Neuer Bundeskanzler
Kern: So will er die Regierung retten
17.05.2016
Mit dem 50-jährigen ehemaligen ÖBB-Chef soll eine neue SPÖ-Ära beginnen.
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„Wenn wir dieses Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit weiter liefern, haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall“, rechnete der neue Kanzler am Dienstag mit seinen Vorgängern ab. Gestern präsentierte Christian Kern vier neue Regierungsmitglieder und stellte sich um 14.28 Uhr erstmals der Öffentlichkeit. Der neue Regierungschef und SPÖ-Chef möchte die SPÖ „wieder zur stärksten Kraft machen“ und sieht „die letzte Chance“ für beide Parteien angebrochen. Am Dienstag um 17 Uhr wurde Kern als Kanzler angelobt.
Gretchenfrage
Doch wofür steht der neue Regierungschef und SPÖ-Obmann? Die Gretchenfrage der SPÖ – Koalition mit den Blauen ja oder nein – beantwortete der neue Regierungschef zwar nicht eindeutig. Aber seine Abneigung gegen die FPÖ – „Wir werden nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, die gegen Menschen und Menschlichkeit hetzt!“ – war offensichtlich. Er will einen „Kriterienkatalog“ für Koalitionen erarbeiten.
Seitenhieb
Der 50-jährige Ex-ÖBB-Chef will der ÖVP „einen New Deal anbieten, um Österreich wieder zukunftsfit zu machen“. Von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner – mit dem er sich gestern bereits traf und heute seinen ersten Ministerrat absolvieren wird – habe er „einen sehr, sehr guten Eindruck“. Jene in der ÖVP, die mit Neuwahlen spielten, erinnern ihn „an Selbstmordattentäter, die sich einsam in einer Telefonzelle sprengen“. Ein Seitenhieb auf VP-Klubchef Lopatka?
Signale
In der sensiblen und für die SPÖ so spaltenden Frage der Asylpolitik sendete der ehemalige Sprecher im SPÖ-Klub eher Signale an die Humanisten in seiner Partei: „Natürlich hat die Frage massive soziale Auswirkungen. Aber mein Projekt ist es, die Hoffnung zu nähren und nicht die Sorgen und Ängste, die die Menschen haben.“ Der laut Eigendefinition „frischgebackene Politiker, der mit politischen Ritualen und Sprache“ nicht vertraut sei, möchte die zwei Lager in seiner Partei einen. Daher habe er SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (rechtes Lager) und Muna Duzdar (linkes Lager) als Staatssekretärin in seinem Team.
Rettung
Für seinen Vorgänger – Werner Faymann trat letzten Montag zurück – hatte er wenig schmeichelnde Worte über: „Diese Inhalte, diese Inhaltlosigkeit, die wir in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben, waren für mich der Antrieb, das Amt anzunehmen.“
Kern – er holt ein paar unkonventionelle Köpfe, behält aber mit Doskozil, Oberhauser und Stöger drei Regierungsmitglieder des Kabinetts Faymann – will seine Chance nutzen. Ob es ihm gelingt, die Regierung zu retten?
Isabelle Daniel
1. Interview mit Kern in der »ZiB 2«
Im ORF-Talk bekannte sich Christian Kern zur Asyl-Obergrenze und Integration.
- Kern über Asyl: „Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten. Auf der anderen Seite gibt es ein berechtigtes Sicherheitsinteresse und ein Bedürfnis der Bürger nach Ordnung.“
- ... über die Obergrenze: „Zu diesem Plan stehe ich. Wir müssen den Fokus aber viel stärker auf die Frage richten: Wie integrieren wir die Menschen, die schon da sind? Und das ist auch im Interesse der Österreicher“
- ... über die FPÖ: „Angesichts der eskalierenden Rhetorik halte ich die FPÖ auf Bundesebene für keinen Koalitionspartner. Angesichts der Einstellungen, die die FPÖ zuletzt verbreitet hat, ist es ein langer Weg, bis wir uns denkmöglicherweise einmal zusammenfinden können.“
- ... über Van der Bellen: „Ich habe ein klares Bekenntnis, dass ich Van der Bellen für einen fähigen Bundespräsidenten halte.“
1. Rede des Kanzlers: ›Will einen New Deal‹
Der neue SPÖ-Chef rechnete in Antrittsrede mit Vorgängern ab und will Neustart.
- Christian Kern über seine Gefühlslage: „Die letzten 72 Stunden waren eine besonders intensive Zeit. Ich habe einen Schnellkurs über politische Rituale gemacht. Ich versuche gerade, meine Lockerheit wiederzugewinnen.“
- … über die politische Lage: „Wenn wir dieses Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit weiter liefern, haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall. Bis das Vertrauen in der Bevölkerung restlos verbraucht ist.“
- … über einen neuen Stil: „Es macht keinen Sinn, dem anderen keinen Millimeter Erfolg zu gönnen. Bei jeder Idee, die der andere versucht, konstruktiv zu entwickeln, von vornherein Njet zu sagen. Wir werden unsere Hand ausstrecken.“
- … über die SPÖ: „Wir müssen uns öffnen, die Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen.“
- … über seine Pläne: „Wir schlagen der ÖVP einen ,New Deal‘ für Österreich vor. Wir wollen schauen, wie wir gemeinsam Investitionen ankurbeln können und zu mehr Jobs kommen.“
- … über Querschüsse aus der ÖVP: „Als Bahnchef bin ich geeicht, was pararationale Diskussionen betrifft (…). Manchmal habe ich das Gefühl, da gibt’s Leute, die sind politische Selbstmordattentäter, die sich einsam in einer Telefonzelle in die Luft sprengen.“