Der Betriebsrat droht wegen Personaleinsparungen mit Streik.
Der Publikumsrat des ORF hat in seiner Sitzung am Montag, einstimmig eine Resolution angenommen, in der das Strategie-und Strukturkonzept der Senderleitung als "nicht ausreichend" bezeichnet wird. Ein besonderer Kritikpunkt waren geplante Auslagerungen von Teilen des Kinderprogramms.
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hatte den Räten seine Pläne für die Entwicklung des ORF bis 2015 präsentiert und dabei gemeint, man müsse in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation "realistische Ziele setzen".
Mitarbeiter müssen umlernen
Wrabetz will daran arbeiten,
die Markt-, Themen-, Qualitäts- und Kostenführerschaft beizubehalten. Dabei
helfen soll die Forcierung der Trimedialität (Verschränkung von TV, Radio
und Internet). Um dies durchzusetzen, sollen sich künftig die Workflows
gravierend ändern. Statt über Landesstudios und Medien-Gattungen getrennt zu
produzieren, denkt Wrabetz an einen "trimedialen Newsroom", in dem
ein Team die verschiedenen Plattformen und Produkte bespielt. Vertriebswege
wie Video on Demand oder Content für Handy-TV soll vorangetrieben werden.
Die separate Online-Direktion fällt im Zuge der Verzahnung von Online- und
Kernmedien weg.
Betriebsrat droht mit Kampfmaßnahmen
Wrabetz scheint bei
seinen Sparplänen für ein ausgeglichenes Konzernergebnis weiter an der
Personalschraube zu drehen. Das drang Montagnachmittag durch. Es seien
Personaleinsparungen geplant, die über die bereits präsentierten Pläne
hinausgehen, sagte der teilnehmende Zentralbetriebsratsobmann Gerhard Moser
zu Journalisten. Für ihn ist nun "alles möglich": "Von
Verhandlungen über Protest bis Kampfmaßnahmen".
"Wrabetz wäre gut beraten gewesen, vom sogenannten Szenario 4 (der letzte unterbreitete Sparplan, Anm.) abzurücken. Stattdessen hat er es weiter verschärft", so Moser. Die Zentralbetriebsräte werden kommende Woche in einer Klausur über das weitere Vorgehen beraten.
Nullohnrunde
Nach wie vor halte Wrabetz an der Nullohnrunde für
2010 fest. Beim Personalabbau könnte es neben dem bereits seit dem Vorjahr
laufenden "250er-Paket" (Stellen, die im Laufe von drei Jahren
abzubauen und nicht mehr nachzubesetzen sind) und dem "Handshake"-Modell
noch einen weiteren Personalabbau geben, sagte Moser. Umfang und Art
benannte der Betriebsrat jedoch vorerst nicht.
Eigene Chefs für ORF1 und 2
Das Management des Konzerns
solle sich eng am Kerngeschäft (Contentproduktion) orientieren. "Da
sollten wir unsere Struktur überprüfen", so Wrabetz. Er plant
einen Fernsehdirektor und darunter zwei Channel Manager (je einen für ORF 1
und ORF 2). Anders als im Radio gibt es für die beiden TV-Kanäle keine
getrennten Ansprechpartner. Stärker einbezogen in die Konzernproduktion soll
der Content der Landesstudios werden und zwar dort, wo diese diverse Inhalte
günstiger erstellen, sagte der Senderchef.
TV-Programme schärfen
Im Umfeld des steigenden Wettbewerbs
am Fernseh-Markt müssten die TV-Programme des ORF in nächster Zukunft mehr
geschärft werden, so Wrabetz. Insbesondere betrifft das den
Unterhaltungskanal ORF 1, dem die meiste internationale Konkurrenz
gegenübersteht. Laut Wrabetz' Strukturkonzept bis 2015 wird dieser Kanal
künftig bessere Infoleisten mit Servicecharakter für das jüngere Publikum,
mehr Eigenprogramme, eine eigene Magazinwelt sowie Events mit Live-Charakter
(Sport und Shows) liefern.
Punkto Spartenkanäle fasst Wrabetz neben den beiden bestehenden (ORF Sport Plus und Drittelfinanzierer von 3sat) zwei weitere Optionen ins Auge: Ein Kultur- und Infokanal unter dem derzeitigen Arbeitstitel "ORF Info Plus" sowie eine Kooperation mit dem Kinderkanal KiKA. Wrabetz' Zeitpunkt dafür: "Wenn wir Geld haben."
"Nicht genügend"
Dem Publikumsrat gehen die
Reformpläne des Generaldirektors zu wenig weit. Das vorgelegte Strategie-
und Strukturkonzept reiche nicht aus, die finanziellen und
programmstrategischen Herausforderungen zu bewältigen, heißt es in einer
einstimmig angenommenen Resolution (eine Enthaltung). Einer der Kritikpunkte
betrifft die Einspar- und Auslagerungspläne beim Kinderprogramm,
insbesondere die von Wrabetz vorgeschlagene Kooperation mit dem Kinderkanal
KiKA. Die Räte bemängeln, dass dieses Programm eine Reichweite von lediglich
57 Prozent erzielt. Sie sehen daher den Programmauftrag gefährdet.
Gebührenbefreiungen
Einmal mehr bemängelte der Publikumsrat
in der Resolution außerdem die Haltung der Politik, die dem Sender
Einnahmenausfälle durch die Gebührenbefreiungen bis dato nicht refundiert.
Kritisiert wurde auch, dass die Programmentgelte, die die Seher zahlen
müssen, mit "Zuschlagsabgaben von Bund und sieben Ländern behaftet
sind".
Vorwürfe, beim Kinderprogramm den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu vernachlässigen, dementierte Wrabetz. Es gehe nicht um Einschränkungen beim Eigenprogramm, sondern lediglich bei den zugekauften US-Sendungen. Einen anderen Mangel, der abseits der Resolution vom Rat eingebracht wurde, nahm Wrabetz hingegen selbstkritisch zur Kenntnis: Die Frauenförderung wurde im Zukunfts-Konzept nicht angesprochen, gab der Sender-Chef zu. Hier liege noch ein weiter Weg vor dem ORF.
Am Nachmittag wird Wrabetz vor dem Finanzausschuss des Stiftungsrates sein überarbeitetes Sparkonzept präsentieren.
Verlust könnte auf 60 Mio. Euro steigen
Die schlechte
Werbekonjunktur trifft den ORF härter als kalkuliert. Im ersten Quartal
liegen die Einnahmen mindestens fünf Millionen Euro unter Plan, schreibt das
Wirtschaftsmagazin "trend". Demnach droht ohne zusätzliche
Sparmaßnahmen ein Minus von 50 bis 60 Millionen Euro statt des budgetierten
Jahresverlusts von 39 Millionen Euro. In der ORF-Geschäftsführung will man
die Zahlen weder bestätigen noch kommentieren.
Der Sparkurs beim Personal soll aber nun forciert werden. Insbesondere die Annäherung der alten, teuren Dienstverträge an jene des Kollektivvertrags aus dem Jahr 2003 soll beschleunigt werden. Dass das 15. Monatsgehalt der Alt-ORF-ler zur Disposition steht, verneint Zentralbetriebsratschef Gerhard Moser allerdings: "Ich kenne bisher nur Überschriften." Der Jahresverlust 2008 in der Höhe von fast 80 Millionen Euro ist offenbar nur wegen der Aufwertung des ORF-Anteils an den Lotterien nicht höher ausgefallen - laut trend-Informationen hätte er sonst bei 118 Millionen Euro gelegen.