Die Regierung demonstriert Einigkeit, die Opposition höhnt.
Seit fast 100 Tagen - die Angelobung fand am 25. November 2010 statt - gibt es in der Bundeshauptstadt Wien eine rot-grüne Stadtregierung. SPÖ und Grüne haben am Dienstagabend im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Alten Rathaus eine positive Bilanz über den bisherigen Weg gezogen. Teils heftige Kritik hagelte es hingegen von den Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ.
Lob für die Zusammenarbeit
SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker lobte die gute Zusammenarbeit mit den Grünen und betonte, dass die "Affinität in Ideen" in vielen Bereichen zwischen den beiden Koalitionspartnern groß sei. Was die Stadtbewohner von der rot-grünen Zusammenarbeit halten, könnten sie beim nächsten Urnengang kund tun: "Zahltag ist der Wahltag. Das wissen wir alle", erklärte Schicker.
Auch der grüne Klubchef David Ellensohn zog eine positive Bilanz und betonte, dass seine Partei den "Riesenwechsel" von der Oppositions- in die Regierungsrolle nicht unterschätzt habe: "Ich bin sicher, wir werden die Aufgabe bewältigen." Als regierende Partei sei die Art des Arbeitens eine andere: "Jetzt hat alles mehr Gewicht als vorher." Ein Ja oder Nein müsse nun gut überlegt sein. Er versicherte, dass die Grünen "sachlich arbeiten" wollen: "Wir polemisieren nun nicht mehr."
Kritik der Opposition
Während die Vertreter von SPÖ und Grünen voll des Lobes waren, sparten die beiden Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ bei der vom Cajetan-Felder-Institut organisierten Veranstaltung nicht mit Kritik. Zum Beispiel warfen sie den Grünen vor, dass sie als Regierungspartei nicht mehr kritisch seien, sondern sich "streichelweich" gäben. FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus bezeichnete die Ökopartei gar als "machtgeil": "Die Grünen sind bereit gewesen, Grundsätze über Bord zu werfen, um Posten zu bekommen."
Insgesamt bezeichnete Gudenus die ersten 100 Tage Rot-Grün in Wien als "Vakuum": "Es hat sich fast nichts getan." Überdies mangle es der Koalition an Inhalten: "Das Regierungsübereinkommen besteht aus 77 bedruckten Zetteln mit 'No-Na'-Weisheiten."
Kaum Veränderungen
Der nicht amtsführende ÖVP-Stadtrat Wolfgang Gerstl stellte fest, dass sich trotz des Wechsels von einer SPÖ-Alleinregierung zur rot-grünen Koalition nicht viel geändert habe: "Es gibt zwar einige neue Farbtupfer, aber die SPÖ dominiert."
Gerstls Chefin, VP-Klubobfrau Christine Marek, kritisierte am Dienstagabend ebenfalls die rot-grüne Stadtregierung - allerdings bei einer anderen Veranstaltung. Sie nahm an einer Podiumsdiskussion der Politischen Akademie der ÖVP teil. Es habe Terminkollisionen gegeben, begründete Marek ihr separates Auftreten. In 100 Tagen Rot-Grün habe sich jedenfalls nicht viel getan, außer "ein paar Placebogeschichten", urteilte sie.
Keine "Duftmarken"
Es sei verabsäumt worden, in den ersten Monaten "Duftmarken" zu setzen. So wurden bisher "wichtige Fragen" wie jene der Wirtschafts-und Standortpolitik, der Arbeitsmarktpolitik und Bildung oder die Integrationsproblematik nicht angegangen.
Es sei zwar sehr früh, über die rot-grüne Regierung Bilanz zu ziehen, so Marek, aber: "Die Roten haben kein Interesse, dass sich viel ändert und die Grünen haben sehr schnell das Verhaltensmuster ihres Partners angenommen." Ihre Schlussfolgerung lautete: "Das wird uns stärken, aber ich befürchte, auch die Wiener Freiheitlichen."