Nachdem die SPÖ mit Kanzler Gusenbauer und Parteichef Faymann nun eine Doppelspitze hat, will die ÖVP "die Lage neu bewerten".
Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer reagierte vorerst demonstrativ zurückhaltend auf die Personalrochaden beim Koalitionspartner SPÖ. Er glaubt allerdings nicht, dass die Entscheidung, das Amt des Bundeskanzlers von dem des Parteichefs zu trennen, "das Problem der SPÖ" löst.
Aus für die Koalition?
Wie die Volkspartei nun vorgehen
will, ist unklar. "Ich werde zusammen mit meinen Freunden diese
Situation neu bewerten und danach zu dieser Bewertung Stellung nehmen",
sagte Molterer am Montagnachmittag. Ob diese Neubewertung in Neuwahlen
mündet, ließ der ÖVP-Chef offen.
Wer ist der Ansprechpartner?
Auch der Generalsekretär der
Volkspartei, Hannes Missethon, sieht die Krise beim Koalitionspartner
prolongiert. Für ihn sei die Situation noch unklarer geworden. "Wer
ist eigentlich der Chef in der SPÖ?", fragte Missethon am
Dienstag. Als Beispiel nannte er die Pensionsautomatik. Das Paket hatten
Noch-Parteichef Alfred Gusenbauer und Sozialminister Erwin Buchinger
ausverhandelt, Neo-Chef Werner Faymann hat es genauso wie das rote
Parteipräsidium abgelehnt.
Warten bis zum 7. Juli
Wie Molterer fand auch Missethon, dass
die ÖVP nun die Situation in der Regierung "neu bewerten"
müsse. Noch will er nicht sagen, ob die ÖVP einen Kanzler Faymann
akzeptieren würde. Die Volkspartei will offenbar noch das nächste
SPÖ-Präsidium am 7. Juli abwarten.
Sticheln aus Niederösterreich
Nadelstiche kamen wie gewohnt
auch aus Niederösterreich. ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll glaubt nicht,
dass die Doppelspitze funktionieren kann. Es sei zu befürchten, dass die
Regierungsarbeit irritiert werde, so der Landesfürst am Dienstag. Er hoffe
aber , dass die SPÖ trotz ihrer Schwierigkeiten zur Arbeit zurückfinde.
Freude über Kalina-Abgang
Der Präsident des
ÖVP-Bauernbundes, Fritz Grillitsch, hält die Einführung einer roten
Doppelspitze für "ein Zeichen großer Ratlosigkeit. Bisher haben
alle SPÖ-Spitzenleute eine Funktionstrennung Kanzler - Parteichef strikt
abgelehnt." Die Ablöse Josef Kalinas als Parteigeschäftsführer freut
Grillitsch. Kalina habe immer wieder gerne unpassende Vergleiche mit NS-Zeit
und Ständestaat aufs Tapet gebracht und viel böses Blut zwischen den
Koalitionsparteien gemacht.
SPÖ "zieht an einem Strang"
Von den wenigsten
Mitgliedern des SPÖ-Präsidiums gab es nach der Sitzung eine Stellungnahme.
Die meisten verließen die Parteizentrale in der Löwelstraße durch den
Seiteneingang. Nur Sozialminister Erwin Buchinger meinte, man habe sich
darauf verständigt, von nun an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Der neuen
Doppelspitze kann auch der steirische Landeshauptmann Franz Voves etwas
abgewinnen, da der Bundeskanzler sich nun "noch stärker auf die
Regierungsarbeit konzentrieren" könne. Der oberösterreichische SPÖ-Chef
Ericht Haider will der Doppelführung eine Chance gegen, "solange
sie sich bewährt".
Opposition kritisiert Personalentscheidungen
Nichts Positives
findet die Opposition an den Personalentscheidungen der Roten. Die Grüne
Bundesgeschäftsführerin Michaela Sburny sieht "keine
Erneuerung an der SPÖ-Spitze, sondern mehr Alt-Establishment, mehr
Abgehobenheit" und den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Alfred
Gusenbauers. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache konstatierte ebenfalls eine "tiefe
Demütigung Gusenbauers" und eine Prolongierung des Leidens, aber
keine Lösung. Und BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz sprach von einer
scheibchenweisen Hinrichtung Gusenbauers, der nur mehr "Kanzler auf
Abruf" sei.