Scheidender Finanzminister lässt Frage nach EU-Defizitverfahren offen
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), der in zwei Wochen als EU-Kommissar nach Brüssel wechselt, verteidigt zum Abschied die kurz nach der Nationalratswahl nach oben korrigierte Defizitprognose. "Die budgetäre Situation ist mehr als ernst zu nehmen, keine Frage", dennoch solle man "seriös" und "sachlich" analysieren, übte Brunner vor Journalisten auch Kritik an Experten. Ob er mit einem EU-Defizitverfahren rechnet, ließ Brunner offen.
Das Finanzministerium hatte Anfang Oktober seine Defizitprognose für das Budget des Jahres 2024 auf 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöht - es bewegt sich damit über der Maastricht-Grenze von drei Prozent. Die Wirtschaftsforscher von Wifo und IHS rechneten zuletzt gar mit 3,7 bzw. 3,5 Prozent des BIP.
Massive Kritik
Nicht nur von der Opposition wurde Brunner ob der kurz nach der Wahl nach oben korrigierten Defizitprognosen gescholten. Die Erstellung solcher Prognosen sei "ein extrem aufwendiger Prozess", konterte er vor Journalisten. Es sei normiert, auf welcher Grundlage sie erstellt und wann sie veröffentlicht würden - dieser Prozess sei immer der gleiche, "egal, ob Wahlen sind oder nicht". Die Krisen der vergangenen Jahre hätten in allen Haushalten in Europa ihre Spuren hinterlassen, "und ja, die budgetäre Situation ist mehr als ernst zu nehmen, keine Frage", räumte Brunner ein. Aber man sollte "seriös" analysieren, fügte er hinzu.
Es sei natürlich wichtig, "seriöse Experten" zu haben, auf die man sich verlassen könne und die Impulsgeber für die Politik seien, meinte Brunner. "Ich stehe Diskurs, wenn er sachlich ist, auch nicht entgegen", aber es müsse gleichzeitig auch klar sein, dass die Themen oft auch "komplexer sind, als es für manche ausschaut", richtete der Minister seinen Kritikern aus. Auch die Prognosen der Wirtschaftsforscher - die das Fundament für die Politik seien - hätten schließlich immer wieder geändert und auch nach unten revidiert werden müssen, in unsicheren Zeiten seien Prognosen eben schwierig.
Zur Zeit der Budgeterstellung im Herbst 2023 sei das Wifo noch von 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum ausgegangen, mittlerweile von minus 0,6 Prozent, und das bewirke schon ein höheres Defizit von rund einem Prozentpunkt, erklärte Brunner. Weitere Faktoren für die Erhöhung der Defizitprognose seien etwa die Erhöhung des Klimabonus oder die Bekämpfung der Hochwasserschäden gewesen.
Der Fiskalrat erwartet jedenfalls ein Defizitverfahren der EU. Brunner ließ die Frage offen: Das hänge von den Maßnahmen ab, die die nächste Bundesregierung setzen werde. Wenn man in den kommenden Tagen die Rohdaten der EU-Kommission sehe, könne man den Konsolidierungsbedarf abschätzen.
Man habe sehr viel Geld für die Krisenbekämpfung in die Hand genommen, gestand Brunner zu. Damit habe man aber beispielsweise die Existenz von "unzähligen Unternehmen gesichert". Der budgetäre Ausnahmezustand der vergangenen Jahre dürfe sich aber nicht zum Normalzustand entwickeln, man müsse weg vom "Anspruchsdenken", befand Brunner einmal mehr. Auch sonst war der Finanzminister kurz vor seinem Ausscheiden aus der Regierung nicht um Tipps für seinen Nachfolger verlegen: Man müsse sich "dringend den Status quo ansehen", wie man das bestehende System "effizienter" gestalten, Steuergeld "treffsicher" einsetzen und "Doppelgleisigkeiten" abbauen könne. Gefragt, was ihn als Finanzminister davon abgehalten hat, genau das selbst umzusetzen, versicherte Brunner, dass man durchaus Maßnahmen zur Effizienz gesetzt habe.
Potenzial ortete Brunner etwa bei Förderungen, denn "nicht jeder Euro ist gut investiert". Er hätte denn auch bei der einen oder anderen Maßnahme der vergangenen Jahre "noch stärker auf Treffsicherheit geschaut", sagte der Noch-Finanzminister.
Wann genau er sein Ministeramt übergibt, wollte Brunner nicht kundtun. Er werde das in den nächsten Tagen mit dem Bundespräsidenten und dem Kanzler besprechen. Wer ihm nachfolgt, sei nicht seine Entscheidung, so Brunner.
Für die Angelobung des zwischenzeitlichen Finanzministers - man geht von Sektionschef Gunter Mayr aus - soll dem Vernehmen nach möglichst auf eine Rückkehr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach dessen Bandscheiben-Operation Rücksicht genommen werden. Ziel wäre es allerdings nach APA-Informationen, dass Brunners Nachfolger bei der Nationalratssitzung am kommenden Mittwoch bereits auf der Regierungsbank Platz genommen hat.
(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 1371-24, 88 x 82 mm)