Der Listengründer spricht von 'Totalversagen' von BVT und ÖVP. Er will eine parlamentarische Untersuchung.
Österreich hat einen neuen Geheimdienst-Skandal. Dieses Mal geht es um Abhör-Attacken seitens des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND). Laut Recherchen des „profil“ und „Der Standard“ sollen im Zeitraum zwischen 1999 und 2006 rund 2.000 Anschlüsse in Österreich vom deutschen Geheimdienst überwacht worden sein.
"Totalversagen"
Ein massiver Vertrauensbruch zwischen den „befreundeten Ländern“, der nun auch die Innenpolitik aufwühlt. Die Liste Pilz holte bereits zum Rundumschlag gegen BVT und ÖVP aus. In einer Aussendung spricht man von einem „Totalversagen“. In den letzten drei Jahren habe das BVT in der Aufklärung der Massenspitzelung über Internet und Telefon nichts unternommen, so der Vorwurf der Liste Pilz. Laut ihrer Schlussfolgerung könne dies nur zwei Gründe haben. Entweder der Verfassungsschutz wollte nicht oder er durfte nicht.
„Unter den Augen von ÖVP-Innenministern und Verfassungsschützern können BND, NSA und CIA bis heute in Österreich tun und lassen, was sie wollen!“, wird Listengründer Peter Pilz in der Aussendung zitiert. Er fordert nun, dass die Geschehnisse in einem parlamentarischen U-Ausschuss aufgearbeitet werden.
2.000 Anschlüsse überwacht
Der deutsche BND hat zwischen 1999 und 2006 systematisch die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht. Laut einer dem Nachrichtenmagazin "profil" und der Tageszeitung "Der Standard" vorliegenden BND-internen Datei wurden in diesem Zeitraum insgesamt 2.000 Telefon-, Fax- und Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen in Visier genommen.
"Der BND nahm Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier", schreibt "Der Standard" in seiner Samstag-Ausgabe. Besonderes Augenmerk sei auf die in Wien angesiedelten internationalen Einrichtungen gelegt worden. Auch die Austria Presse Agentur - und zwar ein vom BND der Außenpolitischen Redaktion zugeordneter Faxanschluss - habe sich unter den Spähzielen befunden. Die abgefangenen Informationen seien mit anderen Geheimdiensten - etwa der US-amerikanischen NSA - geteilt worden. Das zeige die Liste sogenannter Selektoren, die den beiden Medien vorliegt.
Selektoren, erklärt "Der Standard", sind "Suchbegriffe, mit denen der BND in Datenströmen nach relevanten Inhalten sucht." Taucht bei den untersuchten Daten "beispielsweise die E-Mail-Adresse eines Terrorverdächtigen auf, die als Selektor ausgewählt wurde, springt das System an." Dann könnten "Agenten nachsehen, wann die Zielperson mit wem wie lange kommuniziert hat." Noch sei nicht geklärt, ob auch Inhaltsdaten erfasst wurden, bei Fax-Geräten könnte dies aber der Fall sein. "Mehr als die Hälfte der nicht ganz 2000 Einträge entfällt auf Faxnummern", heißt es im Voraus-Bericht des "profil".
Wirtschaftsspionage?
Besonders brisant ist, dass sich zahlreiche Firmen auf der Liste befinden - österreichische ebenso wie Dependancen internationaler Unternehmen. Es stelle sich die Frage, "ob der BND über seine Zielaufgaben hinaus auch Wirtschaftsspionage in Österreich betrieben hat, um Deutschland einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen", schreibt der "Standard". "Das wäre auch nach deutschem Recht unzulässig". Aber auch die anderen Ziele "lassen sich nur teilweise durch das Aufgabenprofil des Bundesnachrichtendienstes erklären."
BND will sich nicht äußern
Die Datei wurde "profil" und "Standard" von einer deutschen Quelle zugespielt. Ihre Authentizität sei von mehreren Seiten bestätigt worden, schreibt das "profil". Österreichische Ziele seien beim BND überproportional stark vertreten gewesen. Das BND wollte sich gegenüber den Journalisten nicht äußern: "Zu operativen Aspekten seiner Arbeit berichtet der Bundesnachrichtendienst grundsätzlich nur der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages", hieß es aus dem BND auf eine entsprechende Anfrage.
Bereits 2015 war bekannt geworden, dass der BND "befreundete Länder" aus aller Welt gezielt ausspioniert haben soll. Darunter befanden sich auch viele Innenministerien - neben jenen der USA, Polens und Dänemarks auch das in Wien, wie der "Spiegel" damals berichtete. Überwacht wurden zudem Botschaften und Konsulate in Deutschland, darunter ebenfalls jene Österreichs.