Gender
Änderungen bei Medizin-Uni-Tests gefordert
20.05.2008
Bei den Aufnahmetests für die Medizin-Unis schneiden Frauen schlechter ab, als Männer. Daran soll die Bildungssozialisation schuld sein.
Kritikpunkte von ziemlicher Schwere", über die man "nicht einfach drüberwischen kann", sieht Wissenschaftsminister Johannes Hahn (V) in der Analyse der Medizin-Aufnahmetests durch die Bildungspsychologin Christiane Spiel. Die Bildungspolitik müsse sich damit nun auseinandersetzen, so Hahn am Dienstag. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (S) geht "vollkommen d' accord, dass es zu einer größeren Outputsteuerung kommen muss". So würden etwa künftig die Bildungsstandards für eine größere Transparenz bei der Notengebung kommen.
Unterschiedliche Ergebnisse von Männern und Frauen
Die
unterschiedlichen Ergebnisse von Männern und Frauen bei den Aufnahmetests
für das Medizinstudium sind zu einem guten Teil durch unterschiedliche
Sozialisation bedingt, die in der Schule durch uneinheitliche Notengebung
weitergeführt wird. Zu diesem Ergebnis kommt die Bildungspsychologin
Christiane Spiel (Uni Wien) in einer Analyse der Auswahlverfahren. So
erbrachten Frauen bei gleichen Schulnoten deutlich schlechtere
Testleistungen als Männer. Spiel empfiehlt eine Überarbeitung und Ergänzung
der Tests, die derzeit etwa keine kommunikativen und sozialkognitiven
Kompetenzen abfragen.
Bei den Tests stehen derzeit Studien-Fähigkeiten wie medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Umgang mit Zahlen etc. im Mittelpunkt. Sowohl in Graz als auch in Wien haben Männer bei den Tests besser abgeschnitten. Spiel macht dafür etwa die "Bildungssozialisation" verantwortlich: Österreichische Frauen haben in den Auswahlverfahren insgesamt schlechtere Ergebnisse erzielt, erhielten aber davor auch in Mathe und naturwissenschaftlichen Fächern bessere Schulnoten als die Männer. Bei jüngeren Kindern gebe es noch keinen Unterschied bezüglich Interesse, Motivation und Leistung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Ab dem Jugendalter allerdings nehmen die Unterschiede zu Ungunsten der Mädchen zu.
Uni findet Tests großteils gut
Nicht mit allen Punkten
anfreunden konnten sich damit der Vizerektor für Lehre der Medizin-Uni Wien,
Rudolf Mallinger, und EMS-Entwickler Klaus-Dieter Hänsgen. Bei aller
Förderung der Soft Skills, die auch im Medizin-Studium geschehe, dürfe man
nicht vergessen, dass "der Erfolg der Medizin auf Naturwissenschaften
basiert", so Mallinger. Deshalb müsse naturwissenschaftliches Denken
auch im Zentrum der Medizinausbildung stehen - und daher sei es legitim,
dieses in den Mittelpunkt des Auswahlverfahrens zu stellen. Eine Änderung
des EMS für heuer sei nicht mehr möglich, im nächsten Jahr könnte es aber
etwaige Ergänzungen geben. Hänsgen trat dagegen auf die Bremse:
Sinnvollerweise dauere es zwei bis drei Jahre, bis eventuelle Änderungen
eingearbeitet werden könnten. Er warnte auch davor, einfach nach Kompetenzen
zu suchen, "wo Frauen besser sind und das dann in den Test aufzunehmen".
Hahn vermeidet Schuldzuweisungen
Hahn ortete an den Schulen eine
unterschiedliche Beurteilung von Mädchen und Burschen, die zu einer
"Verfälschung der Noten" und der "Fehleinschätzung vorhandenen oder nicht
vorhandenen Wissens" führe. Zu denken geben müsse, dass - bei gleichen
Schulnoten - Kandidaten mit höher gebildeten Eltern bei den Aufnahmetests
besser abschnitten. Schuldzuweisungen an die aktuellen oder bisherigen
Unterrichtsminister wollte Hahn nicht machen. Diese Dinge hätten sich
offenbar schleichend entwickelt. Allerdings müsse man nun darüber
diskutieren.
Schmied verwies auf eine seit Herbst zu diesem Thema eingerichtete Arbeitsgruppe mit dem Wissenschaftsministerium. Die Gender-Sensibilisierung sei außerdem bereits jetzt schon ein Schwerpunkt der Lehreraus- und -fortbildung und solle weiter intensiviert werden. Zu den Medizin-Aufnahmeverfahren hieß es, dass "man schon infrage stellen muss, ob ein punktuelles Testverfahren wirklich Schlüsse zulässt oder man das Verfahren nicht doch überarbeiten sollte". Bei punktuellen Verfahren sei immer Skepsis angebracht.
ÖH will Änderung
Eine "grundsätzliche Abkehr" vom
Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) bzw. eine Adaption der
Testverfahren an den Medizin-Unis sowie eine "grundlegende Reform des
Schulsystems" regt die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) an, um
"Diskriminierungen von Frauen" bei den Medizin-Aufnahmetests
entgegenzuwirken. Die Analyse der Tests durch die Bildungspsychologin
Christiane Spiel habe "erneut die dramatische Geschlechterschieflage in der
österreichischen Bildungslandschaft bewiesen", hieß es in einer Aussendung
am Dienstag. Am liebsten wäre es der ÖH aber, wenn die Zugangsbeschränkungen
an den Unis überhaupt fallen und der freie und offene Hochschulzugang
wiederhergestellt würde.
SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal sieht bei Änderungen im Schulwesen neben Schmied auch Hahn gefordert. Immerhin würden die Lehrer für AHS und zu einem guten Teil für die berufsbildenden höheren Schulen (BHS) an den Unis ausgebildet. Den EMS bezeichnete Broukal als "auf einem Auge blind". Die Grüne Frauensprecherin Brigid Weinzinger verlangte ein komplettes Abschaffen der "Frauen diskriminierenden" Medizin-Eignungstests und stattdessen die Einführung von Studieneingangsphasen. In diesen sollen die notwendigen Kenntnisse für das Medizinstudium nochmals erworben und überprüft werden können.