"Teufelskreis"
Alarmierend: 16.000 Kärntner leben in Armut
03.07.2024Die Kärntner Armutsstudie wurde dieser Tage präsentiert: 49.000 Menschen sind armutsgefährdet!
Armut entsteht oft schon im Kindesalter und vor allem im ländlichen Bereich ist mehr Betreuung für Arme und armutsgefährdete Menschen nötig. Das sind Ergebnisse der Kärntner Armutsstudie, die am Mittwoch in Klagenfurt präsentiert wurde.
In Kärnten sind 14 Prozent der Menschen, beziehungsweise 79.000 Personen, armutsgefährdet, haben also ein Einkommen von unter 60 Prozent des Medians. Drei Prozent der Menschen oder 16.000 Personen leben in manifester Armut. Allerdings, wie Sozialwissenschaftlerin und Studienautorin Evelyn Dawid sagte: "Nur 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Sozialhilfebezieher. Armut ist also mehr als der Bezug von Sozialhilfe, und zwar ein kompliziertes, umfassendes Phänomen."
In der Studie des Kärntner Netzwerks gegen Armut und soziale Ausgrenzung und des Landes Kärnten wurden unter anderem 18 ausführliche biografische Interviews mit Armutsbetroffenen geführt, außerdem flossen 315 Fragebögen mit Antworten von Sozialexperten, etwa von Non-Profit-Organisationen, Ämtern und Behörden, mit ein. Dabei hätten sich mehrere Muster herauskristallisiert: "Armut beginnt häufig sehr früh im Leben. Mit einer bestürzenden Häufigkeit habe ich von häuslicher Gewalt gehört: Entweder waren die Armutsbetroffenen selbst betroffen oder Zeugen davon. Außerdem spielen Suchterkrankungen in der Familie, besonders in Bezug auf Alkohol, eine Rolle", so Dawid. Sie betont aber: "Das sind Risikofaktoren, keine Automatismen. Sie steigern das Risiko."
Teufelskreis der Armut
Auch Migration sei ein Punkt, der das Armutsrisiko steigere. Und Schulden würden auch für Angehörige der Mittelschicht das Risiko erhöhen, etwa wenn man ein Eigenheim baut, krank wird oder in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt ist.
Nicht selten, so Dawid, komme es zu einem "Teufelskreis der Armut": Erst der Jobverlust, dann längere Arbeitslosigkeit, AMS-Maßnahmen und ein erneuter Eintritt in den Arbeitsmarkt, aus dem Betroffene dann wieder herausfallen. Häufig leiden Armutsbetroffene auch unter psychischen Beeinträchtigungen - entweder schon vor der Armut oder auch ausgelöst durch diese.
Vor besondere Probleme werden Armutsbetroffene gestellt, die im ländlichen Raum wohnen: "Da hat man ein Problem, wenn man in Armut gerät. Es gibt wenig Hilfsangebote, wenige öffentliche Verkehrsmittel, auf die man angewiesen ist, gleichzeitig ist leistbarer Wohnraum oft rar. Und oft wissen die Leute nicht, wo sie Hilfe suchen sollen", sagte Dawid.
Allgegenwärtige Teuerung
Allgegenwärtig sei auch die Teuerung, so die Studienautorin: "72 Prozent der Expertinnen und Experten haben angegeben, dass ihre Klienten sich am Ende des Monats keine Lebensmittel mehr leisten können." Weiters hätten 75 Prozent der Befragten gemeint, dass ihre Klienten Probleme in der Alltagsorganisation haben: "Geldmittel allein sind also nicht die Lösung."
Armutsnetzwerk-Obmann Christian Eile betonte, Qualifizierungsmaßnahmen seien sehr wichtig. "Aber es wird eines oft außer Acht gelassen: Armutsbetroffene sind wegen der Umstände, die belastend sind, oft nicht in der Lage, diese auch anzunehmen." Schulden, Mietrückstände, Probleme mit der Kinderbetreuung, schlechte psychische oder physische Gesundheit würden oft dazu führen, dass Qualifizierung nicht in Anspruch genommen werden könne.
Wichtig sei auch eine bessere soziale Absicherung von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit und Ein-Personen-Unternehmen. Die Präventionsnetze seien zwar gut ausgebaut. "Aber manche Maßnahmen sind nicht aufeinander abgestimmt." Er würde sich wünschen, dass sich Institutionen und Ressorts besser miteinander vernetzen. "Im Alltag der Beratungen begegnen wir oft Menschen, die in der Vergangenheit eine hohe Anzahl von verschiedenen Unterstützungen erhalten haben. Wenn eine Maßnahme endet, dann endet auch oft die professionelle Beziehung mit den Betreuern." Hier würde er sich mehr Kontinuität wünschen.
Anregungen positiv aufgenommen
Die zuständigen Referentinnen des Landes, Gabriele Schaunig, Beate Prettner und Sara Schaar (alle SPÖ), nahmen die Anregungen positiv auf. Schaar versprach, mit der Kinder- und Jugendhilfe stärker in die Regionen zu gehen. Prettner betonte die Erfolge durch die Pflegenahversorgung in den Gemeinden. Und Schaunig forderte einmal mehr, dass die öffentliche Hand auch bei privaten Mieten eingreifen könne und signalisierte die Bereitschaft, Kärnten zu einer Pilotregion für eine Kindergrundsicherung zu machen. Nicht zuletzt dürfe man auch nicht auf Menschen vergessen, die sich oft nicht einmal mehr Heilbehelfe wie neue Brillen oder Zahnprothesen leisten könnten.