AKW Temelin
Chancen bei Klage gering
07.12.2006
Die Chancen auf ein internationales Gerichtsverfahren bei einer Verletzung des Melker Abkommens sind "äußerst gering".
Das sagte der Völkerrechtler Franz Leidenmühler von der Johannes Kepler Universität Linz am Donnerstag. Zudem betonte der Experte, dass es sich bei der in Brüssel abgeschlossenen bilateralen Vereinbarung zum tschechischen Atomkraftwerk Temelin um einen völkerrechtlichen Vertrag handle, der als solcher rechtlich verbindlich sei. Umweltminister Josef Pröll (V) hatte zuvor angekündigt, dass Österreich rechtliche Schritte gegen die Kollaudierung Temelins prüfen wolle.
Verstoß der Tschechischen Republik
In der Melker
Vereinbarung sei festgeschrieben, dass Temelin nur kommerziell in Betrieb
gehen darf, wenn die Sicherheitsbedenken ausgeräumt sind, betonte
Leidenmühler. Die Expertenkommission habe noch Sicherheitsmängel
festgestellt. Dennoch sei der Betrieb des Kraftwerks offiziell genehmigt
worden. "Damit haben wir einen klaren völkerrechtlichen Verstoß durch die
Tschechische Republik."
Tschechien unterliegt IGH nicht
Rechtsschritte stehen Österreich
allerdings wenige zu Verfügung: Weil das Abkommen keine Klausel zur
Gerichtsbarkeit enthält, wäre eigentlich der Internationale Gerichtshof
(IGH) in Den Haag zuständig. Allerdings habe sich Tschechien - im Gegensatz
zu Österreich - diesem Gericht nicht unterworfen. Ein Verfahren vor dem IGH
könnte daher nur dann stattfinden, wenn beide Parteien die Streitigkeit an
das Gericht herantragen, so der Experte. Die Frage ist freilich, ob
Tschechien dem zustimmen würde.
EuGH nicht zuständig
Der Europäische Gerichtshof (EuGH)
andererseits sei nicht zuständig. Bilaterale Fragen fallen nicht in die
Zuständigkeit der EU. Das Melker Abkommen sei auch nicht in die
Beitrittsakte Tschechiens aufgenommen worden. Daher habe es nicht den Rang
von primärem Gemeinschaftsrecht.
"Diplomatischer Protest"
Österreich habe aber die
Möglichkeit eines "diplomatischen Protests". Dabei handelt es sich um "eine
offizielle Stellungnahme des offiziellen Österreich", so Leidenmühler. Diese
könnte etwa in Form einer diplomatischen Note erfolgen. Ein solcher Protest
wäre völkerrechtlich anerkannt.
Abkommen ist verbindlich
Die völkerrechtliche Verbindlichkeit des
Melker Abkommens in seiner Brüsseler Fassung steht laut Leidenmühler außer
Zweifel. In dem Text des Dokuments selbst werde der "verbindliche Charakter"
der Vereinbarung genannt. Ebenso ist von "bilateralen Verpflichtungen" die
Rede. Dies seien klare Hinweise für die Verbindlichkeit des Abkommens,
erklärt Leidenmühler. Auch die Außenminister beider Staaten hätten dies nach
der Vereinbarung wechselseitig bestätigt.
Melker Schlussdokument
Die Melker Schlussdokument wurde am 29.
November 2001 von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und seinem damaligen
tschechischen Amtskollegen Milos Zeman in Brüssel unterzeichnet. Das
Abkommen ist keinem Ratifikationsprozess unterzogen worden, weswegen auch
Zweifel an seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit aufgekommen sind. Die
Ratifikation durch das Parlament sei bei bilateralen Verträgen zwar häufig,
aber nicht notwendig, sagte dazu Leidenmühler. Bei technischen Abkommen oder
völkerrechtlichen Routinevereinbarungen sei eine Ratifizierung sogar
"unüblich".