiele zeigen, dass Jihadisten "sehr stark transnational vernetzt sind", sagte der Leiter des Instituts für Terrorismusforschung an der Donau-Universität Krems. Jener 15-jährige, gegen den in Zusammenhang mit einem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Wiener Pride-Parade ermittelt wird, gründete etwa einen "Terror-Kanal", in dem auch ein junger Belgier und ein junger Ukrainer waren. Wie die APA berichtet hatte, tauschten sich die beiden über mögliche Anschlagspläne in Europa aus.

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Geplantes Attentat auf Stephansdom

Aber auch jener 28-jährige Tadschike und dessen 27 Jahre alte Ehefrau, die am 23. Dezember festgenommen wurden, weil sie in Anschlagspläne gegen den Stephansdom eingebunden gewesen sein sollen, dürften bestens vernetzt gewesen sein. Ein 30-jähriger in Deutschland lebender Landsmann, der die beiden mehrmals besucht hatte, steht im Verdacht, ähnliche Pläne mit dem Kölner Dom als Ziel gehabt zu haben. Die mutmaßliche Terror-Gruppe wird dem "Islamischen Staat in der Provinz Khorasan" (ISPK) zugerechnet. Beim ISPK handelt es sich um einen Ableger des IS in Afghanistan und anderen Staaten Zentralasiens, der, wie Stockhammer auch in seinem im November erschienen Buch "Trügerische Ruhe" schreibt, möglicherweise schon vor Jahren Migrationsbewegungen nutzte, um Anhänger nach Europa zu schleusen.

Es gibt aber weiterhin Einzeltäter

Zwar geht von - oftmals auf Social Media - radikalisierten Einzeltätern weiterhin Gefahr aus, es zeichne sich aber eine langsame Veränderung hin zu kleinen Terrorzellen ab, erläuterte Stockhammer. Damit steige auch die Gefahr ausführlich geplanter, "projektierter" Szenarien. Stockhammer unterscheidet zwischen diesen und sogenannten "Gelegenheitsszenarien", bei denen Anschläge ohne viel Planung und Aufwand im Vorhinein durchgeführt werden. Von einem solchen sah im September ein damals 16-Jähriger in letzter Sekunde ab, nachdem er sich zuvor mit Machete auf den Wiener Hauptbahnhof begeben hatte, um dort ein Blutbad anzurichten.

Anschlagspläne werden ernster

Gerade das jüngste Beispiel der vermeintlichen Achse Wien-Köln zeige laut Stockhammer auch eine weitere Veränderung bei den Sympathisanten der Terrormiliz ISPK. Bisher standen oft sehr junge, nicht selten minderjährige Männer im Zentrum von Ermittlungen. "Dieser Ableger ist eher interessiert an Personen mit mehr Lebenserfahrungen - das macht die Anschlagspläne auch ernster", so die Einschätzung des Experten.

Rapide am Vormarsch

Die internationale Vernetzung sei aber nicht nur im islamistischen, sondern auch bei politischen Extremisten rapide am Vormarsch, wie das jüngste Beispiel eines Treffens Rechtsextremer in Potsdam zeige, an dem auch der Österreicher Martin Sellner teilnahm. "Die Virtualisierung macht es Rechtsextremisten so leicht wie nie, sich zu verknüpfen", betont Stockhammer, der Rechtsextreme nach wie vor für die zweite große Gefahr neben dem islamistischen Terrorismus hält.

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Gefahr auch bei Links-Extremen

Gefahrenpotenzial ortet er aber auch innerhalb der politisch Linken, wo Extremisten seit längerem versuchen würden, zuerst die Klimaproteste und nun "Pro-Palästina-Demos" zu vereinnahmen. "Linksextremistische Strömungen sind in Deutschland aber viel ausgeprägter als in Österreich." Ein wesentlicher Unterschied zwischen politischem und islamistischem Extremismus sei die Auswahl der Ziele, betonte Stockhammer. Während sowohl Rechts- auch als Linksextremisten gewisse Personengruppen oder staatliche Institutionen als Ziele auserkiesen würden, würden Islamisten viel großflächiger angreifen. "Der IS oder ISPK hat sogar keine Scheu davor, Schiiten ins Visier zu nehmen."

Überwachung von Messenger-Software

Dass sich Extremisten über Ländergrenzen hinweg vernetzen, sei "fast nicht zu verhindern", meint Stockhammer. Um etwaige Terrorpläne zu vereiteln, müssten "die Adressaten an beiden Enden überwacht werden", sprach sich der Experte zum wiederholten Mal für Überwachungsmaßnahmen für den österreichischen Verfassungsschutz, konkret die Überwachung von Messenger-Diensten im Anlassfall aus, wie es in den meisten Staaten Europas möglich ist. Den ISPK in der Region Afghanistan und Pakistan zu schwächen, trage nicht automatisch zu einer Minimierung der Gefahr in Europa bei, da dieser viele Sympathisanten in Europa habe.

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Trump-Wahl als Auslöser

Begleiten werden uns Terrorwarnungen wohl auch im Jahr 2024, befürchtet Stockhammer. Das Erstarken des ISPK und der neu aufgeflammte Nahost-Konflikt, aber auch die Nachwehen der Pandemie und damit einhergegangener Unmut in der Bevölkerung sowie der Aufschwung rechtspopulistischer bzw. -extremer Parteien werden die Gefahr terroristischer Angriffe noch befeuern, befürchtet Stockhammer. Sollte Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im Herbst erneut Präsident werden, könnte das auch die Bedrohung durch Staatsverweigerer und Verschwörungstheoretiker wie QAnon in Europa befeuern. 

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