Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird nach dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) mit der interimistischen Führung der Kanzler-Agenden betrauen. Das gab das Staatsoberhaupt am Montagabend in der Hofburg bekannt. Löger wird nur solange die Geschäfte führen, bis ein neuer Kanzler gefunden ist, der dann die Regierung bis zur Neuwahl im Herbst führt.
Van der Bellen gab seine Entscheidung am Montagabend bekannt, nachdem er mit den Klubobleuten der fünf Parlamentsfraktionen konferiert hatte. Die Enthebung der Regierung Kurz wird am Dienstagvormittag erfolgen, danach wird er die Minister um die interimistische Fortführung der Geschäfte bitten und Löger mit der Führung der Kanzler-Agenden betrauen - für eine kurze Übergangsfrist. Mit dem Zeitplan ist auch eine Teilnahme Lögers am informellen Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel am Dienstagabend möglich.
Die Klubobleute hatten zuvor nach ihren Unterredungen mit dem Bundespräsidenten von guten Gesprächen berichtet, sich aber weitgehend bedeckt gehalten. Lediglich, dass Van der Bellen ihnen schon Namen für die kommende Übergangsregierung genannt hat, wurde verkündet, ansonsten aber auf den Präsidenten verwiesen.
Übergangsregierung soll in einer Woche gefunden sein
Van der Bellen will nun so rasch wie möglich eine neue Übergangsregierung finden. Gefragt, ob das noch diese Woche der Fall sein wird, sagte er: "Das ist meine Absicht. Ob es gelingt, bis zum Freitag diese Einigung zu finden, kann ich nicht sagen, aber ich hoffe, dass es nicht länger als eine Woche dauert." Allfällige Namen für die geplante Experten-Regierung nannte Van der Bellen noch keine.
Die nun in einem ersten Schritt anstehende Enthebung der amtierenden Regierung wird laut Van der Bellen am Dienstag um 11.30 Uhr in der Hofburg erfolgen. "Das ist zwar kein alltäglicher, aber doch ein ganz normaler demokratischer Vorgang", so der Präsident. Unmittelbar danach wird er die Minister um die Fortführung der Geschäfte bitten und Löger mit den Kanzler-Agenden betrauen. Dass Kurz nicht mehr für eine interimistische Fortführung der Kanzler-Agenden zur Verfügung steht, war dem Vernehmen nach zwischen dem Präsidenten und dem künftigen Ex-Kanzler akkordiert.
Van der Bellen betonte in seiner live im ORF-Fernsehen übertragenen Rede, dass es wichtig sei, die in der Verfassung vorgesehenen Schritte korrekt einzuhalten. "Der Staat, die Republik Österreich muss immer funktionieren, insbesondere müssen immer alle Ministerien mit Ministern besetzt sein, um die volle Handlungsfähigkeit der Republik sicherzustellen." Die Bestellung einer neuen Bundesregierung sei "keine Angelegenheit, die man leichtfertig und überhastet angehen darf". Daher werde er von der (in der Verfassung vorgesehenen) Möglichkeit Gebrauch machen, bis zur Ernennung dieser noch zu findenden Übergangsregierung die aus dem Amt scheidenden Bundesminister mit der Fortführung ihrer Ressorts zu betrauen. "Das ist eine Art Provisorium, bis wir eine Lösung für die Übergangsregierung gefunden haben", sagte Van der Bellen.
Zur weitere Vorgangsweise bis zur Einigung auf eine Übergangsregierung sagte der Präsident, er appelliere an alle Parteien im Nationalrat, sich an der Diskussion zu beteiligen. "Es braucht einen gewissen Konsens", sagte Van der Bellen. "Ich habe schon heute Abend Gespräche geführt mit allen im Parlament vertretenen Fraktionen und werde das auch weiterhin intensiv tun." Gefragt nach Namen, die für die Übergangsregierung infrage kommen, bat Van der Bellen um Geduld, "bis wir ein Gesamtkonzept gefunden haben" - nämlich eines, das mit "einiger Wahrscheinlichkeit" nicht wieder zu einem Misstrauensvotum führt.
"Allsdann, liebe Österreicher und Österreicherinnen: Wie eingangs schon erwähnt, das ist kein alltäglicher Vorgang, in Österreich schon gar nicht - aber im Grunde genommen etwas Normales, durchaus Übliches und Mögliches". Ihn beruhige die "elegante österreichische Bundesverfassung, die uns durch diese Tage leitet", betonte der Präsident.
Kurz mit Kampfansage an FPÖ und SPÖ
Der scheidende Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat seine Partei bei seinem ersten Auftritt nach der Abwahl im Nationalrat auf den kommenden Wahlkampf eingestimmt. Er habe dem Bundespräsidenten eine "ordentliche Übergabe an die Übergangsregierung" zugesagt, berichtete Kurz am Abend vor Funktionären und Unterstützern in der ÖVP-Parteiakademie. Bis zur Wahl im Herbst, "da werden wir kämpfen".
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Kurz mit Kampfansage an FPÖ & SPÖ
"Im September entscheidet in einer Demokratie das Volk"
"Heute hat das Parlament entschieden, aber am Ende des Tages, im September, entscheidet in einer Demokratie das Volk", rief Kurz seinen Unterstützern zu, die ihn zuvor mit trotzigen "Kanzler Kurz"-Sprechchören empfangen hatten.
Kurz sicherte weiterhin Unterstützung zu
Natürlich könne man den Misstrauensantrag nach dem Ergebnis der EU-Wahl ungerecht finden, aber "nehmen wir diese Entscheidung zur Kenntnis. Das ist eine demokratische Entscheidung und für Wut, für Hass, für Trauer ist überhaupt kein Platz", appellierte Kurz. Er werde weiterhin für Veränderung eintreten: "Ganz gleich ob mit oder ohne Amt, ganz gleich ob mit oder ohne Titel. Wir haben erlebt, dass sie uns abwählen können, aber sie können sicherlich nicht die Veränderung aufhalten, die von uns ausgeht."
Rund 1.200 Anwesende
Am Nachmittag hatte die ÖVP Unterstützer zum "Public Viewing" der Parlamentsdebatte über den Misstrauensantrag geladen. Gekommen waren auf das verregnete Gelände der Parteiakademie nahe dem Schloss Schönbrunn nach Angaben der Partei rund 1.200 Funktionäre und Unterstützer, die Kurz am frühen Abend nach seiner Abwahl mit "Kanzler Kurz"-Sprechchören empfingen und nach der kurzen Ansprache zur Melodie von "Go West" mit "Steh' auf für Sebastian" verabschiedeten.
"Jetzt geht der Wahlkampf erst richtig los"
Schon zuvor hatte Generalsekretär Karl Nehammer die Partei auf den kommenden Wahlkampf eingestimmt. "Im September werden die Karten neu gemischt." Und EU-Abgeordneter Lukas Mandl: "Jetzt geht der Wahlkampf erst richtig los."
Rot und Blau wählten Kurz mit Pilz ab
In einer historischen Nationalratssitzung ist heute erstmals in der Zweiten Republik eine Regierung per Misstrauensantrag aus dem Amt gejagt worden. Die Freiheitlichen und die Liste JETZT unterstützten eine entsprechende Initiative der SPÖ. Ihre Geschäfte führen die heute vollzeitig anwesenden Minister weiter, bis der Bundespräsident einen neuen Regierungschef ernennt und der sein Team vorstellt.
Misstrauensvotum kam nicht überraschend
Überraschend war es nicht mehr, dass die früheren Koalitionspartner von VP-Chef Sebastian Kurz, SPÖ bzw. Freiheitliche, der um Experten angereicherten VP-Regierung das Misstrauen aussprechen. Bereits am Sonntagabend hatte das SP-Präsidium einstimmig den Weg geebnet, heute folgte ebenso geschlossen der Parlamentsklub. Nur rund eine Stunde später schloss sich die freiheitliche Fraktion ebenfalls einstimmig an.
"Werden nächster Regierung sicher keine Steine in den Weg legen"
Kurz hatte in seiner Rede längst die Hoffnung aufgegeben, dass noch eine Fraktion umfallen würde und betont, dass seine Partei auch im Fall seiner Abwahl einen Beitrag für Stabilität im Land leisten werde: "Wir werden der nächsten Regierung sicher keine Steine in den Weg legen sondern sie best möglich unterstützen."
Standing Ovations nach Rede für Kanzler Kurz
Das Vorgehen von FPÖ und SPÖ sah er Rachegelüsten bzw. dem Wunsch, sich für die Wahl in eine bessere Position zu bringen, geschuldet und mimte sogar Verständnis dafür. Rescher ging es VP-Klubchef August Wöginger an, der von einem Skandal sprach und die Abwahl auch in den Kontext des ÖVP-Erfolgs bei der gestrigen Europa-Wahl stellte. Bei einer Würdigungsrede für den Kanzler durch Generalsekretär Karl Nehammer riss es die VP-Abgeordneten gar von den Sesseln für Standing Ovations.
Direkte Unterstützung bekam die Volkspartei freilich von keiner anderen Fraktion, obwohl die NEOS wie angekündigt dem Misstrauensantrag ebenso die Zustimmung verweigerten wie die "wilden" Abgeordneten Efgani Dönmez und Martha Bißmann. Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger deponierte aber, dass mit den Rechtspopulisten kein Staat zu machen sei. Kurz hätte sie nie an die Schalthebel der Macht lassen dürfen.
Das war freilich harmlos im Vergleich zur SPÖ, die sich in Superlativen überschlug, was Kurz alles falsch gemacht habe, begonnen bei der Zerstörung der Sozialpartnerschaft bis zur Einführung einer 60-Stunden-Woche. Kurz habe "das Ich vor das Wir gestellt". Vertrauen könne man nicht erzwingen, das müsse man sich erarbeiten, gab sich Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner am Tag nach der historischen Wahlniederlage der Sozialdemokraten wieder selbstbewusst.
Kickl findet "verantwortungsvollen Griff nach Macht widerlich"
Die FPÖ saß für einmal im selben Boot wie die Sozialdemokraten. Ihr frisch gewählter geschäftsführender Klubchef Herbert Kickl attackierte Kurz frontal und attestierte ihm einen schamlosen, zügellosen und verantwortungslosen Griff nach Macht, was er "widerlich" finde. Klubobmann Norbert Hofer bedauerte, dass das Projekt Türkis-Blau leichtfertig aufgegeben worden sei. Dass man nun vor einer Staatskrise stehe, bestritt er. Die Regierung habe einfach keine Mehrheit mehr und eine Expertenregierung sei eine Regierung mit Experten und nicht mit Menschen, die nichts von ihrem Fach verstehen.
Alfred Noll (JETZT) rechnete mit Kurz ebenfalls ab. Er bezeichnete ihn als "vertrauensunwürdig", den mehrfachen Bruch seiner Versprechen gegenüber seinen Koalitionspartnern als "schändlich". Listen-Gründer Peter Pilz hätte zwar bevorzugt, wenn nicht alle Minister gehen müssten, dennoch entschied er sich wie der Rest seiner Fraktion für den Misstrauensantrag.
Konsens gab es am Montag nur, dass vorzeitig gewählt wird. Ein entsprechender Antrag auf vorzeitige Beendigung der Gesetzgebungsperiode wurde dem zuständigen Verfassungsausschuss zugewiesen. Als Datum für den vorgezogenen Urnengang ist vorerst nur allgemein September angegeben.
Österreich hat momentan kein Regierung. Jetzt wird an der Regierungs-Bildung gearbeitet. Damit ist jetzt Bundespräsident VdB betraut. (– alle aktuellen Ereignisse im LIVETICKER weiter unten)
Der Nationalrat hat Montagnachmittag der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Misstrauen ausgesprochen und sie damit des Amtes enthoben. Der von der SPÖ eingebrachte Misstrauensantrag wurde von der FPÖ und der Liste JETZT unterstützt und hatte damit die Mehrheit, ÖVP und NEOS votierten dagegen.
Sondersitzung - Partei-Chefs noch am Montag bei Van der Bellen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die Regierung Kurz bereits am Montagabend erste Gespräche mit Vertretern der Parlamentsfraktionen führen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wird nach eigenen Angaben in der Hofburg erwartet, auch der designierte FPÖ-Obmann Norbert Hofer hat am Abend einen Termin, bestätigte sein Büro gegenüber der APA.
Darüber hinaus dürften noch weitere Termine auf dem Programm stehen. Dem Vernehmen nach soll es am Montagabend auch zu Gesprächen zwischen dem Präsidenten und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger kommen, auch ein weiteres Treffen mit JETZT-Klubchef Bruno Rossmann steht an. Ob Van der Bellen auch mit ÖVP-Obmann Sebastian Kurz am Montag zusammenkommen wird, war vorerst offen.
Auch ÖVP-Klubchef bei Van der Bellen
Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger wird in den nächsten Stunden von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Gespräch erwartet. Das bestätigte Wögingers Büro gegenüber der APA. Auch aus der Hofburg hieß es, Van der Bellen wird noch am Abend mit allen Klubobleuten der Parlamentsparteien Gespräche führen.
Van der Bellen gibt um 21 Uhr ein Statement zur aktuellen Situation ab
Um 21.00 Uhr wird der Präsident dann eine Erklärung in der Hofburg abgeben.
Türkises "Projekt Ballhausplatz" vorerst gestoppt
So minutiös sich Sebastian Kurz auf die Kanzlerschaft vorbereitet hat, so ungewöhnlich ist mit "Ibiza-Affäre" und Misstrauensantrag ihr Ende. Mit (Stand Montag) nur 525 Tagen ist Kurz der kürzest amtierende Bundeskanzler seit 1945. Die Chancen auf Verlängerung im Herbst stehen aber gut, denn seit Kurz die ÖVP 2017 übernommen hat liegt sie in Umfragen vorn und die EU-Wahl verleiht weiteren Schwung.
Vorbereitet haben Kurz und sein Team die Kanzlerschaft durchaus detailverliebt, wie im letzten Nationalratswahlkampf aufgetauchte Unterlagen zeigen. Darin wurden schon 2016 Pläne zur Umgestaltung der ÖVP gewälzt, sowie für die ersten 100 Tage nach dem Einzug ins Kanzleramt ("Projekt Ballhausplatz").
Die SPÖ hat in der Nationalratssondersitzung wie angekündigt einen Misstrauensantrag gegen die Regierung eingebracht. SPÖ-Partei- und Klubchefin Pamela Rendi-Wagner begründete den Misstrauensantrag mit der "einzigartigen Vorgehensweise" von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), nämlich einem "zügellosen, schamlosen Griff nach Macht. Aber die Macht in unserem Land geht vom Volk aus", so Rendi-Wagner.
Sie bezeichnete es wörtlich als "ungeheuerlich", dass Kurz Zustimmung und Vertrauen einfordere. "Gerade in solchen Situationen zeigt sich wahre Führungsstärke." Aber Kurz habe "das Ich vor das Wir gestellt". Vertrauen könne man nicht erzwingen, das müsse man sich erarbeiten. Kurz trage Verantwortung für das Scheitern der Regierung. Er habe das Land zum zweiten Mal in Neuwahlen gestoßen und nach dem Scheitern von Türkis-Blau eine ÖVP-Alleinregierung installiert. Daher spreche die SPÖ ihm und seiner Regierung das Misstrauen aus.
Die Mehrheit der Abgeordneten im Nationalrat hat nun Bundeskanzler Kurz das Misstrauen ausgesprochen.