Der Bürgermeister von Bludenz, Simon Tschann (ÖVP), ist am Mittwoch am Landesgericht Feldkirch wegen Amtsmissbrauchs verurteilt worden.
Ein Schöffensenat sah es als erwiesen an, dass der 32-Jährige 2021 als Baubehörde eine Bauabstandsnachsicht und eine Baubewilligung für eine Wohnanlage erteilt hat, obwohl dafür nicht alle Voraussetzungen erfüllt waren und er das wusste. Er erhielt elf Monate Haft auf Bewährung und 51.000 Euro Geldstrafe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Das Urteil setzte dem Stadtchef sichtlich zu. "Ich bin absolut erstaunt, ich bin mir nach wie vor sicher, dass ich nicht schuldig bin", sagte er nach der Urteilsverkündung gegenüber Medienvertretern. Sein Verteidiger meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Tschann kündigte an, im Amt zu bleiben und bei den Vorarlberger Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen am 16. März 2025 wieder anzutreten. "Selbstverständlich" werde er das tun, sagte er. Tschann ist seit Herbst 2020 Bürgermeister der kleinsten Vorarlberger Stadt mit rund 15.000 Einwohnern. Würde die Haftstrafe zwölf Monate betragen, hätte er sein Amt automatisch verloren.
Angeklagt wurde der 32-Jährige, weil er 2021 in seiner Funktion als Baubehörde der ersten Instanz einen Baubescheid für eine aus drei Baukörpern bestehende Wohnanlage mit 23 Einheiten unterzeichnet hat, die anscheinend nicht alle gesetzlichen Auflagen erfüllte. Der Staatsanwalt führte aus, dass Kritik des Amtssachverständigen zu dem Projekt ignoriert worden sei und der Abstand des zweiten Baukörpers zur öffentlichen Verkehrsfläche lediglich 90 Zentimeter betrage - dem Amtssachverständigen seien schon 2,5 Meter zu wenig gewesen. Ob Ortsüblichkeit vorgelegen habe, sei nicht geprüft worden, eine Zustimmung des Amtssachverständigen habe es nie gegeben. "Man wollte das Projekt mit Gewalt durchbringen", stellte der Staatsanwalt fest.
Projekt-Freigabe infrage gestellt
Vorgeworfen wurde Tschann ebenso, in Stellungnahmen gegenüber dem Landesvolksanwalt und der Bezirkshauptmannschaft Bludenz falsche Angaben und die Zustimmung des Amtssachverständigen vorgetäuscht zu haben. "Dazu wurde einfach eine Sitzung erfunden, die es nie gab und in der der Sachverständige die Freigabe erteilt habe", so der Staatsanwalt. Den infrage gestellten Jour Fixe habe es sehr wohl gegeben, so Tschann und sein Verteidiger, allerdings habe man sich beim genannten Termin getäuscht. Der Jour Fixe soll am 17. Juni 2021 stattgefunden haben - zwei Tage, nachdem die Bauverhandlung ausgeschrieben worden war. Diese hätte man wohl abgesagt, hätte es im Jour Fixe kein grünes Licht für das Projekt gegeben, so Tschann.
Der Amtssachverständige seinerseits sagte vor Gericht, dass es so etwas wie eine "mündliche Freigabe" - wie sie kolportiert wurde - in so einer Angelegenheit nicht gebe. Von einer solchen habe er erst im April 2022 erfahren. Seitens der Stadt hieß es, man habe die schriftliche Dokumentation verabsäumt. Der Gestaltungsbeirat habe noch am 16. Juni Bedenken bezüglich der Dimensionen und der Gestaltung der Baukörper gehabt. In seinen Augen sei das Projekt zum damaligen Zeitpunkt "nicht frei gegeben" gewesen. Ein damals mit der Angelegenheit befasster Mitarbeiter der Baurechtsabteilung bestätigte, dass eine "direkte Freigabe" durch den Amtssachverständigen nicht erfolgt sei. Man habe nach dem Gutachten des Amtssachverständigen vom 9. Juni kleinere Projekt-Änderungen durchgeführt, beim Jour Fixe am 17. Juni hätten dann alle den Eindruck gehabt, "dass es passt".
Stadtchef unterschreibt, prüft nicht
Ganz grundsätzlich betonte Tschann, dass er ihm von der Stadtverwaltung vorgelegte Bescheide nicht prüfe, sondern lediglich unterzeichne. "Sobald der Bescheid bei mir liegt, gehe ich davon aus, dass die Grundlagen dafür von meinen Mitarbeitern geprüft wurden", so Tschann. Das gelte auch für die Stellungnahmen gegenüber dem Landesvolksanwalt und der Bezirkshauptmannschaft. Er habe diese nicht gelesen, nur unterfertigt. Anders sei das in der Praxis bei 150 Baubescheiden pro Jahr nicht möglich. Sein Anwalt betonte überdies, dass ein Bürgermeister weisungsfrei und in seinen Entscheidungen nicht an Gutachten gebunden sei.
Genau in der von Tschann geschilderten Praxis sah die Staatsanwaltschaft den Amtsmissbrauch. Es spiele gar keine Rolle, ob der Baubescheid zu recht oder zu unrecht erlassen worden sei, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Entscheidend sei, dass Tschann weder das Gutachten des Amtssachverständigen noch den Baubescheid geprüft habe. Die Verteidigung stellte diesbezüglich fest: "Wenn der Bürgermeister bei einem Baubescheid die inhaltliche Prüfung vornehmen muss, werden Sie keinen Bürgermeister mehr finden." Dazu gebe es die Fachabteilungen.
In der Urteilsbegründung folgte der Richter der Argumentation des Staatsanwalts. "Als Sie unterschrieben haben, wussten Sie, dass es eine Stellungnahme und zu überarbeitende Punkte gibt", stellte er fest. Darauf hätte er eingehen müssen. "Sie sind verpflichtet, einen Bescheid zu lesen", so der Richter. Er ging darüber hinaus davon aus, dass Tschann ihn sehr wohl gelesen habe. Letztlich wurde der Stadtchef wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beurkundung im Amt verurteilt. Die Bewährungszeit für die elfmonatige Haftstrafe beträgt drei Jahre. Die 51.000 Euro Geldstrafe (300 Tagessätze zu 170 Euro) ergaben sich aus dem Monatseinkommen von 7.000 Euro netto des Bürgermeisters. Auch die Staatsanwaltschaft meldete Berufung an.