Spionage-Affäre:

Wie Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss die Justiz seit Jahren narrt

15.04.2024

Im Mittelpunkt der Spionage-Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) steht dessen Ex-Abteilungsleiter Martin Weiss. 

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© APA/Schlager
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 Die Staatsanwaltschaft Wien sieht in ihm "Ansprechpartner und Auftraggeber" für Ex-BVT-Chefinspektor Egisto Ott, wie in dessen Festnahmeanordnung festgehalten wird. Weiss soll mit Ott für Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek im Interesse des russischen Geheimdiensts gearbeitet haben. Seit 2021 narrt Weiss die heimische Justiz.

Der frühere Spionageabwehrchef des mittlerweile aufgelösten BVT war am 22. Jänner 2021 festgenommen worden, weil es Indizien gab, denen zufolge Weiss nach Auffliegen der Wirecard-Pleite Marsaleks überstürzte Flucht vom Flughafen Bad Vöslau Richtung Russland mitorganisiert hatte. Bei Vernehmungen gab Weiss schon damals zu, von Ende 2018 bis 2020 in 25 Fällen personenbezogene Daten bzw. Überprüfungen für Marsalek angeordnet und mit deren Durchführung Ott beauftragt zu haben. Zwei Tage nach seiner Festnahme, am 24. Jänner 2021 wurde Weiss wieder auf freien Fuß gesetzt, wobei er zusicherte, für weitere Vernehmungen zur Verfügung zu stehen und allfälligen Vorladungen Folge zu leisten. Dem kam er allerdings nicht mehr nach.

Nach Dubai abgesetzt

Weiss setzte sich vielmehr nach Dubai ab - mit Unterstützung von Marsalek, wie nun Chats zwischen Marsalek und Orlin Roussev zeigen, dem Leiter einer in Großbritannien tätigen, mehrköpfigen russischen Spionage-Zelle, die Marsalek koordiniert haben dürfte, der mittlerweile für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB tätig sein soll. Die Chats wurden im Herbst des Vorjahrs von den britischen Strafverfolgungsbehörden der "AG Fama" zur Verfügung gestellt. Die aus Beamten des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention (BAK) bestehende Ermittlungsgruppe wurde Ende Juli 2020 im Innenministerium eingerichtet, um dubiose Vorgänge im BVT und in der Causa Wirecard zu beleuchten.

"Ich habe es gerade geschafft, meinen österreichischen Mann nach Dubai zu evakuieren. Das war auch ein ziemliches Abenteuer. Wir waren besorgt, dass sie ihn am Flughafen wieder verhaften würden", schrieb Marsalek am 22. Februar 2021 Roussev. Marsalek beschrieb den Ex-BVT-Abteilungsleiter dabei als "hochrangigen Terrorismusbekämpfer, also gibt es tatsächlich Leute, die ihn töten wollen". Von Dubai aus soll Weiss in weiterer Folge unter Ausnützen seiner langjährigen beruflichen Kontakte Informationen für Marsalek beschafft und seinen früheren Arbeitskollegen Egisto Ott mit Arbeitsaufträgen - etwa dem Verbringen von veruntreuten Diensthandys von Kabinettsmitarbeitern des Innenministeriums mit Amtsgeheimnissen zum Sitz des FSB in Moskau - bedacht haben.

Die "AG Fama" hält in einem Bericht, der der APA vorliegt, zur vorübergehenden Festnahme des Ex-BVT-Beamten im Jänner 2021 fest, Weiss habe sich entgegen seiner Ankündigung nach seiner Entlassung aus der Haft und Letztvernehmung am 27. Jänner 2021 "für weitere Vernehmungen nicht mehr zur Verfügung gestellt" und "keine Bereitschaft gezeigt, aus seinem Aufenthaltsort in Dubai Vorladungen zu Beschuldigtenvernehmungen als auch gesondert geführten Gerichtsverfahren Folge zu leisten". Andererseits sei er jedoch am 4. April 2022 "ohne Einbindung oder Kenntnis österreichischer Polizei- oder Justizdienststellen einer Ein- oder Vorladung zur ausführlichen Beschuldigtenvernehmung" vor der Staatsanwaltschaft München erschienen und habe dabei die vor österreichischen Polizeibeamten gemachten Angaben "widerrechtlicher Vorgehensweise der Vernehmungsbeamten" zugeschrieben und "aktuelles Wissen über den Aufenthaltsort oder Kontakte zu Jan Marsalek in Abrede gestellt". Darüber hatte das Nachrichtenmagazin "Profil" in seiner jüngsten Ausgabe berichtet.

Von Marsalek akkordiert  

 Für die "AG Fama" ist aufgrund der Unterlagen aus Großbritannien klar, "dass die Verbringung von Martin Weiss nach Dubai von Jan Marsalek akkordiert wurde" und "fortwährend weiterer Kontakt zwischen Marsalek und Weiss gehalten wurde". In Dubai war Weiss insofern sicher, als es mit den Vereinigten Arabischen Emiraten kein Auslieferungsübereinkommen gibt und ein internationaler Haftbefehl wohl allenfalls eine bloße symbolische Wirkung hätte.

Ungemütlich wurde es für Weiss allerdings, als die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ihn und weitere frühere BVT-Beamte im Zusammenhang mit der Operation "White Milk" Anklage wegen Amtsmissbrauchs erhob. Dabei ging es um den Vorwurf, das BVT habe für den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad einen General der syrischen Staatssicherheit in Österreich untergebracht und diesem trotz Fehlens der rechtlichen Voraussetzungen Asyl verschafft - ungeachtet des Umstands, dass dem General die Mitverantwortung für Folterungen von Gegnern des syrischen Regimes in Raqqa zugeschrieben wurden. Mit der konkreten Planung und operativen Umsetzung des Ganzen soll Weiss per rechtswidriger Weisung einen ihm untergebenen Referatsleiter betraut haben. Der aus seiner Heimat geflüchtete Offizier des syrischen Staatssicherheitsdienstes wurde tatsächlich am 13. Juni 2015 vom BVT an der österreichischen Grenze in Empfang genommen, mit einem Dienstfahrzeug nach Wien chauffiert und in ein Quartier gebracht. Bereits zwei Tage später stellte der General in der Erstaufnahmestelle Ost Traiskirchen einen - vorab arrangierten - Asylantrag.

"White Milk"

Ab 14. April 2023 wurde die Operation " White Milk" am Wiener Landesgericht verhandelt. Weiss stellte sich jedoch - im Unterschied zu seinen Ex-Kollegen, die nach dreimonatiger Verhandlung am Ende rechtskräftig freigesprochen wurden - diesem Verfahren nicht. Kurz vor Verhandlungsbeginn legte sein Anwalt nämlich einen Patientenbrief vor und machte geltend, Weiss sei aufgrund einer Erkrankung weder verhandlungs- noch transportfähig. Die WKStA beantragte darauf hin, man möge dieses Vorbringen medizinisch überprüfen lassen.

Dem kam das Gericht auch nach, wie die Sprecherin des Wiener Landesgerichts, Christina Salzborn, auf APA-Anfrage erklärte. Eine Gerichtsmedizinerin habe aufgrund der ihr übermittelten Unterlagen den Schluss gezogen, dass von Weiss behauptete postoperative Beschwerden allein nicht ausreichten, um eine Transportunfähigkeit zu begründen. Die Sachverständige sei von Reisefähigkeit ausgegangen. Daraufhin habe Weiss über seinen Anwalt auf seine angeschlagene psychische Gesundheit verwiesen, dem Ersuchen, diese näher darzutun, wurde aber nicht mehr entsprochen. Weiss bzw. sein Rechtsvertreter gaben keine Stellungnahme mehr ab.

Schließlich brach sogar der Kontakt zu Martin Weiss ab. Wie aus Justizkreisen zu hören ist, soll Weiss nicht mehr erreichbar sein, seit sein Anwalt, der ihn in Causa "White Milk" vertreten hat, im Vorjahr das Vollmachtsverhältnis gelöst hat. Die WKStA beantragte im Zusammenhang mit dem Operation "White Milk"-Verfahren beim Wiener Landesgericht schließlich sogar die Erlassung einer Festnahmeanordnung, da man zunächst die Freisprüche für die Mitangeklagten bekämpft hatte und auch des abgetauchten und gen Dubai entschwundenen Ex-Spionageabwehrchefs zum Zwecke der Strafverfolgung habhaft werden wollte. Über diesen Antrag, der sich rein auf das Amtsmissbrauch-Verfahren, nicht aber auf die seit 2021 bei der Staatsanwaltschaft Wien laufenden Ermittlungen gegen Weiss bezog, wurde aber vorerst nicht entschieden, da die WKStA ihre ursprünglich angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde gegen die erstinstanzlichen Freisprüche zurückzog.

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